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Bettelnd schaute ich meine Mutter an. Seit Tagen machte ich alles, was sie sagte ohne Widerworte und half ihr bei der kleinsten Kleinigkeit. Sie musste einfach ja sagen. „Darf Tony noch ein bisschen bleiben? Bitte Mum!"

Meine Mutter seufzte. „Wie lange denn noch, Jamie? Tony ist jetzt schon fast zwei Wochen bei uns. Er kann doch nicht hier einziehen"

„Doch, wenn du es erlaubst schon", protestierte ich.

Meine Mutter sah mich vielsagend an. „Er ist 15, er muss zu seinen Eltern. Schluss mit der Diskussion"

„Aber seine Eltern sind gemein zu ihm, zumindest Walter und Larissa hat Angst vor Walter, also hilft sie Tony nicht. Bei uns geht es ihm gut"

Mum seufzte. „Nein, Jamie, bei dir geht es ihm gut. Das ist ein Unterschied. Jetzt geht hoch und packt seine Sachen. In einer Stunde bringen wir ihn nachhause"

Mein Flehen brachte nichts, also versuchte ich es durch einen Blick, der ihr meine Verzweiflung, Tony gehen lassen zu müssen, deutlich machte. Mum atmete tief durch und wuschelte mit durchs Haar. „Es wird Zeit, dass du auch ihm zeigst, wie wichtig er dir ist...", flüsterte sie mir dabei ins Ohr und ließ mich dann in der Küche stehen.

Ich wusste nicht wirklich, was sie damit meinte, doch, als ich wieder bei Tony in meinem Zimmer war, war mir das auch egal.

„Und?" Hoffnungsvoll schaute er mich an. Ich musste bloß den Kopf schütteln und er begriff.

„Schade", murmelte er und begann die wenigen Sachen, die er mitgebracht hatte, in seine Tasche zu stopfen. Ich half ihm dabei und zusammen räumten wir das Chaos auf, das wir in den letzten Tagen in meinem Zimmer veranstaltet hatten.

Kurz nachdem wir damit fertig waren, begann Mum bereits von unten nach uns zu rufen. Todtraurig trottete Tony los, doch ich hielt ihn an der Hand fest und zog ihn langsam zu mir, um ihn innig zu umarmen.

„Du kannst jederzeit wiederkommen, wenn du willst, okay? Oder ruf mich an, dann komme ich und hole dich da raus, jederzeit."

Ich vernahm sein Nicken. Wir drückten uns so fest aneinander, dass ich beinahe Angst hatte, er würde zerbrechen.

„Wir sollten nicht so tun, als sei es ein Abschied für immer", lachte Tony, doch trug dabei Tränen in den Augen. Es brach mir das Herz, dass er noch immer den Starken spielte, obwohl wir beide wussten, wie viel Angst er davor hatte, zurück nachhause zu gehen.

Seine Worte waren so unwahr, doch das wussten wir noch nicht.

Dennoch ließ ich einfach meine Gefühle übernehmen und strich Tony durch die Haare, bis er sich wieder beruhigt hatte. Er stand mit geschlossenen Augen vor mir, voller Vertrauen, dass er bei mir sicher war und obwohl meine Mum bereits energischer von unten rief, nahm ich mir diesen Augenblick, meine Hände auf seine Wangen zu legen und ihm meinen ersten Kuss zu schenken.

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