Seit Gordon wusste, dass ich die unidentifizierbare Sprache lesen konnte, hatte er mich dazu beauftragt, mir auch alle davon durchzulesen, da sie sehr wichtig sein konnten. Von den anderen Büchern hatte er mir Zusammenfassungen gegeben, die aber ebenfalls nicht gerade kurz waren, damit ich eventuelle Details miteinander verknüpfen konnte und einen Schluss daraus ziehen. Das war mir in die letzten Tage ziemlich über den Kopf gewachsen. Ich hatte nichts anders mehr gemacht. Deshalb brauchte ich nun ein bisschen Zeit für mich und schlenderte am Rand des Dorfes im Wald entlang, damit ich mich nicht verlief. Ich erkannte nicht, wie ich immer größer werdende Kreise zog und dabei die mir bereits bekannte Melodie summte. Es begann, mich in eine bestimmte Richtung zu ziehen und ich bildete mir ein, wenn ich immer geradeaus lief, würde ich mich schon nicht verlaufen können. Also gab ich dem Drang nach und folgte dem Gefühl in mir. Die Melodie in meinem Kopf wurde immer hörbarer und deutlicher. Sie kam mir bekannt vor, doch nicht, weil ich sie nun schon seit einiger Zeit in meinem Kopf hatte. Irgendwie musste sie ja dort rein gekommen sein.
„James?" Ich verstummte, als jemand meinen Namen aussprach und mir die Hand auf die Schulter legte. „Alles okay?"
Ich sah in Koas blaue Augen, die mich besorgt musterten.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf, um wieder etwas Klarheit zu bekommen, murmelte dabei: „ich denke schon" und schaute über seine Schulter hinweg in den Wald hinein auf eine unbestimmbare Stelle, die mich magisch anzuziehen schien.
„Das wirkte aber nicht so, als du gerade wie versteinert an mir vorbei gelaufen bist...", meinte Koa und legte die Hand auf meine Stirn. „Kein Fieber", murmelte er dabei nachdenklich.
„Mir geht's gut, Koa" ich schob seine Hand weg und trat einen Schritt zurück. Es kam mir so vor, als habe er mich bei etwas wichtigem unterbrochen. Gleichzeitig verstand ich nicht, wieso er jetzt so einen auf besorgt machte. Sonst interessierte er sich ja auch nicht für mich.
„Was machst du überhaupt hier alleine? Du kennst dich hier noch gar nicht aus..."
„Also erstens bin ich schon groß und kann ganz gut auf mich selbst aufpassen. Und zweitens wollte ich einfach mal den Kopf frei kriegen, frische Luft schnappen, einen Spaziergang machen, nenne es wie du willst"
„Schon okay, kein Grund, mich so anzuzicken" Ich bemerkte erst, wie harsch meine Antwort geklungen hatte, nachdem Koa das sagte und nochmal einen Schritt zurückging.
Ich seufzte beschämt. „Tut mir leid, ich bin, denke ich, einfach ein bisschen gestresst..."
Koa nickte verstehend. „Ist ja auch alles viel für dich auf einmal"
Wir schauten uns kurz einfach nur an, bis mir der Bogen in seiner Hand auffiel. „Was machst du hier?"
Koa hob die Waffe leicht an und schmunzele stolz. „Ich sorge fürs Abendessen"
„Indem du dich mit mir unterhältst?", hakte ich verwirrt nach, mit provokantem Unterton.
Er verdrehte die Augen. „Nein, eigentlich war ich gerade jagen. Dann ist hier so ein fetter Elefant vorbeispaziert und hat meine Beute verjagt..."
Ich verstand zuerst absolut nicht, was er damit aussagen wollte, doch sein Blick reichte, damit ich begriff, dass er mich damit meinte.
„Hei! Ich habe schon verstanden, dass du mich nicht leiden kannst, das ist kein Grund, so angreifend zu werden!"
Koa lachte leicht. Es enthüllten sich eine Reihe weißer Zähne, ebenso wie ein Grübchen an seiner rechten Wange. Sein Lachen klang etwas rau, fast so als sei er eingerostet, was das anging. Mir fiel auf, dass dies das erste mal war, dass ich ihn lachen sah.
„Du hast ein schönes Lachen" Ich begriff gar nicht, dass mein Mund diese Worte geformt hatte, bis Koas Blick sich veränderte und sein Lachen zurückging. Er schluckte.
„Üblicherweise antwortet man auf Beleidigungen nicht mit einem Kompliment", belehrte er mich. Er wirkte niedergeschlagen dabei.
Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist die Wahrheit. Du solltest öfter Lachen"
Nun seufzte er. „Bisher hat mir der Grund dazu gefehlt"
„Was hat sich geändert?", fragte ich ahnungslos.
Koa lachte leicht auf, doch diesmal klang es bitter. „Dadurch, dass ich weiß, dass du am Leben bist und es die ganze Zeit warst? Einfach alles, Jamie"
Jamie. Er hatte mich Jamie genannt. Dieses Gefühl in meiner Brust, beinahe so, als würden viele kleine Ameisen dort herumkrabbeln, es kam mir so bekannt vor, als ich diesen Namen aus seinem Mund hörte.
„Koa...", setzte ich an und machte einen entschlossenen Schritt auf ihn zu. „... ich möchte, dass du mir von früher erzählst... Woher wir uns kennen..."
Er schüttelte den Kopf und schaute zu Boden.
„Bitte, Koa, du hast keine Ahnung, wie wichtig das für mich ist... Ich habe keine Ahnung wer ich bin, das einzige, was ich weiß, ist das, was mir erzählt wird, von wildfremden Menschen, aber du kennst mich und ich spüre, dass ich dich kenne, aber ohne deine Hilfe werde ich mich nicht erinnern. Bitte rede mit mir, sag mir, wer ich bin. Du bist der einzige, der das kann..."
„Nein, ich kann eben nicht", brüllte er plötzlich, sodass ich zusammenzuckte. „Ich kann nicht", wiederholte er leiser und sah mich dabei entschuldigend an..
Zutiefst enttäuscht und verletzt schüttelte ich den Kopf. „Wieso?" War ich ihm so egal? Ich spürte doch ganz deutlich, dass es da etwas gab, das uns verband. Wieso konnte er nicht einfach ehrlich sein?
„Du würdest mich hassen", hauchte er beinahe tonlos und sah mich verzweifelt an, mit dem Flehen in seinem Blick, ihn nicht weiter zu drängen, da er genau wusste, dass es mir zustand, die Wahrheit zu wissen.
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Memories
Fantasy"Die Evolution hat es bewiesen: Nur die Besten, nur die Stärksten, nur die Kaltblütigsten überleben. Heute heißt es: Wir oder die anderen! Leben oder tot! Aber wir haben einen Vorteil: Wir haben Magie!" Ich bin James, 21, und das ist die Geschichte...