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„Ich habe Angst vor der Operation", sage ich. „Musst du nicht haben, ich bin die ganze Zeit über da", sagt sie einfühlsam. „Danke", sage ich und strecke meine Hand nach ihr aus. Sie nimmt diese und ich ziehe meine Mutter zu mir. „Oh, komm mal her", sagt sie und nimmt mich in den Arm. Ich schließe die Augen und genieße die Umarmung. „Jamie, langsam müssen wir los. Wir müssen dich ja noch vorbereiten", sagt sie.

Meine Mutter schiebt mich durchs halbe Gebäude und ich bekomme immer mehr Panik. „Beruhig dich ein bisschen, es passiert nichts. Ich bin doch da", sagt Charlotte und nimmt meine Hand wieder. Augenblicklich werde ich ruhiger. „Muss ich jetzt die ganze Zeit über deine Hand halten?", fragt sie grinsend. Ich nicke und schaue ihr tief in die Augen. „Okay, dann mache ich es, wenn es notwendig ist", sagt Charlotte. Ich nicke zufrieden.

In einem Raum warten schon mehrere Personen, alle in grün. „Ich komme sofort wieder, ich ziehe mich nur um und wasche mich schnell. Dauert nicht lange", sagt meine Mutter und geht. Ich erkenne unter den Anwesenden Tabea. „Na, bist du schon aufgeregt?", fragt sie. „Ein bisschen", sage ich leise. „Okay, musst du nicht. Gleich kommt deine Mutter wieder und dann wird alles gut. Ich werde dich operieren", sagt sie. „Du?", frage ich überrascht.

„Ja. Was dagegen?", fragt sie. „Nein, eigentlich nicht", murmele ich. „Eigentlich??", fragt die Ärztin. „Vergiss es, ich bin einfach nur durcheinander", murmele ich. In diesem Augenblick kommt meine Mutter wieder, komplett in grün gekleidet. „So, da bin ich wieder", sagt sie und nimmt meine Hand. Sofort entspanne ich mich wieder und werde ruhiger. „Du hast wirklich ne beruhigende Wirkung auf sie. Die Herzfrequenz ist wieder normal", sagt Tabea, die auf den Monitor schaut.

„Mütter haben wohl was beruhigendes an sich. Wir könnten dann langsam loslegen, oder?", fragt meine Mutter. „Ja, können wir. Gibst du die Medikamente? Ich gehe mich nochmal waschen", sagt Tabea und verschwindet. „Okay, Maus. Ich gebe dir jetzt etwas, damit du schläfst. Wenn du aufwachst, ist alles wieder super. Dann bist du operiert und kannst schnell wieder mit dem Laufen anfangen. Und dann ziehst du zu mir bzw. zu uns und wir regeln das mit deinem Vater alles", stellt meine Mutter in Aussicht. „Erstmal muss alles wieder gut werden und diese Operation ...", sage ich. „Wir schaffen das, und zwar zusammen", sagt Charlotte. Ich atme tief durch und nicke. „Okay, dann gebe ich dir jetzt das Schlafmittel. Bis später", sagt meine Mutter und spritzt mir etwas. Meine Augenlider werden immer schwerer, bis ich schließlich einschlafe. Ich bin ich einer Welt gefangen, in der nichts und niemand existiert. Keine Helligkeit, keine Dunkelheit, einfach nichts. Überhaupt nichts. Praktisch schwebe ich zwischen Leben und Tod, aber wie sehr auf welcher Seite, weiß ich nicht. Hoffentlich schaffe ich es, denn ich will unbedingt bei meiner Mutter einziehen.

Irgendwann komme ich langsam wieder zu mir. Ich liege bereits wieder in meinem Bett und befinde mich in einem separaten Raum. „Ah, du bist wieder wach", höre ich jemanden sagen. Ich schaue mich um und sehe meine Mutter, die neben mir an einem Schrank werkelt. „Ja, bin ich. Ist alles gut gegangen?", frage ich nervös. „Sicher, Tabea hat das sehr gut hinbekommen. Ich habe auch nichts anderes erwartet", sagt sie. Ich atme erleichtert auf. „So, dann fahre ich dich mal auf Station", sagt sie und schiebt mich weg.

Auf dem Zimmer angekommen, setzt sich Charlotte sofort wieder zu mir. „Wann kann ich wieder laufen?", frage ich. „Morgen kannst du anfangen, heute lassen wir es lieber noch sein", sagt sie. Ich nicke. Plötzlich reißt jemand die Tür auf. Ich schaue in die Richtung und sehe meinen Vater. Oh Gott, was macht der denn hier? „Da bist du ja. Los, aufstehen. Du kommst jetzt mit", ruft er. „Sie bleibt hier", sagt Mama und stellt sich schützend vor das Bett. „Geh weg, du kleine Schlampe. Ich habe hier das Sagen", sagt Papa. „Wohl kaum. Ich bin die Mutter", sagt Charlotte. „Ach, sieh an. Du bist die kleine Fotze, die sich ohne ihr Kind aus dem Staub gemacht hat?", grinst er. „Du weißt, warum ich gegangen bin. Und jetzt geh, lass mein Kind im Frieden", macht meine Mutter eine Ansage. Jedoch schubst er sie gegen die Wand und zerrt mich aus dem Bett. „Nein, sie ist frisch operiert", keucht Mama. „Halt's Maul endlich", brüllt er. Ich keuche und will mich meinem Vater entziehen. Er jedoch setzt ein Messer an meine Brust.

Ich keuche erschrocken auf und bekomme einen Schweißausbruch. „Schluss jetzt", brüllt er und zieht mich aus dem Raum. Im Flur begegnen wir Tabea und zwei Schwestern, die stehen bleiben und versuchen, auf meinen Vater einzuwirken. Er lässt sich (wie immer) nichts sagen und zieht mich mit aller Gewalt zum Aufzug. „Bitte, lassen Sie das Mädchen los", sagt Tabea nochmal. Auf einmal kommen noch zwei Polizeibeamten hinzu. Ein Mann und eine Frau. „Weg von dem Mädchen, sonst schießen wir", brüllt der Mann. Ich schaue ängstlich in deren Richtung. Es gibt einen lauten Knall und mein Vater sackt hinter mir zusammen. Er reißt mich mit zu Boden, wo ich wimmernd liegen bleibe. „Jamie, geht es dir gut?", ruft meine Mutter besorgt. Ich robbe zur Seite, denn die Polizisten, die auf meinen Vater zustürmen. „Nicht bewegen, ich hole eine Trage", sagt Tabea und rennt davon. Ich liege auf der Seite. „Achtung, wir heben dich jetzt auf die Trage", sagt meine Mutter und ich merke, wie man mich anhebt und wieder ablegt. Dann fahren wir ein paar Meter. „Wir schauen uns deinen Rücken mal an", sagt Tabea und die beiden Ärztinnen beginnen, meinen Rücken abzutasten. „Also, es scheint alles in Ordnung zu sein. Glück gehabt", sagt Tabea. Ich drehe mich um und falle meiner Mutter in die Arme. „Alles wird gut, wir schaffen das", sagt sie und erwidert die Umarmung liebevoll.

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