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Den ganzen Tag über hatten Tony und ich auf unserer Reise gelacht. Dadurch, dass ich mich an nichts von früher erinnerte und er mir das Schlimmste bereits anvertraut hatte, gab es nun nichts mehr, das ihn aufhielt, mir von unserer gemeinsamen Zeit zu berichten. Wir waren verrückte kleine Jungs gewesen.

Jetzt lagen wir da in dem provisorischen Unterschlupf, den wir gebaut hatten, damit wir es einigermaßen warm und gemütlich hatten. Tony lag auf dem Rücken mit ausbreiteten Armen, sodass ich gar keine andere Wahl hatte, als meinen Kopf auf seinem Bizeps zu Betten. Da ich mich dabei von ihm wegdrehte, sah ich auf seinen Unterarm. Die Innenseite war nicht ganz so voll mit Runen, doch bei genauerem Hinsehen erkannte ich etwas anderes. Ich legte meinen Arm zu seinem, um zu vergleichen. Er hatte dieselbe Brandnarbe wie ich, nur, das meine aus einem A bestand und seine aus einem J. Wir hatten uns in der Haut des anderen verewigt. Obwohl das bestimmt schmerzhaft gewesen war und mit Sicherheit sehr dumm, lächelte ich und strich leicht mit dem Zeigefinger über seine Narbe.

Tony brummte dabei verschlafen und drehte sich zur Seite. Er legte dabei den Arm um mich und schmiegte sich an meinen Rücken. Kurz hatte ich Panik, ihn aufgeweckt zu haben und, dass er mich nun umbrachte, doch er schien tief und fest zu schlafen, als er sich an mich kuschelte. Lächelnd machte ich es mir ebenfalls etwas gemütlicher und legte dabei meine Hand auf seine, die auf meinem Bauch platziert war. Ich spürte sein Herz gleichmäßig und kräftig gegen meinen Rücken pumpen und bildete mir ein, meines würde sich dem Takt des seinen anpassen. Es beruhigte mich unheimlich, so dazuliegen, mich so sicher zu fühlen, so geborgen. So, als sei ich angekommen und das, obwohl ich mitten im Wald herum lag und jede Zivilisation mindestens einen Tagesmarsch von uns weg war. Doch darum ging es nicht. Es ging um Tony und mich.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals so gut geschlafen zu haben wie in dieser Nacht. Als ich jedoch am Morgen wach wurde und bemerkte, dass Tony nicht mehr bei mir war, bekam ich eine leichte Panik. Ich schaute mich suchend um, sprach seinen Namen fragend aus und richtete mich dabei auf. In unserem Unterschlupf war er nicht mehr.

Ich konnte mich nicht einfach wieder hinlegen und weiterschlafen, wenn ich nicht wusste, was mit Tony war, also stand ich auf uns suchte nach ihm. Sofort erkannte ich seine Klamotten an dem Baum neben mir hängen. Sie waren etwas nass. Verwirrt sah ich mich weiter um und ging dann geistesgegenwärtig zu dem See, neben dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten. Ich erkannte seinen dunklen Haarschopf darin und rief seinen Namen. Er stoppte mit dem Schwimmen und sah zu mir. „Komm rein!"

Mit verschränkten Armen stand ich am Ufer und sah kritisch auf das Wasser, während er näher zu mir schwamm. „Ich weiß nicht. Das ist bestimmt total kalt..."

„Dann wärme ich dich halt... sowie letzte Nacht" Er zwinkerte mir zu und grinste dabei stolz.

Kopfschüttelnd lehnte ich sein Angebot ab und schmollte dabei innerlich, da er sich schon wieder über mich lustig machte.

„Komm schon, Jamie, ich hab keine Lust, dass du zu stinken anfängst. Zieh dich aus und komm rein..."

„Ausziehen?!" Aus großen Augen schaute ich ihn an.

Er lachte leicht. „Was? Hast du Angst, dass dir Fische deinen kleinen Pullermann abbeißen?"

„Na warte", zischte ich nur und begann mich mit wütenden Bewegungen auszuziehen. Er lachte und schwamm wieder etwas rein. Klar wusste ich, dass er mich absichtlich provoziert hatte. Trotzdem hatte ich mir das einfach nicht gefallen lassen wollen. Ich hängte meinen Klamotten ebenfalls an einen Ast, damit sie zumindest auslüfteten und stieg schließlich ins Wasser. Ja, es war verdammt kalt und am liebsten hätte ich mich sofort wieder angezogen und vor ein warmes Kaminfeuer gekuschelt, doch diese Blöße wollte ich mir einfach nicht geben. So schwamm ich also zu Tony, der mich bereits freudig erwartete.

„Ist doch gar nicht so schlimm", lächelte er.

Ich schnaubte. „Sagte der Typ, der unzerstörbar ist..." Beim Sprechen zitterte ich, sodass Tonys Grinsen stark zurückging und er mich besorgt aus zusammengezogenen Augenbrauen ansah. „Okay, lass uns rausgehen" Er machte sich Richtung Ufer, aber ich zog ihn zurück mit den Worten: „Wenn wir schon hier sind, können wir auch gleich eine Wasserschlacht machen." Ehe er sich versah, drückte ich ihn auch schon unter Wasser und unser kleiner Krieg begann. Natürlich waren es eher neckische Spielchen als ein richtiger Kampf, doch es ging trotzdem ums Gewinnen. Ich hatte dabei keine Chance. Tony war stärker und schneller als ich.

„Okay, okay, ich gebe auf!" Schweratmend sah ich ihn an und bat ihn dadurch, aufzuhören. Er schmunzelte, mich dabei betrachtend. „Und was bekomme ich jetzt?" Meine Augenbrauen zogen sich fragend zusammen. „Na, weil ich gewonnen habe. Mein Preis", erklärte er.

Ich schnaubte. „Du darfst mir den Arsch lecken"

Überrascht riss er die Augen auf. „Sei mir nicht böse, aber ich glaube nicht, dass wir schon so weit sind..."

„Das war doch nicht ernst gemeint!", kreischte ich und spritzte ihm empört eine Ladung Wasser ins Gesicht. Er fing mein Handgelenk ab und zog mich daran zu sich. „Das weiß ich doch"

Er lächelte mich versöhnlich an und erneut konnte ich nicht anders, als ihn bewundernd zu betrachten. Durch das Wasser sahen seine Haare jetzt zum ersten mal ordentlich aus, da er sie beim durchstreichen nach hinten verbannt hatte. Trotzdem perlte aus einigen Strähnen die Flüssigkeit in sein Gesicht. Ich fand, seine Augen stachen im Moment besonders hervor, vor allem durch das Sonnenlicht, das die Wasseroberfläche stark glänzen ließ. In Tonys Augen sah ich ein Licht, das nichts mit dem Scheinen der Sonne zu tun hatte. Es kam aus seinem tiefsten Inneren und wirkte beinahe so, als müsse es erstmal lernen, wieder richtig zu strahlen, da er vor langer Zeit erloschen und seitdem nicht mehr auch nur kurz aufgeflackert war.

Tony sah mich ebenfalls die ganze Zeit einfach nur an. Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was er sich dabei dachte, doch ich konnte in seinen Augen erkennen, was er fühlte. Freude, Glück, Sehnsucht, Zuneigung, Vertrauen.

„Ich habe dich so vermisst", flüsterte er schließlich und legte eine seiner Hände an meinen Hals, um mit dem Daumen meinen Kiefer nachzufahren. „So sehr"

Ich konnte es nicht erwidern, ich hatte nicht mal gewusst, dass es ihn überhaupt gab. Jedoch fühlte ich in dem Moment, dass er das war, war mir immer gefehlt hatte. Vielleicht hatte ich mich nicht bewusst an ihn erinnern können, doch mein Herz hatte es getan. Die ganze Zeit. Ich wusste, es hatte einen Grund geben müssen, warum ich nie aufgegeben hatte, egal, was Walter mit abgetan hatte. Selbst, als ich Tag für Tag versuchte zu fliehen und mir immer wieder die Erinnerungen genommen wurden... ich wusste, ich hatte einen Grund zum Kämpfen. Jemanden, der mich erwartete. Jemand, zu dem ich gehörte.

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