3. Verloren

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Narie war regelrecht aus der Menschensiedlung geflohen die sie hatte aufsuchen müssen um ihre Vorräte aufzufüllen. Das 14 jährige Elfenmädchen rannte so schnell es ihre Beine trugen. Erst als sie ihre feine Nase die Gerüche der Siedlung nicht mehr wahrnehmen konnte blieb sie stehen und musste sich sofort heftig übergeben.
Die Menschen der Siedlung waren Viehzüchter und ausgerechnet an einem Schlachttag hatte Narie das Dorf besuchen müssen. Sicher, aus dem Unterricht wusste sie, dass die Menschen nicht dieselbe Sensibilität gegenüber dem Leben hatten sie ihr eigenes Volk aber es zu erleben war etwas ganz anderes. Der Geruch von Blut überall und die Angst der Schlachttiere wie die Bewohner des Dorfes überhaupt nicht wahrzunehmen schienen. Auch sahen die Menschen so anders aus als in Naries Schulbüchern. Vielen sah man deutlich die Spuren des großen Krieges an und ihre Kleidung wirkte so ärmlich im Vergleich zur Webkunst der Elfen.
Mit immer noch zitternden Fingern griff Narie nach ihrem Wasserschlauch und versuchte sich den bitterem Geschmack von Erbrochenem aus dem Mund zu spülen. Anschließend blickte sich um. Sie stand völlig allein auf der Ebene, die das Herz von Alagaesia bildete. Ein steigender Wind strich über das flache Land und ließ die junge Elfe frösteln. In einigen Metern Entfernung bildeten einige Steine die einzige natürliche Erhebung. Narie erkannte dass sie die gekauften Vorräte so fest an ihre Brust presste, dass ihre Finger kaum noch spürte. Sie zog sich hinter die schützenden Felsen zurück um etwas Zuflucht vor dem schneidenden Wind zu haben. Anschließend begann sie damit das Brot, den Käse und die Äpfel in ihrem Rucksack zu verstauen. In Gedanken schimpfte sie mit sich selbst. Ihre Vorräte hatten kaum bis zum Waldrand von Du Weldenvarden gereicht. Das war er vielleicht noch verzeihlich. Man konnte ihm nur eine bestimmte Menge an Lebensmitteln tragen aber sie hatte sie so dumm sein können kein Geld mitzunehmen? Wäre einfach nicht daran gedacht. Ihr eigenes Volk benutzte kein Geld. Handwerker stellten ihre Erzeugnisse her um ihre eigenen Fähigkeiten zu vervollkommnen und der Allgemeinheit zu nützen. In seltenen Fällen schloss man Tauschhandel ab wenn es sich um besondere Stücke handelte. Zum Glück hatte der Händler ihre silberne Flöte als Bezahlung akzeptiert. Narie vermisste sie schon jetzt. Arya hatte sie ihr Geschenk als sich der Tag ihrer Geburt zum fünften Mal jährte. Arya.... wieder glitten ihre Gedanken zu ihrer Cousine ab. Was hatte ihr Vater da nur angestellt?
Narie hatte sich eigentlich gefreut als Arya zu neuen Königin gekrönt worden war. Rabenmäne würde von nun an längere Zeit in der Hauptstadt sein. Narie hatte gehofft sie häufiger besuchen zu können. Innerlich lachte sie bitter über sich selbst. Was naiver Gedanke. Kurz hatten die beiden Cousinen auf den Krönungsfeierlichkeiten miteinander gesprochen. Ansonsten waren Besuche unmöglich gewesen. Narie hatte das auch verstanden. Sie konnte nicht erwarten, dass sie einfach wann immer sie wollte zur Königin spazieren konnte um mit ihr ein wenig zu plaudern. Dann hatten sich die Ereignisse überschlagen. Sie hatte es erst gar nicht glauben können als ihr Vater sie um ihre Mutter zu sich rief und davon erzählte, dass Arya ihm das Vertrauen entzogen und ihn aus dem Kronrat verbannt hatte. Auf die Nachfrage ihrer Mutter hin hatte Narie Vater schließlich zögernd zugegeben, dass er an der Ungnade in die die Familie gefallen war nicht unschuldig war. Schließlich lag sein Betrug offen auf dem Tisch. Narie Mutter hatte sich einfach erhoben und war aus dem Zimmer gerauscht. Ihr Vater folgte ihr und schon bald erfüllte ein wütendes Streitgespräch die Räume welches bis zum Abend anhielt.
Auch am nächsten Morgen war die Stimmung mehr als angespannt. Narie hatte es schließlich nicht mehr ertragen und ihren Bogen und dem Köcher mit Pfeilen ergriffen und war, eigentlich viel zu früh, zum Unterricht im Bogenschießen aufgebrochen. Zunächst war sie langsam durch das Viertel der Hauptstadt geschländert um ihre Lehrmeister nicht zu früh zu belästigen. So etwas galt als unhöflich.
Erst nach einer Weile war ihr aufgefallen, dass man sie aus den umliegenden Häusern argwöhnisch musterte. Immer wenn sie den Blick erwiderte wurden schnell Vorhänge vor die Fenster gezogen an denen sie gerade vorbeiging. Auch Leute denen sie unterwegs begegnete erwiderten nur zögerlich ihren Gruß und ein Bekannter ihrer Familie verweigerte ihr die Höflichkeitsbezeugung vollständig. Alles in allem hatte Narie auf dem Weg zu ihrem Lehrmeister das Gefühl von den anderen Elfen plötzlich wie ein Fremdkörper angesehen zu werden. Ein Teil welches einfach nicht in das umliegende Gesamtbild passte. Ein stummes "Verschwinde" schien in der Luft zu liegen. Es war eine schmerzliche Erkenntnis für das 14-jährige Elfenmädchen gewesen aber die anklagenden Blicke die sie von überall erntete übermittelten eine klare Botschaft. Sie war hier nicht mehr willkommen. Ein Dichter ihres Volkes hatte die Hauptstadt einmal als das vollkommenste Kunstwerk des schönen Volkes beschrieben. Vor dem Verrat ihres Vaters hatte sie der zugehört. Nun nicht mehr!
Diese Erkenntnis wurde noch untermauert als ihr Lehrmeister im Bogenschießen nicht mit ihr wie üblich zum Schießplatz aufbrach sondern sie hereinbat. In der anschließenden, sehr kurzen, Unterhaltung gab er ihr zu verstehen, dass er sie von nun an nicht mehr unterrichten würde. Nur mühsam gelang es Narie die Fassung zu bewahren.
Die Rückkehr in ihr Elternhaus war nicht weniger unangenehm gewesen. Stellen müssen, dass es noch etwas Schlimmeres gab als den Streit ihrer Eltern. Stille! Die Art von eisiger Stille die zwischen zwei Wesen herrschte die sich nichts mehr zu sagen hatten.
Am nächsten Morgen hatten sich Naries Befürchtungen in dieser Hinsicht bestätigt. Als sie zum Frühstück herunter kam war ihre Mutter gerade dabei ihre persönliche Habe aus dem Haus zu schaffen. Das Elfenmädchen konnte es der Gefährtin ihres Vaters nicht verdenken. Immerhin war Arya die Tochter ihres verstorbenen Bruders. Narie erklärte sofort, dass ihre Mutter begleiten wollte. Zum einen war auch sie wütend auf ihrem Vater und zum anderen war die Aussicht verlockend eine Nachbarschaft zu verlassen die sie ohnehin nicht mehr unter sich haben wollte.

"Ich möchte nicht dass du mich begleitest Tochter. Du bist Teil einer Vergangenheit mit der ich abschließen möchte. Daher kann ich im Augenblick nicht gebrauchen. Ich möchte dich nicht um mich haben."

Narie trifft die Augen zusammen als sie sich an diese Worte erinnerte. Noch immer bereitete es ihr praktisch körperliche Schmerzen.
Auf tröstende Worte von ihrem Vater hatte sie vergeblich gewartet. Ihr Versuch ein Gespräch mit ihm zu beginnen war abgeschmettert worden. Der entehrte Elfenlord hatte sie gebeten ihn in Ruhe zu lassen damit er seine Situation bewerten konnte. Ein Angebot zur helfen war von ihrem Vater lediglich mit einem fast spöttischen Blick bedacht worden. Dies hatte bei Narie einen lange gehegten Verdacht bestätigt. Seit besondere Kraft, die allen Elfenkindern innewohnte, sie verlassen hatte schämten sich ihre Eltern für sie.
In diesem Augenblick war Naries Entschluss gefallen. Sie würde ihr Elternhaus verlassen. Es galt nur noch zu entscheiden wohin sie gehen sollte. Um in die Arme ihres Volkes einzutreten war sie noch zu jung. Einige Tage später hörte sie dann zufällig davon, dass Orrin, der König des menschlichen Reiches Surda, eine unverzeihliche Schmähung des neuen Orten der Reiter begangen hatte. Er hatte die neu gewählten Reiter auf ihrem Weg mit bewaffneten Truppen aufgehalten und Eragon, der Bezwinger von Galbatorix, sowie ihre Cousine Arya waren auf dem Weg nach Alagaesia um die Situation zu bereinigen.
Damit kann der Narie ihr Ziel. Rabenmäne würde sie bestimmt aufnehmen. Sie war doch immer für sie da gewesen. Vielleicht konnte sie sich wenigstens der Elfengarde von Eragon anschließen um wiedergutzumachen was ihr Vater getan hatte.
Nun, da sie weit von der Hauptstadt der Elfen entfernt in der Einöde hockte war sich Narie nicht mehr so sicher, dass ihre Zukunft wirklich bei Arya lag. Nicht dass sie sich solch eine Zukunft nicht wünschte aber würde ihre Cousine sie wirklich aufnehmen? Das 14 jährige Elfenmädchen kann sich auf der weiten Ebene plötzlich so verloren vor wie noch nie in ihrem Leben. Sie vermisste die Bäume ihres heimatlichen Waldes. Dieses weite, flache Land hatte etwas unheimliches. Es schien so leer sein, so trostlos!
Narie zog die Beine an den Körper und weinte eine Weile einfach still vor sich hin. Es war alles zu viel für sie. Viel zu viel.
Nach einigen Minuten jedoch erhob sie sich und setzte ihren Weg nach Süden fort. Lichter ihre Zweifel verschwunden waren oder sie sich besser fühlte. Wenn sie ehrlich war fühlte sie sich so elend wie nie zuvor in ihrem Leben aber was sollte sie sonst tun? Wohin gehen? Sie reiste weiter nach Süden weil es schlicht und ergreifend alles war war sie noch tun konnte.

Eragon FF - Band 7- Ende, Epilog Band 7 und doe OS- Sammlung von TraeumerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt