Nach Erics 'Bitte' wusste ich nicht, wie ich mich an ihm festhalten sollte, doch er unterbrach mein Dilemma, als er sich nochmal umdrehte und unser beider Visiere hochklappte, um mich anzusehen. "Nenn mir deinen Lieblingsplatz." brummte er, wobei ich durch den Helm nur seine Augen und Brauen sehen konnte. So wirkten sie noch viel ausdrucksstärker.
Seine ständige geheimniskrämerei und spontanen Aktionen brachten mich allmählich in den Wahnsinn, doch ich versuchte das zu ignorieren und überlegte, ob ich ihm von meinem Stammplatz erzählen sollte.
Eigentlich war es ein Ort, den niemand außer mir kannte. Mein Territorium sogesagt, aber weil ich nicht glaubte, dass Eric es jemals besuchen sollte, nannte ich ihn den ungefähren Ort, bevor er mit grinsenden Augen sein Visier runterklappte und meins darauf auch, nur deutlich stärker, als bei sich, sodass ich einen Moment zum blinzeln brauchte.
Er startete ohne Vorwarnung, sodass ich fast panisch die Arme um seinen Brustkorb schlang.
Warum machte der Typ nur so viel mit mir? Er konnte doch niemals...-Nein. Nicht Eric."Und du gehst hier echt alleine durch?" hörte ich es skeptisch hinter mir.
Mit einem kurzen Blick über die Schulter sah ich zu Eric, der sich aufmerksam umsah, doch starrte darauf wieder voraus, bevor ich über das trockene Gestrüpp fiel. "Ja, sehr oft. Das ist mein Stammplatz."
Stumm folgte er mir durch das folgende Geäst bis wir auf der Lichtung ankamen, in der mein umgefallener Baumstamm unberührt lag. "Hier bin ich immer ungestört." erklärte ich es ohne Aufforderung und ging vollkommen entspannt zum modernden Holz.
Das Adrenalin war durch die Motorradfahrt wie weggeblasen, sodass jetzt der innere Frieden den mir dieser Ort gab genug Platz hatte. Die Depression der letzten Tage wirkte, wie ein schlechter langer Traum."Was wird das?" brummte Eric, als ich anfing festen Halt auf dem Stamm zu suchen.
"Hochklettern, was sonst?" hauchte ich und stieß mich ab, um mich an den Stamm zu krallen, der breiter war, als meine Höhe.
Ich wollte beim klettern stark wirken, jedoch entkam mir dennoch ein leises Ächzen beim hochzerren, als ich plötzlich eine fremde, aber große, Hand an meinem Hintern spürte. Ich gefror, als sie mich auch schon mit so großer Kraft hinauf buxierte, dass ich fast vergessen hätte, mich festzuhalten.
Mit laut pochendem Herzen setzte ich mich auf den Stamm und starrte peinlich berührt zu Eric hinunter. "Was?" murmelte er herablassend.
Kopfschüttelnd setzte ich mich auf die Schienbeine. "Ich hätte das auch ohne deine Hilfe geschafft.."
Doch er reichte mir wortlos die gestohlenen Flaschen und kletterte schwungvoll selbst hinauf."So." nahm er die Flaschen wieder an sich und fing an, sie zu öffnen. "Jetzt trinken wir auf...." er blickte überlegend zum Himmel, sodass sein Adamsapfel hervortrat und meine gesamte Aufmerksamkeit in Beschlag nahm. Manchmal konnten die schlimmsten Menschen die attraktivsten sein. Und jedes Mal beneidete ich sie. Sehr..
"Auf unser beschissenes Leben.." meinte ich benommen.
"Perfekt." hörte ich es zufrieden, "Und auf unsere gefundene Freundschaft."
Abrupt klärten sich meine Gedanken und ich sah verwundert zu Eric, dessen Augen sofort meinen Blick einfingen. Dazu grinste er fett und mir blieb für einen Moment die Luft weg. Freundschaft..?
Mein Blick flog zu seinen Lippen.Manchmal fiel die Schönheit unfair aus.
Zuerst nahm er einen reinen Schluck des Rum's, was mich dazu nötigte, dasselbe zu tun, bevor er zwischendurch Cola trank.
Es blieb still. Was mich normalerweise nicht störte. Ich hasste es sogar zu reden, aber desto länger ich neben Eric saß und desto mehr ich den Rum spürte, desto drängender wurde meine Neugier.
Fuck it.
"Eric?" sein Blick zog unberührt zu mir, während er einen fetten Schluck Cola nahm, "Was hat es eigentlich mit der Art und Weise deiner Streiche zu tun?"
Unberührt hielt er meinen Blick. "Was genau meinst du?"
Unsicher biss ich auf meiner Unterlippe herum. "Naja...Angefangen mit dem Schweinedarm und dem Blut am Türrahmen? Und dem roten Zeug, dass ihr bei Wolter durch den Raum gespritzt habt, wo ich wirklich hoffe, dass es kein Blut war." Fragend hob ich die Braue, doch er sah mich einfach konzentriert an.
Dann lehnte er sich langsam zu mir. "Weil es Spaß macht Menschen zu verstören." raunte er leise. Sein Atem striff mich dabei und er war so nah vor meinem Gesicht, dass es nur seine Augen waren, die ich wirklich sehen konnte. "Erschrecken kann jeder. Verstören nicht. Und wir spielen die Streiche, um eine bleibende Wirkung zu erzielen. Etwas, dass man nicht sofort vergessen sollte."
"Und dabei gibst du dir so viel Mühe und suchst die Namen griechischer Helden raus?" verzog ich das Gesicht.
Ein Schatten fuhr über sein Gesicht, während er sich minimal zurücklehnte. "Es ist eine Vergötterung." brummte er unter brennendem Blick.
"Ich glaube, das ist das flasche Wort....Ich hatte kurz recherschiert, aber nicht genug herausbekommen." Okay, ich war schlichtweg zu faul mir alles durchzulesen. "Wieso nutzt du diese Namen?"Eric seufzte, als wäre seine coole Mauer gefallen und setzte sich endlich ordentlich hin. "Ich erzähle es dir, wenn du noch einen Schluck Rum nimmst."
Verwirrt hielt ich die Luft an, doch tat es. Immerhin machte es mir nichts aus angetrunken zu sein.
"Ich nutze sie, weil ich sie bewundere." fing er sofort an. "Ich finde ihre Taten mutig und bewundernswert. Heutzutage würde kaum wer noch so handeln, um seinen Willen durchzusetzen." Gemächlich lehnte er sich an den Händen zurück und betrachtete die Umgebung. "Ich werde dir ihre Geschichten nicht detailliert erzählen. Nur damit das klar ist. Aber ich schreibe die Namen Sisyphos, Tantalos und Ixion immer auf eine erwählte Wand, um der Tat mehr Ausdruck zu verleiehen und die Helden zu ehren, die dazu verdammt worden sind in dem schlimmsten Fleck der Hölle zu schmoren. Im Tartaros."Er griff nach der Rumflasche und nahm einen großen Schluck, bevor er sie mir wieder reichte und mich ansah.
"Angefangen mit Sisyphos. Er ist der unbedeutenste von allen. Aber er hatte es geschafft zu beweisen, dass der Sohn Hermes ihn mehrmals bestahl. Der Dieb wurde durch diese List bestraft, während Sisyphos dessen Tochter vergewaltigte."
Geschockt riss ich die Augen auf, da mir eine solche Bestrafung zu krass vorkam, als dass sie berechtigt war. Aber Eric hielt mich verstummend die Hand hoch, bevor er weitersprach. "Dann verriet er Zeus, der ein Mädchen entführt hatte, was dem Gott natürlich nicht gefiel. Er verbannte ihn in die Hölle, aber Sisyphos hatte die Königin der Unterwelt überlistet und entkam der Gefangenschaft, was meiner Meinung nach genial ist. Er wurde zwar irgendwann darauf dennoch ins Tartaros verbannt, aber er hatte es dennoch geschafft. Er ist der Hölle entkommen.." Den Kopf schief legend musterte er mich. "Jetzt zu Tantalos. Der Sohn Zeus, der sogar am Bankett der Götter teilnehmen durfte. Er nutzte dies aus, log viel und hintergang die Götter. Als er sie einmal zu sich einlud, fütterte er sie mit etwas, dass die Götter vor Wut hatte platzen lassen. Und zwar mit dem Fleisch seines eigenen Sohnes, den er eigenhändig umgebracht und dafür zerstückelt hatte." Ich öffnete den Mund, doch Eric sprach mit Nachdruck schnell weiter. "Ixion. Nachdem der Vater seiner Zukünfigen ihn wütend gemacht hatte, warf er diesen in ein Feuer und beobachtete, wie er mit ganzem Leib verbrannte. Nur der dumme Zeus willigte ein, ihn darauf reinzuwaschen und ihn sogar am himmlischen Bankett teilnehmen zu lassen." er schnaubte verächtlich, "Man merkt, wie einfach es sein kann, die Götter zu täuschen. Ein Haufen von Idioten, die von hirnlosen Menschen vergöttert werden...Ixion war selbstbewusst und mutig genug, um sich darauf an Zeus Frau ranzumachen. Hera."Er kramte in seiner Jackeninnentasche und fing darauf an zu Drehen. Und obwohl ich jetzt auch sehr gerne eine geraucht hätte, konnt ich mich nicht rühren, weil ich einfach zu perplex von den Geschichten war. Ich verstand nicht, wo Eric den Grund sah, diese Monster hoch anzusehen.
Die Zigarette anzündend erzählte er weiter. "Er fickte Hera und dachte, sie wäre ihm verfallen, bis rauskam, dass Zeus ein Duplikat von seiner Frau an Ixion gegeben hatte. Er hatte Ixion getäuscht, um zu sehen, wie weit er gehen würde." Ein Grinsen breitete sich darauf auf seinem Gesicht aus. "Ich muss bis heute darüber lachen, wie Ixion gehandelt hat. Er war einfach selbstbewusst genug um die Frau eines Gottes ins Bett kriegen zu wollen. Ein richtiger Held." kicherte er."Und dann?" krächzte ich benommen.
Seine dunklen Augen zuckten amüsiert zu mir und der Schwung seiner einen Braue geriet in die Höhe. "Danach wurde auch er ins Tartaros gesteckt, um auf alle Ewigkeit eine Höllenqual zu erleiden. Seine Strafe war es für immer auf einem brennenden Rad rumzukreisen."
Es nicht begreifend schüttelte ich den Kopf. "Wieso bewunderst du sie? Das grenzt an Gotteslesterei.""Ich dachte du glaubst nicht an Gott." kam es sofort aggressiv von ihm und sein Blick ließ einen Schauer durch mein Rückgrad jagen.
"Tue ich auch nicht." hauchte ich.
"Na dann hat es dich auch nicht zu interessieren, was diese Typen den Göttern angetan haben."Er hatte Recht, aber es ging auch darum, dass er solche Mythen ruhmreichte.
Er zog einmal, bevor er deutlich ruhiger weitersprach. "Ich bewundere einfach die Zuversicht. Wie sie allem trotzen und alles in die Hand nahmen. Einer entkommt der Hölle. Der andere zeigt, dass er alles haben kann, was er will, und lässt sich nicht beirren. Der andere verhöhnte die Götter, die von allen gefürchtet wurden. Lachte sie mit seiner Tat gar aus. Und das ist bewundernswert."
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Cold Winter
Teen FictionMein Leben hatte schon für Jahre ein Ablaufdatum, aber ich hätte nie gedacht, dass jenes so früh antreten würde. Dass mein Leben so schnell miserabler werden konnte, als es schon war. Dabei war ich allem so gut es ging aus dem Weg gegangen, was mir...