Vorbei

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Da stand ich. Alleine gelassen von dem Menschen, der mir alles bedeutete. Seit ich denken konnte, war er an meiner Seite gewesen und hatte mich nie alleine gelassen. Jetzt war es anders. Mike war gegangen und ich musste damit leben. Ich hatte wirklich gehofft, dass er bei mir geblieben wäre. Es schmerzte mich, wie sehr ich das alles wollte. Wie sehr ich ihn wollte. Hätte mir jemals jemand gesagt, dass ich irgendwann mal mehr als nur Freundschaft für Mike empfinden würde, hätte ich dem Jemand einen Vogel gezeigt. Traurig ging ich wieder in den Club und hielt nach Jack Ausschau. Er unterhielt sich gerade mit Mike. Es versetzte mir einen Stich, wie er da einfach unbeschwert mit meinem Bruder lachte und auf eine Frau deutete, die ihn abwartend ansah. Mit gesenktem Kopf holte ich mein Handy aus meiner Tasche und rief mir ein Taxi.

Das kühle Leder der Rückbank, klebte unangenehm an meiner Haut. Der Taxifahrer legte es nicht darauf an, sich mit mir zu unterhalten, also verbrachte ich die Fahrt schweigend. Meine Gedanken liefen auf Hochtouren und ich konnte es einfach nicht verhindern, dass sich ein paar einzelne Tränen auf meine Wange verirrten. Schniefend wischte ich sie weg und bezahlte. Leise schlug ich die Autotür zu und kramte den Schlüssel raus. Meine Mutter empfing mich mit einem Lächeln und musterte mich eingehend.
„Wo ist dein Bruder?"
„Noch im Club."
„Warum seid ihr nicht zusammen gegangen?"
„Ma... Jack will bestimmt auch mal eine Stunde nicht auf mich aufpassen. Lass ihm seinen Spaß."
„Wenn du meinst. Sag ihm aber bitte bescheid, dass du gegangen bist."
„Mach ich. Gute Nacht."
Sie ließ mich gehe und ich sank schließlich erschöpft auf mein Bett. Halb in Gedanken, schrieb ich Jack noch eine SMS, bevor ich mich auszog und unter meine schützende Bettdecke krabbelte. Jetzt konnte die Nacht kommen. Ich würde mit großer Wahrscheinlichkeit mit verheulten Augen aufwachen und Kopfschmerzen.

Wie Recht ich doch gehabt hatte! Tiefe Augenringe und gerötete Augen zierten mein blasses Gesicht. Selbst das Make-up konnte nicht alles verdecken, zu meinem Leidwesen. Meine Laune war im Keller. Wie sollte ich so bitte in die Schule, ohne dass jemand etwas bemerkte?!
Genervt stapfte ich an der Küche vorbei und zog mir meine Chucks im Flur an. Der Tag schien so unschuldig zu beginnen. Die Sonne wärmte meine Haut und ich sog den frischen Duft nach Rosen ein. Unsere Mutter hatte den kleinen Rosengarten damals angelegt und kümmerte sich seit dem jeden Tag um ihre kostbaren Blumen. Der Herbst zeigte seine ersten Anzeichen. Die Luft war kühler als sonst und ich fröstelte kaum merklich.
Mit schnellen Schritten ging ich zur Schule. Jawohl! Ich lief zu Fuß zu meiner höchstpersönlichen Hölle. Dort würde ich unweigerlich Mike begegnen und ich hatte keinen Plan, wie ich mich verhalten sollte.

Ich saß auf meinem gewohnten Platz am Fenster in der noch leeren Klasse. Mein Blick starr auf die Tür gerichtet, wartete ich. Auf wen? Mike natürlich. Sonst kam er auch immer vor dem Unterricht zu mir...
Enttäuscht weiteten sich meine Augen, als Brown die Klasse betrat. Unwohl rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her.
„Mae?"
Seine Stimmte hallte laut in meinem Kopf wider. Oh Gott! Brown wollte doch hoffentlich nicht über den Vorfall bei mir zu Hause reden!
„Was gibt's?"
„Du hast mir immer noch nicht deinen Überarbeiteten Aufsatz abgegeben."
„Oh. Das habe ich total vergessen."
„Tja, das tut mir wirklich leid, aber jetzt kann ich ihn nicht mehr annehmen."
Scheiße! Sein selbstgefälliger Blick half nicht gerade, den Sturm, der in mir tobte, zu beruhigen. Mike und Brown. Zwei unterschiedliche Menschen, die anders nicht hätten sein können, brachten mich fast um den Verstand.


Zum Glück trat gerade eine Gruppe von Schülern ein und verhinderte so jede weitere Kommunikation. Wenigstens musste ich mich nicht auch noch damit rumschlagen.
Die Stunde war zu Ende und ich wollte nichts lieber, als nach Hause zu gehen und mich zu verkriechen. Ich packte meine Sachen ein und schulterte meine Tasche. Vor der Klasse, in dem langen Flur, stand er und wartete bereits auf mich.
Mike stieß sich von der Wand ab und kam zu mir. Unsicher lächelte ich ihn an.
„Na."
„Hey."
Ein peinliches Schweigen trat ein und ich konnte und wollte das einfach nicht mehr aushalten.
„Entschuldige mich, aber ich muss los, Mike."
Seine Augen verengten sich und ich wusste, dass ihm aufgefallen war, dass ich ihn nicht Mike genannt hatte. Aber das konnte mir egal sein, da ich eh ging. Es war schwer, ihn einfach stehen zu lassen, aber meine Gefühle spielten einfach verrückt. Wer weiß, was ich sonst noch gesagt oder getan hätte?!
Der Vormittag verging schnell und als ich jetzt nach Hause laufen musste, verfluchte ich mich für meine eigene Dummheit. Wäre ich heute Morgen einfach mit Jack gefahren...!
Das große Haus lag still da. So still, dass meine eh schon schlechte Laune nur noch schlechter wurde. Mit dem Schokoeis aus dem Gefrierfach, setzte ich mich auf die Couch und weinte.

Ich schreckte zusammen, als mich jemand an der Schulter berührte. Meine Augen brannten und das restliche Eis war mittlerweile in meiner Schale geschmolzen. Verwirrt schaute ich in Jacks Augen.
„Was ist los, Kleine?"
Ich schüttelte nur den Kopf und vergrub mein Gesicht in den Händen.
„Bitte, rede mit mir. Vielleicht kann ich dir helfen."
„Nein, kannst du nicht."
„Dann sag mir, was passiert ist."
„Ich bin verliebt, das ist passiert."
„Und deswegen weinst du?"
„Verdammt, Jack. Lass mich einfach in Ruhe."
„Mae..."
Seine starken Arme umfingen mich und ich ließ mich einfach gegen ihn sacken. Der Stoff seines Shirts wurde von meinen Tränen durchnässt, doch er ließ mich einfach weinen. Ich krallte mich an ihn und schluchzte.
„Shhht... Alles wird wieder."
Beruhigend streicht er über mein Rücken und ich genieße seine Berührungen. Die Wärme, die von ihm ausgeht, umhüllt mich und ganz langsam werde ich immer ruhiger, bis schließlich keine Tränen mehr kamen.
Entschuldigend sah ich Jack und schniefte.
„Danke."
Meine Stimme klang heiser und kratzig. Ich hustete und trat dann zurück. Doch er ließ mich nicht los und beobachtete jede meiner Bewegungen.
„Sag mir bitte, was los ist."
„Ich kann nicht. Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut."
„Gut sieht aber anders aus und NATÜRLICH mache ich mir Sorgen. Du bist meine kleine Schwester und ich will, dass du immer glücklich bist."
Ich lächelte ihn müde an und schüttelte den Kopf.
„Du musst nicht alles wissen. Es gibt so was, das nennt sich Privatsphäre."
„Ach, komm schon. Das hat hier noch nie existiert. Muss ich dich daran erinnern, wie oft du früher..."
„Schon gut! Pass auf, wenn du das irgendwem erzählst, bringe ich dich eigenhändig um."
Dann erzählte ich ihm alles. Das mit Brown und meine Gefühle für Mike. Er hörte mir gespannt zu und hielt dabei meine Hand. Als ich dann geendet hatte, seufzte er laut und gab mir einen Kuss auf den Haaransatz.
„Vielleicht sollten wir zur Polizei, wegen Brown..."
„Nein, immerhin habe ich ja zuerst damit angefangen, falls du dich an die Party erinnerst."
„Bilder, die ich lieber verdrängen möchte. Aber das mit Mike ist eine scheiß Situation."
„Du wirst ihm nichts sagen!"
„Keine Angst. Vielleicht solltest du mit ihm reden."
„Vergiss es. Es ist vorbei, okay?"
„Wenn du meinst."
Sein sanftmütiger Blick brachte mich erneut zum Lächeln und ich stieß ihn leicht in die Seite.
„Lass uns jetzt was anderes machen."
Er akzeptierte, dass ich nicht mehr darüber reden wollte und ließ mir meinen Freiraum.


Leidenschaft verboten!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt