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„Er ist doch immer so unfair", sagt Tabea verteidigend. „Nein", krächze ich. „Nicht reden. Warte mal, ist der Hals besser?", fragt meine Mutter. Ich nicke. „Na endlich zeigt das Medikament Wirkung", sagt Tabea. Ich weiß genau, dass sie vom Thema ablenken will. „Lenk nicht von Thema ab, Tabea", sagt meine Mutter streng. „Ich lenke nicht ab, es geht hier im Jamie", sagt Tabea und sieht mich an. Ich schaue sie skeptisch an. „Wisst ihr was, ich gehe jetzt", sagt sie beleidigt und steht auf. Ich greife blitzschnell nach ihrer Hand und ziehe sie zurück auf den Stuhl. „Ihr ... seid ... ein ... tolles Team", krächze ich mit Müh und Not. „Meine Rede", sagt Charlotte. „Meine ich ja eigentlich auch. Was macht der Hals?", fragt es von der Tür. Wir schauen in die Richtung und sehen den Arzt. Ich zeige mit den Daumen nach oben. „Ich komme gleich wieder", sagt Tabea und verschwindet mit dem Typ.„Denk dir nichts dabei, die beiden streiten ständig", sagt meine Mutter und streichelt mich. Ich fasse mir an den Hals und ertaste den Schlauch und den Schnitt an meinem Hals. „Nicht ziehen", sagt Charlotte erschrocken. „Ich will nicht ziehen", sage ich mit leiser und kratziger Stimme. „Was dann?", fragt Mama. „Ich will wissen, was da ist", krächze ich. „Soll ich ein Bild machen?", fragt sie. Ich nicke. Meine Mama macht ein Foto und zeigt es mir. Da steckt ein dicker und langer Schlauch in meinem Hals, in dem sich ein großes Loch befindet. „So, wir haben das geklärt. In Zukunft sind wir einer Meinung", sagt Tabea und kommt mit Freddie im Schlepptau wieder herein. Ich schaue sie fragend an. „Wir sind wieder zusammen", sagt sie grinsend. „Bitte nicht schon wieder", seufzt meine Mutter und lässt ihr Gesicht aufs Bett knallen. Ich schaue von ihr zu Tabea und Freddie. „Wir waren schon mal zusammen und da gab es etwas Krach. Jetzt haben wir uns ausgesprochen und alles ist wieder supi", sagt Freddie. „Ich bin noch immer der Meinung, dass das wieder schiefgehen wird", meint Charlie und setzt sich wieder aufrecht hin. Ich rutsche im Bett herum. „Was ist denn?", fragt Mama. „Mein Rücken", sage ich. „Was ist da?", fragt nun Tabea. Ich zucke mit den Schultern.

„Setz dich mal auf", sagt meine Mama und hilft mir hoch. Sie zieht den Stoff des Pullovers weg und atmet geräuschvoll ein. „Freddie, schau mal", sagt Charlie. Tabea und Freddie kommen herum und schauen sich meinen Rücken an. „Oh mein ...", murmelt Tabea. „Was ist da?", frage ich leicht panisch. „Du blutest, und zwar stark", sagt meine Mutter. „Aber ... woher?", frage ich. „Keine Panik, wir machen das mal sauber", sagt Freddie und stürmt aus dem Raum. Der einzige, der gerade richtig heftige Panik hat, ist er selbst. Ich habe nur Angst. Eine halbe Minute später kommt er mit einer Nierenschale voll Desinfektionsspray, Handschuhe und Tupfer wieder. Er, Tabea und meine Mutter ziehen sich Handschuhe an und entfernen gefühlt mehrere Liter Blut von meinem Rücken. Dabei habe ich furchtbare Schmerzen und wimmere vor mich hin. „Oh man, wie konnte deine Haut aufplatzen?", fragt Tabea leicht perplex. „Kein Plan. Um ehrlich zu sein, finde ich das echt eklig", murmele ich. „Das muss leider alles genäht werden. Wir verpassen dir eine Kurznarkose, sonst hälst du das nicht aus", sagt meine Mutter. „Bitte nicht", jammere ich, den Tränen nahe. „Maus, die Narkose muss leider sein", sagt meine Mutter. „Ich rede nicht von der Narkose", sage ich mit zittriger Stimme. „Mist, das hatte ich vergessen", meint sie. „Wir sind sehr vorsichtig", sagt Freddie schnell. „Keine Chance. Ich habe einen Schlauch im Hals stecken, das reicht wohl", gebe ich genervt von mir. „Willst du vielleicht verbluten, Liebes?", fragt mich Freddie. Bei dem Kosenamen zucke ich leicht zusammen. „Abmarsch, du holst die Narkose", weist er Tabea an und schickt sie aus dem Raum. Sie kommt mit mehreren Nierenschalen voll Medikamenten, Faden und Nähmaterial sowie Verbandsmaterial zurück. „Du bist ganz tapfer, meine kleine Prinzessin", sagt Charlotte und drückt den Inhalt einer Spritze in den Zugang. „Das ist nur gegen Schmerzen. Gleich kommt das Narkosemittel. Bis später", sagt sie, küsst mich auf sie Stirn und spritzt es mir. Wenige Sekunden später dämmere ich schon weg.

Als ich wieder aufwache, liege ich auf der Seite und habe mehrere Kissen am Rücken liegen. Meine Mutter sitzt neben mir und hält meine Hand. „Maus, du bist wieder wach. Was machen die Schmerzen?", fragt sie. „Geht", murmele ich und greife mir an den Hals. Der Schlauch steckt noch immer darin. „Nicht ziehen", sagt sie sanft und nimmt meine Hand da weg. „Ich wollte nicht ... ziehen", krächze ich. „Ich weiß doch. Ruh dich aus, Liebes", sagt meine Mutter. „Wo ist Tabea?", frage ich sie. „Mit Freddie einen Kaffee trinken. Sie wird bald wieder kommen. Ich wecke dich dann, schlaf solange", sagt sie. Ich nicke und kuschele mich, zusammen mit Mamas Hand, in die Kissen ein. Sie streichelt mich so lange, bis ich eingeschlafen bin.

Sie weckt mich einige Zeit später. Ich wache auf und sehe Tabea. Ich freue mich, sie zu sehen. „Na, alles gut?", fragt sie. Ich nicke. „Das ist schön", sagt sie. „Maus, wir müssten dich mal untersuchen und brauchen dafür ein MRT von deinem Kopf", sagt meine Mama. Ich schaue sie mit großen Augen an. „Muss leider sein, sonst finden wir die Ursache nicht", sagt sie. Schließlich willige ich ein und lasse die Untersuchung über mich ergehen. Zurück auf dem Zimmer, erwarten mich Charlotte und Tabea mit ernster Miene. „Was ... ist was passiert?", frage ich. „Mausi, ich muss dir was sagen. In deinem Gehirn ...", sagt meine Mutter bedrückt und macht eine Pause. Ich schaue sie mit großen Augen an. „Was ist da?", frage ich leise und ängstlich. „Da ... ist ein Tumor", sagt sie mit gesenktem Kopf und nimmt meine Hand. „Ein was bitte?", kreische ich geschockt. „Nicht so laut. Da ist leider ein Tumor. Der muss da weg", sagt Tabea. „Nein, keine Operation", rufe ich. „Doch, Jamie", sagt meine Mutter. „Die Blutungen am Rücken waren noch harmlos. Das, was noch kommen kann, wird hart", sagt Tabea. Ich schaue sie an. „Wir wissen, dass du Angst hast. Aber du brauchst diese Operation", sagt meine Mutter. Wir diskutieren hin und her, sie zählen mir die Symptome auf und was mit mir noch alles passieren kann.

Schließlich willige ich ein. Andernfalls werde ich wahrscheinlich gezwungen und das will ich nicht. Eltern und ihre Macht. Es sollte normal heißen: Kinder an die Macht!

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