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Mein kleiner Badeausflug mit Tony hatte viel Spaß gemacht. Wir waren beide entspannt und sehr gut drauf. Wir hatten gutes Wetter, der Weg war nicht mehr weit und die Stimmung zwischen uns war bestens. Es war ein Traum. Endlich mal ein guter.

„Was ist dein größter Wunsch, wenn das alles endlich vorbei ist?", fragte ich Tony neugierig. „Was willst du dann aus deinem Leben machen?"

Er wirkte überrascht, seine Augenbrauen schossen hoch, doch er begann zu überlegen. „Ich weiß es nicht. Ich habe seit Jahren nur dieses eine Ziel im Kopf. Ich kann mir nicht vorstellen, was ist, wenn ich es erreicht habe. Das ist zu schön, um wahr zu sein"

Ich konnte das nachvollziehen. Das Gefühl, diese Welt nicht auch nur annähernd zu verstehen, machte es mir beinahe unmöglich, mir Wünsche und Träume auszumalen. Ich war mir sicher, das würde mich nur enttäuschen, doch mit Tony... Mit Tony schien irgendwie alles möglich.

„Vielleicht lege ich meine Runen ab und werde Steuerfachangestellter", grinste Tony. Er brachte mich durch diese wunderbar absurde Vorstellung kräftig zum Lachen. „Natürlich, weil das auch so gut zu dir passt. Kannst du überhaupt rechnen?"

„Hei!", stieß er aus und deutete auf eine Rune. „Intelligenz"

„Das bringt dir nichts mehr, wenn du die Rune nicht mehr hast", redete ich dagegen. Er nickte zustimmend und überlegte weiter. „Vielleicht werde ich Stripper... Den Körper habe ich"

Ich verdrehte die Augen über seine übertriebene Selbstliebe. „Auch nur wegen den Runen. Die Kraft, die Größe... Bestimmt hast du auch eine für Sexappeal"

„Du findest also ich habe Sexappeal?" Mit wild wackelnden Augenbrauen und einem zutiefst perversen Grinsen sah Tony mich an.

Ich antwortete nicht darauf, da es ja ziemlich offensichtlich gewesen war, so wie ich ihn beim Anziehen angestarrt hatte. Ich war so erleichtert gewesen, dass ich mich beherrscht hatte, nicht über ihn herzufallen.

„Vielleicht wirst du ja Komiker", schlug ich vor. Er schnaubte. „Das wäre ja wohl eher Carters Job. Er ist so ein Pausenclown, das war er schon immer..."

„Was hast du eigentlich gegen ihn?" Fragend sah ich Tony an, auffordernd, mir die Wahrheit zu sagen. Er zuckte mit den Schultern. „Seine gute Laune kotzt mich einfach an. Ich musste fünf Jahre lang jeden Tag mit mir kämpfen, die Kontrolle nicht zu verlieren, ich war oft so knapp davor, einfach aufzugeben und dann dabei jeden Tag Carters dummes Grinsen ertragen zu müssen, hat mich einfach rasend gemacht. Er vergisst einfach, was passiert ist und lebt mit seiner guten Laune..."

Mitten in seinen Beschwerden, unterbrach ich ihn durch eine Feststellung. „Du bist neidisch auf ihn"

Tony sah mich so an, als wolle er widersprechen, doch in dem Moment schien er selbst einzusehen, dass ich recht hatte. „Er macht sich das Leben so einfach und unkompliziert... Manchmal wünschte ich, ich könnte das auch. Einfach mal alles vergessen. Diese scheiß Vergangenheit, diesen Druck, Walter endlich zu stürzen, diese Angst vor der Zukunft... Die Welt dreht sich unglaublich schnell und reißt uns einfach mit. Ich will einfach mal einen Moment stehen bleiben und genießen, was ich habe, ohne Angst haben zu müssen, es zu verlieren..."

„Dann lass uns das tun" Ich blieb stehen und nahm Tony an der Hand. Zwar waren wir bereits bei dem Baum angekommen und uns fehlten nur noch etwa hundert Meter, doch für Tony wollte ich mir diese Zeit nehmen. Das hatte er verdient.

Er jedoch sah mich kritisch an. „Wir haben doch gar nicht die Zeit dafür..."

„Dann nehmen wir sie uns", beschloss ich und sah ihn eindringlich an. „Mach einfach, was du eben gesagt hast. Vergiss alles. Vergiss, was passiert ist, vergiss, was dich belastet, vergiss, wo wir sind und was wir vorhaben. Vergiss, was dir genommen wurde. Denk daran, was du hast und genieß es einfach. Lass los."

In dem Moment, als ich aufhörte zu sprechen, zog Tony meinen Kopf zu sich, indem er seine Hände auf meine Wangen legte und presste seine Lippen auf meine, als wäre es sein letzter verzweifelter Versuch zu atmen, bevor er ertrank.

Ich war so schockiert davon, dass ich meine Augen weit aufriss, doch in dem Moment, als Tony etwas lockerer ließ und mich sanfter küsste, schlossen sie sich wie von selbst und ich erwiderte die Zärtlichkeit seiner Lippen. Eine seiner Hände wanderte an meinen Rücken, um mich näher an ihn zu pressen, während die andere leicht über meine Wange strich.

Mein Herz feierte gerade sein eigenes Feuerwerk und mein Magen flatterte wie verrückt, dennoch wurde ich unglaublich ruhig und ließ mich einfach fallen. Ich war voll und ganz auf diesen Moment konzentriert, auf Tony und darauf, ihm zu zeigen, wie sehr ich das hier genoss.

Als ich beinahe keine Luft mehr bekam, da ich gar nicht auf die Idee kam zu atmen, löste Tony unsere Lippen voneinander und lehnte seine Stirn an meine. Er lächelte dabei. Einen Moment verbrachen wir so, ehe er seine Stirn wieder von meiner löste, um mich innig anzusehen. Ich strahlte ihn quasi an, doch sein Gesichtsausdruck veränderte sich.

„Jamie...", hauchte er ungläubig. „Deine Augen..."

Ein grelles goldenes Licht erstrahlte von rechts aus. Wir beide sahen dorthin und ich bemerkte, wie sich diese Wärme in mir, die Tony durch seinen Kuss ausgelöst hatte, enorm verstärkte.

„Jamie..."wiederholte Tony erneut, als ich mich leicht von ihm löste und sah mich panisch an.

„Alles ist gut, Tony", versicherte ich ihm lächelnd, ließ völlig von ihm ab und ging auf den Baum zu. Je näher ich ihm kam, desto vollkommender fühlte ich mich. Tony blieb in angemessenem Abstand. Er vertraute mir und ich wusste, ich konnte mir ebenfalls vertrauen. Ich war soweit, dieses Geschenk anzunehmen. Mich selbst anzunehmen.

In dem Moment, als meine Hand, die Rinde des Baumes berührte, breitete sich das Licht enorm aus, beinahe so, als erhellte es plötzlich den gesamten Wald. Dann ging es ganz schnell, es versammelte sich in meiner Brust, kurz zog es ein wenig und dann war es vorbei. Kein Leuchten mehr, kein goldenes Licht, nur noch Vollkommenheit.

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