Obwohl die Müdigkeit nach der Aktion immer noch an mir genagt hatte, konnte ich nicht einschlafen. Es war nicht der Fakt, dass ich Blut gesehen hatte - das hatte ich schon oft genug-, sondern das Bild von hängendem Schweinedarm und wie die Jungs es so sorgenfrei angefasst hatten.
Ich mochte viele Dinge vertragen, aber so krass war ich nun auch nicht. Auch wenn ich es gerne sein wollte.Deshalb blieb ich nicht lange Zuhause, bis ich Wollmütze, Schal und Jacke wieder angezogen und mich auf den Weg zu meinem Stammplatz gemacht hatte.
Nachts mochte es nicht sonderlich vertrauenswürdig aussehen. Hier konnte alles liegen. Okay, Mörder tatsächlich weniger, da die Gegend relativ friedlich war. Aber dafür Bären, Wölfe oder Big Foot.
Meine von der Dunkelheit getrübten Augen hatten nicht einmal die Lust über mich selbst zu lächeln. Witze lagen mir nie.
Mir war egal, ob ich starb. Aber nicht unbedingt, wie ich starb. Ich wollte den letzten Moment selbst in die Hand nehmen können. Kontrolle darüber haben, wenn ich schon über nichts anderes welche hatte.Tief durchatmend blickte ich durch den Wald und kratzte mit der einen Hand über die Rinde des Baumstammes auf dem ich wie immer saß.
Die Taten dieser Nacht gingen mir immer noch durch den Kopf. Immer und immer wieder sah ich sie mir vorm inneren Auge an.
Morgen war vielleicht wieder Schule -Nein, heute -, aber ich spürte dem gegenüber keinen Frust. Selbst wenn ich schlaflos dahingehen musste - ich bereute Nichts. Ich fühlte mich im jenen Moment lebendiger, als in den letzten Jahren und würde es wieder tun. Auch wenn mich die Art und Weise wie sie es gemacht hatten verwirrte. Wozu die ganzen Schriften? Warum Tierkadaver und nicht etwas anderes? Erics Ideen übertrafen meine kühnsten Träume. Man konnte schon meinen, dass seine 'Streiche' fast schlimmer als meine Albträume waren. Und das musste was heißen.Nach langer Zeit des sitzens vibrierte mein Handy.
"Alles gut?" Eine Nachricht von Eric.
Gefühlslos starrte ich sie einen Moment an, bevor ich entschied ihm zu antworten. "Ja. Kann nur nicht schlafen und hocke draußen rum. War cool heute."
Es vergingen nur wenige Sekunden bis er wieder schrieb. "Lust mit mir zur Connors zu gehen?"Ich musste den Satz zwei Mal lesen, bis ich ihn wirklich kapierte. Selbst meine Augen fingen vom Starren an zu tränen. Oder die leichte Kälte biss in sie. "Da waren wir doch vor zwei Stunden. Was meinst du?"
"Ich meine wieder. Aus weiter Entfernung beobachten, wie sie reagiert, wenn sie raustritt."
Verdutzt lehnte ich mich zurück. "Wir sind da eben raus, Eric. Außerdem glaube ich, dass sie sofort raus ist, sobald du das Fenster zerbrochen hast. Was hast du überhaupt geschmissen?"
Kaum merklich erhellte sich der Horizont hinter den Bäumen um mich. Ich sollte langsam nach hause, bevor die anderen wach wurden.Das erneute Vibrieren riss mich aus meinen Gedanken.
"Ihre Hausschlüssel. Also kommst du zur Show oder nicht? Wir sind auch weg, bevor die Bullen kommen."
Ich seufzte tief. "Nein, danke. Viel Spaß."
Keine weitere Nachricht.Ich war schon kaputt im Schulbus, als mein Handy eine erneute Nachricht ankündigte. Unbewegt fischte ich es aus meiner Jackentasche und erwartete tatsächlich eine Nachricht von Eric zu sehen, die besagte, dass er festgenommen worden war.
Jedoch kam es anders. Ganz anders. Und es trieb eine Emotion in mein Gesicht, die ich eher als Schrecken bezeichnet hätte.
Es war ein Text von Brad, der mich fragte, ob wir nach der Schule wohin wollten.Elinor' Coffee, 4456, Hutchstreet 65.
Immer wieder sprach ich die Adresse in meinem Kopf, als wäre es ein Zauberspruch. Dort sollte ich heute Brad nach der Schule treffen, was mir jedoch nicht realistisch vorkam. War das wirklich er, der mir geschrieben hatte? Oder machte jemand einen Streich? Am Ende war es noch Eric...Zutrauen würde ich es ihm, um mich zu testen. Es war unmöglich, dass Brad mich treffen wollte. Niemals.Ich konnte auch nicht leugnen, dabei sofort an Erics Gesicht gedacht zu haben. Wenn er erfuhr, dass ich nach all den Gesprächen, nach all den Fakten, dass ich doch nichts vom Footballspieler wollte, doch noch Zeit mit ihm verbringen wollte, könnte er ausrasten und mich fallen lassen.
Ich schämte mich schon fast für mich selbst. Keinen Kontakt zu Jennifer zu haben, konnte ich ertragen, aber bei Brad war es was anderes. Ich liebte ihn nicht - Nein. Das wäre zu absurd. Aber ich hasste ihn auch nicht. Nicht mehr. Der Typ mit dem scheinbaren Aufmerksamkeitsdefizit, war anscheinden doch nicht so, wie ich angenommen hatte. Und ich wollte herausfinden, ob das stimmte.
Ich wusste nicht, ob ich das Gute in ihm sehen wollte oder einfach nur meine Befürchtungen, die ich hatte, seit ich auf diese Schule ging, zwanghaft als korrekt hinstellen wollte nur um Recht zu behalten. Aber ich wusste, dass ich mir diese Chance nicht einfach entgehen lassen wollte.Mein Handy vibrierte, während ich noch im ersten Unterricht saß und mir über ein blödes Treffen den Kopf zerbrach. Nachdem ich von Brad die Adresse bekommen hatte, hatte ich nichts mehr geschrieben - weil ich es schlichtweg überflüssig fand - aber hatte dennoch gehofft, noch etwas von ihm zu hören. Auch wenn ich es mir nicht erklären konnte.
Leider war es ein Video von Eric.
Mit gekrümmten Brauen öffnete ich es und zog sie schon nach der nächsten Sekunde hoch. Es zeigte Mrs Connor, wie sie ahnungslos das Haus verließ. Sie wirkte wütend, aber sobald sie die ersten Därme vom Dach hingen sah, ließ sie ihre Tasche zusammenzuckend fallen.
Es dauerte nicht lange, bis sie panisch vors Haus rannte und sich alles ansah.
Zwar konnte ich nicht hören, was sie sagte, weil das von Weitem gefilmt wurde, aber es brauchte nicht lange, bis sie zum Handy griff und das Video unter raschelnden Blättern beendet wurde.Ich brauchte einen Moment des Starrens bevor ich merkte, dass ich die Luft angehalten hatte. Er war heute Morgen tatsächlich bei ihr. Ein Teil von mir hatte ihn vorhin nicht ernst genommen, aber das Video, dass er anscheinend gemacht hatte, während er sich im Park versteckt hatte, durch den wir vor erst wenigen Stunden geflüchtet waren, ließ es mich erst wahrhaben.
Mein Finger schwebten ratlos über der Tastatur unseres Chats. Was sollte ich dazu schreiben?
Dass es falsch war?
Dass ich es witzig fand und es sich ausgezahlt hatte?
Ich grübelte lange.
Nichts. Ich sollte nichts schreiben.
Schluckend verstaute ich das Handy, um mir vorerst keine Gedanken darüber machen zu müssen.
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Cold Winter
Teen FictionMein Leben hatte schon für Jahre ein Ablaufdatum, aber ich hätte nie gedacht, dass jenes so früh antreten würde. Dass mein Leben so schnell miserabler werden konnte, als es schon war. Dabei war ich allem so gut es ging aus dem Weg gegangen, was mir...