Leave my heart out of this

the show must go on girl

Hailey

Sobald ich das Gebäude verlassen habe dringt endlich wieder Sauerstoff in meine Lungen und das Gefühl zu ersticken verfliegt. Ich fühle wie die Last, die ich seit Wochen mit mir trage, von meinen Schultern fällt. Ich belüge nun niemanden mehr, weder Claire noch Jo und vor allem belüge ich selbst mich nicht mehr. Mir war klar, dass mein Leben ein anderes sein wird sobald ich Atlanta erreichte, aber ich hatte nie gedacht, dass es sich in diese Richtung entwickeln würde. Daran kann ich jedoch nichts mehr ändern. Nein Stop...ich möchte daran nichts ändern. Ich akzeptiere mein neues Ich. Nach langer Zeit habe ich das Gefühl frei zu sein, über meinen Tellerrand hinaus zu blicken, mein wahres ich zu entdecken. Zugegebener Maßen habe ich ziemlichen Mist gebaut, indem ich mich in die Tochter meiner Patentante...fast Adoptivmutter...Pflegemutter... ach was auch immer verliebt habe. Ich weiß nicht ob Claire mir das verzeihen wird, ob sie Verständnis für meine bzw. für unsere Gefühle haben wird. Vermutlich wird sie das nicht haben, denn in ihren Augen bin ich immer noch das kleine Mauerblümchen, das vor allem Unheil der Welt beschützt werden muss. Gerade jedoch fühle ich mich zu dem Unheil hingezogen. Ich fühle mich zu Jo hingezogen. Werd ich es am Ende bereuen mich ihr hingegeben zu haben? Werde ich höchstwahrscheinlich! Werde ich es dennoch tun? Definitiv!

Erleichtert und ratlos lasse ich mich an der Fassade des Gebäudes runter gleiten und raufe meine Haare. „Sie wird mich umbringen!" flüster ich zu mir selbst. Nicht nur Claire wird mich umbringen, auch Jo wird es tun. Plötzlich stolpert eine immer noch geschockte Jo vorbei. „Wir sehen uns gleich zuhause!" zischt ihr Claire wütend zu, dreht sich dann zu mir, fasst mich am Handgelenk und zieht mich ebenfalls zum Auto. Ich leiste keinen Widerstand und steige ein. Auf der Fahrt zum Apartment reden wir kein Wort und das ist mir auch ziemlich recht. Claire scheint neben mir stillschweigend zu explodieren und ich habe wenig Lust, sie dabei auch noch anzufeuern. Im Apartment angekommen habe ich vor in mein Zimmer zu flüchten, doch nachdem ich den ersten Schritt in diese Richtung getätigt habe, ertönt Claires Stimme hinter mir. „Nichts da! Setzen! Sofort!" sagt sie in einem Befehlston, der mich erschaudern lässt. Mit hängenden Schultern leiste ich ihr Folge und setze mich auf den Stuhl. Keine 60 Sekunden später betritt auch schon eine kleinlaute Jo den Raum, den Kopf zwischen den Schultern versteckt. Sie lässt sich neben mich fallen und eine unangenehme Stille tritt ein. Vorsichtig greife ich nach Jo's Hand unter dem Tisch. Ich brauche gerade ihre Nähe. Ich habe Angst was als nächstes passiert. Was ist wenn Claire mich raus wirft? Einen guten Grund dazu hätte sie.

"Hailey, kannst du mir bitte erklären, was du mit deiner Aussage gemeint hast?" fragt sie ruhig nachdem sie sich uns gegenüber gesetzt hat. Die ruhige Art von ihr ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Sollte ich beim Friedhof meiner Mum anrufen und sie schon mal beauftragen ein Grab neben dem meiner Mutter auszuschachten? Entweder werde ich gleich gekillt oder Jo, die nicht mehr richtig anwesend zu sein scheint. Sie starrt ins Leere und scheint kaum noch zu atmen. „Während du weg warst ist einiges passiert Claire. Ich hab in der Zeit langsam herausgefunden wer ich nun bin bzw. wer ich sein möchte. Kurz nachdem du weg warst hat Jo mich geküsst, wahrscheinlich um mich wütend zu machen. Das ist nach hinten los gegangen, denn...es hat mir mehr gefallen als es sollte. In den folgenden Wochen wurde mir bewusst das ich mindestens Bi bin und ich ging eine Schein Beziehung mit Vincent ein, der ebenfalls aufs gleiche Geschlecht steht. Ich wollte so dafür sorgen, dass Jo und ich uns nicht näher kommen. Auch das ist nach hinten los gegangen. Ich habe es wirklich versucht Claire, aber am Ende konnte ich mich nicht mehr von ihr fernhalten. Wir haben Gefühle füreinander entwickelt..."beende ich meine Rede und lasse nun meinen Kopf hängen. Sie muss so enttäuscht von mir sein. Nun ist sie dabei die arme Jo zur Schnecke zu machen, die den Stuhl immer weiter runter rutscht und puppy Augen bekommt. Das finde ich an ihr bemerkenswert...sie hat die größte Klappe der Welt und macht einen auf unerreichbar, aber spricht ihre Mutter ein Machtwort wird aus der Eiskönigin ein Welpe der ja und amen sagt. "Hailey, ich bestehe nicht darauf, dass du dich adoptieren lässt, schließlich kann ich das auch gar nicht. Aber was ich kann ist darauf bestehen, dass du dich von Jo fern hältst. Sie wird dich zerstören und ich habe deiner Mutter versprochen, dich zu beschützen. Ich erwarte von dir, mir das hier und jetzt zu versprechen!" befiehlt mir plötzlich Claire und das ist der Moment wo ich aus ticke, der Moment in dem ich mich vergesse. Ich will das nicht! Ich akzeptiere das nicht! Das kann sie nicht machen! Sie will für mich da sein und dafür sorgen das es mir besser geht, dabei nimmt sie mir gerade das, was mich in den letzten Wochen glücklich gemacht hat. Ja okay Jo hat mich oft zu Weißglut gebracht, aber im Grunde erfüllt sie mich und sie lenkt mich von allen anderen negativen Gefühlen ab. Den Tod von meiner Mutter konnte ich so beispielsweise besser verarbeiten, denn ich hatte einfach nicht die Zeit dafür mich in die Situation hineinzusteigern. Ich gehe nicht mehr zur Therapie denn ich brauche sie nicht mehr. Meine Mutter ist bei einem tragischen Unfall gestorben und möglicherweise trage ich die Schuld dafür, doch an der Situation kann ich nichts ändern, egal wie sehr ich mir das wünschen würde. Ich kann es einfach nicht. Was ich aber kann ist meine Zukunft beeinflussen, meine Zukunft formen und nach vorne blicken. So hätte es meine Mutter gewollt. Traurig bin ich ohne Frage, aber ich bin nicht mehr kurz davor in ein tiefes Loch zu fallen und das verdanke ich mehr oder weniger Jo. Wenn Claire sie mir jetzt jedoch wegnimmt, weiß ich nicht was aus mir wird. Ich hab mich in Jo verliebt und ohne es zu wollen ist sie mein emotionaler Anker geworden. Ich will sie nicht aufgeben!