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„Er wird wach" Eine ruhige Stimme erklang und ich öffnete langsam meine Augen. 

Warum fand ich mich so oft in solch einer Situation wieder? War das normal? Ich hoffte zumindest, es würde aufhören, denn ich fühlte mich, als wäre ein ganzer Wald an Bäumen auf mir gestapelt worden.

Ich richtete mich auf, indem ich auf der weichen Matratze zurück rutschte und mich an das Kopfteil des gemütlichen Bettes lehnte. Mit mir im Raum war der ältere Mann, der mich behandelt hatte, Koa und das wütende Mädchen.

„Was ist passiert?", brummte ich, mir an den Kopf fassend.

„Deine Verletzungen sind sehr schwerwiegend, James..."

„Wie schwerwiegend?"

Der Mann seufzte. „Lass mich dir doch erstmal vorstellen, ich war immerhin gerade in deinem Kopf, also ist es nur fair, dass du zumindest meinen Namen kennst, mh?"

„Was?", murmelte ich nur, doch wurde nicht beachtet.

„Ich bin Gordon"

„Okay", antwortete ich verwirrt. Dieses Vorstellen kam etwas spät für meinen Geschmack.

„Bisher habe ich es nicht für wichtig gehalten, meine Identität mit dir zu teilen, immerhin wusste ich nicht, ob du zum Feind gehörst. Was du offensichtlich nicht tust"

„Es kann immer noch eine Falle sein", zischte Koa ihm zu, doch er verstummte allein durch einen Blick von Gordon.

„Bin ich deshalb nicht mehr im Kerker?", hakte ich nach. 

Gordon nickte. „Durch die Prozedur, die ich durchgeführt habe, konnte ich sehen, welche Verletzungen du dir wie zugezogen hast. Ich wollte mich versichern, dass deine Amnesie echt ist. Und das ist sie. Leider bin ich mir nicht sicher, ob sie jemals verschwinden wird, James. Dir wurde schreckliches angetan"

Er kam langsam auf mich zu und deutete auf meinen Oberkörper.

Ich sah darauf herunter und schluckte schwer. Beine Brust, mein Bauch, beinahe jede Stelle meines Oberkörpers, die ich gerade zu sehen bekam, war voller langer, tiefer Narben.

„Wie...?", hauchte ich schockiert und fuhr einige von ihnen mit der Hand nach, um mir zu versichern, dass das Wirklichkeit war.

„Ich würde dir das gerne ersparen, glaub mir. Aber es ist wichtig, dass du die Wahrheit kennst." Gordon setzte sich zu mir und hielt mir die Hand hin, als wolle er sich vorstellen. 

Verwirrt schlug ich ein, spürte plötzlich einen starken Sog und hatte keine andere Wahl es einfach geschehen zu lassen.

Es war, als fiel ich, doch würde trotzdem nach oben steigen, solange, bis ich mich in einem dunklen Raum wiederfand. 

Es war kaltes Gemäuer um mich herum. Ich hatte Angst. 

„Keine Sorge, das ist nur eine Erinnerung. Es ist schon vorbei. Dir kann nichts mehr passieren" Gordan war neben mir, hielt meine Hand und deutete dann in die Mitte des Raumes. Ein junger Mann hing doch, mit den Armen festgebunden an der Decke. Die dunklen, langen Haare verdeckten sein Gesicht, er keuchte und schnappte nach Luft, während ihn die drei Männer vor ihm als Boxsack benutzten und auf ihn einprügelten.

„Was tun die da? Sie sollten aufhören", hauchte ich schockiert. Ich wollte mir das nicht mitansehen. „Es ist Vergangenheit, James, du kannst es nicht mehr ändern. Sei still und pass auf, was passiert"

Eine schwere Tür öffnete sich und mein Vater betrat den Raum. „Aufhören!", befahl er, sodass die Männer ihre Schläge auf ihr Opfer einstellten.

„Na, wie sieht es aus, James?" Mit einem hämischen Grinsen kam er auf den Verprügelten zu.

„Bin das ich?", hauchte ich. Gordon nickte. Wir beide sahen wie gebannt auf die Szene vor uns.

„Fick dich" Mein vergangenes Ich spuckte Blut aus, meinem  damaligen Gegenüber direkt ins Gesicht.

Ihm wurde ein Tuch gereicht und er wischte sich betont ruhig das Gesicht ab.

„Du solltest aufgeben, James. Es sind mittlerweile zwei Jahre. Es wird keiner kommen, um dich zu retten. Du bist ihnen egal"

„Nein!", hauchte ich mit aller Entschlossenheit, die ich nach zwei Jahren voller Folter noch aufbringen konnte. „Sie werden kommen"

„James", seufzte er. „Wann siehst du es denn ein? Ich bin alles, was dir noch geblieben ist. Lass los, dann können wir zusammen etwas wundervolles vollbringen"

Ich sah mich den Kopf schütteln. „Ich werde niemals auf deiner Seite stehen, Walter. Nie!"

„Das werden wir ja sehen", zischte er und schnitt in meinen von den Schlägen verfärbten Brustkorb. Ich schrie schmerzerfüllt auf und in diesem Moment verschwamm die Szene und ich fand mich in einer anderen wieder. 

Ich wachte in dem mir bekannten Bett auf, sah mich um, sprang auf und rannte aus der Tür. Wachen fingen mich ab, verständigten meinen Vater, zerrten mich ins Bett und hielten mich fest, bis er zurück kam und mir eine Spritze verpassen ließ. Erneut wachte ich auf, versuchte wieder zu entkommen, nochmal und nochmal und nochmal und nochmal. 

Ich sah bestimmt mindestens hundert meiner Fluchtversuche. Jedesmal versuchte ich zu entkommen, ich wurde geschnappt, schlimm zugerichtet und bekam eine Spritze, die mich einschläferte und zugleich meine Erinnerungen löschte. Ich wurde auf alle erdenklichen Arten verletzt und misshandelt, doch nie gab ich auf. Bis zu dem Tag, an dem mich entführt wurde.

Ich spürte, wie ich langsam wieder zu mir selbst zurückfand, so als würde ich wieder zugriff zu meinem Körper erhalten und öffnete die Augen. 

Gordon tat im Moment das gleiche, sodass wir uns ansahen.

„Wieso hat er das getan?", hauchte ich schockiert. 

Wie konnte ein Mensch so kaltblütig sein, einem anderen so etwas anzutun? Seinem eignen Sohn?

„Er wusste, dass du sehr mächtig bist. Er wollte dich auf seiner Seite, weil er weiß, dass er keine Chance hat, wenn du gegen ihn stehst..."

Immer wieder sah ich die Szenen, die ich eben wieder erlebt hatte, vor meinem inneren Auge abspielen. „Wieso hat er mich nicht einfach umgebracht?", presste ich bitter hervor, spürte eine ungeheure Wut in mir aufkommen. 

Hilflos. Jahrelang war ich hilflos gewesen und hatte mich seiner Folter aussetzen müssen, bis diese Leute, Fremde, mich gerettet hatten.

„Du solltest dich ausruhen, James. Das war gerade alles sehr viel für dich..."

Gordon stand auf und wollte weggehen, aber ich schnappte nach seiner Hand.

Er schaute mich fragend an, vernahm mein leises „Danke", lächelte und verließ schließlich den Raum. Das Mädchen folgte ihm. Nur Koa blieb noch einen Moment stehen, und starrte mich an.

Ich starrte zurück.

Ich musterte ihn und stellte fest, wie gebrochen er aussah. Seine Haare waren nicht sehr lang, doch sie standen in alle Richtungen ab, sein Gesicht war schmutzig, noch voll mit festgetrocknetem Blut. Es wurde von einem Bartschatten geziert und eben solche Schatten fanden sich auch unter seinen Augen wieder. Er war blass, bis auf die ganzen Tattoos, die beinahe jede Stelle seines Körpers, die ich zu sehen bekam, bedeckten. Seine blauen Augen schimmerten, doch trugen dabei einen Schleier vor sich.

Es schien als würde er mir etwas sagen wollen, doch das tat er nicht. Er ging einfach und ließ mich hier mit Erinnerungen zurück, die ich am liebsten vergessen würde.

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