Irgendwann gibt es keine Grenzen mehr..

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Ein Bruderschwestertag. Jetzt fühlte ich mich schon besser. Gut, vielleicht auch nur, weil ich pitschenass, zusammen mit meinem Bruder, nach Hause rannte und ausnahmsweise nicht an Mike denken musste. Es regnete in Strömen. Klar musste ich da nass werden, wäre ja sonst nicht mein verdammtes Leben! Lachend stürzten wir ins Haus und holten uns Handtücher aus dem Bad.
„Danke, Jack."
„Das ist doch selbstverständlich, Kleines."
„Wenn ich dich nicht hätte."
Er strich mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht und zog mich in seine Arme.
„Du siehst wunderschön aus, wenn du lachst. Also sei nicht mehr traurig."
„Du alter Charmeur! Bestellen wir uns was?"
„Hey, ich bin noch jung und überaus attraktiv. Klar, wie immer?"
„Sicher, Bruderherz. Sind das da erste graue Haare?!"
„Wird da jemand frech?"
„Und wenn's so wäre. Mach dich nützlich und bestell endlich was."
Ich grinste. Aber nicht mehr lange. Jack warf mich über seine breite Schulter und trug mich nach oben.
„Lass mich runter! Du...!"
Wir waren im Bad. Ich plötzlich gegen die Wand gedrückt und Jack direkt vor mir. Sein Atem strich warm über meinen Hals und ich bekam Gänsehaut. Seine Augen fixierten mich und ich hielt die Luft an. Verdammt, so nah waren wir uns noch nie gewesen und es war anders als sonst. Seine Hand am meinen Rücken fühlte sich warm an und verursachte ein Ziehen in meinem Bauch. Seine traurigen Augen musterten mich ungehalten und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Wie erstarrt konnte ich meinen Blick nicht abwenden.
„Du kannst immer zu mir kommen, egal was ist, Kleine."
Sanft strichen seine Finger über meine Wange und blieben an meiner Halsbeuge liegen.
„Ich weiß."
Es war nur ein Flüstern, aber laut genug, damit er es verstand. Mit einem Lächeln küsste er mich auf die Schläfe und brachte dann wieder Abstand zwischen uns.
„Du gehst duschen und ich bestelle. Beeil dich aber, sonst fange ich ohne dich an zu essen."
„Das wagst du nicht."
Ich war ihm dankbar, dass er wieder auf das vertraute Territorium wechselte und wir uns gegenseitig anzickten, falls man das so nennen konnte. Ich ging duschen und setzte mich dann, ganz im Schlabberlook, ins Wohnzimmer und schaltete durch das Abendprogramm.
Jack duschte wahrscheinlich gerade selbst, denn das Geld lag noch auf dem Tisch. Es klingelte und nichtsahnend machte ich auf, als ich jedoch sah, wer da stand, erstarb mein Lächeln.
„Hey, Mae. Ist Jack da?"
„Mike... Ehm ja. Er duscht glaub ich gerade."
„Kann ich rein kommen?"
Ich trat beiseite und beobachtete ihn genau, wie er an mir vorbei ging und sich ins Wohnzimmer setzte. Mein Herz schlug wild und ich presste meine Lippen zu einem Strich. Was zur Hölle hatte mein Leben nur gegen mich?!
In der Küche holte ich Teller raus und stellte sie auf die Anrichte. Zusammen mit einem Bier ging ich wieder ins Wohnzimmer und gab Mike die Flasche.
„Danke. Kannst du Gedanken lesen?"
„Nicht das ich wüsste."
Er verhielt sich, als wäre nichts passiert. Wieder ein Arschloch durch und durch. Nicht, dass er je etwas anderes gewesen wäre.
„Mein Mädchen weiß eben, was ich brauche."
Er zwinkerte mir zu, runzelte aber die Stirn, als er merkte, dass ich gar nicht lächelte.
„Was ist los, Mae?"
„Nichts. Was soll los sein?"
„Keine Ahnung, du verhältst dich so komisch. Spuks schon aus, ich kenne dich, Süße. Du kannst mir nichts vor machen."
Himmel, ich konnte ihm doch jetzt nicht sagen, dass ich mich in ihn verliebt hatte!! Verlegen, wurde ich rot und schaute auf meine Hände, die in meinem Schoß verschränkt lagen.


„Wirklich, Mike. Es ist nichts."
„Schon allein, dass du mich nicht mehr Mike nennst, verrät dich. Also?"
„Verdammt, du hast es so gewollt! Ich... ich habe mich in dich verliebt. Zufrieden?"
Im ersten Moment war er sprachlos, dann verfinsterten sich seine Gesichtszüge und er schaute mich lange an, bevor er etwas sagte.
„Du weißt, dass du mein Mädchen bist, aber..."
Ich hob abwehrend die Hände.
„Ist schon gut. Du brauchst mir nichts zu erklären. Keine Angst, ich werde dir bestimmt nicht hinterherlaufen, wie deine anderen Schoßhündchen."
„Hey, ich will nur, dass sich zwischen uns nichts verändert. Ich mag dich, aber es war bis jetzt immer gut so, wie es war. Daran möchte ich nichts ändern."
Schulterzuckend stand ich auf und ging in mein Zimmer. Meine Augen brannten und ich wusste, dass ich gleich anfangen würde loszuheulen. Es tat verdammt weh, zu wissen, dass er mich eiskalt abgewiesen hatte und nie mehr als eine gute Freundin in mir sehen würde. Das hatte ich mir selbst zuzuschreiben, aber trotzdem versetzte mir das einen Stich.
Wie sollte ich mich bitte ihm gegenüber wieder normal verhalten?
Die erste Träne schlich sich ihren Weg über meine Wange und dann konnte ich auch die restlichen nicht mehr aufhalten. Mist! Wieso musste ich in letzter Zeit auch so oft heulen! Wie ich die sorglosen Zeiten vermisste, in denen ich nichts Besseres zu tun hatte, als den Jungs die Herzen zu brechen. Nämlich im Kindergarten...
Ich schmunzelte, als ich an damals dachte. Müde wischte ich die Tränen weg und warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel, bevor ich wieder runter ging. Immer lächeln... einfach lächeln.
Jack war mittlerweile ebenfalls unten und sprach mit Mike in einem leisen Flüsterton. Dieser sah nicht gerade erfreut aus und als er mich bemerkte, verstummten die beiden.
„Was, sagt bloß, ihr redet über mich?!"
Ich bedachte beide mit einem höhnischen Lächeln und setzte mich dann neben Mike auf die Couch.
„Also, was gibt's denn so spannendes über mich zu erzählen?"
Mein Bruder starrte mich ungläubig an und Mike sah nicht besser aus.
„Nichts."
Ich lachte, aber so richtig. Da war nichts Bitteres dabei, ich war einfach nur amüsiert über diese Gesichtsausdrücke.
„Bloß weil ich verliebt bin, heißt das nicht, dass ich jetzt ein anderer Mensch bin. Kriegt euch Jungs, so wichtig seid ihr nicht."
Herausfordernd zog ich die Augenbrauen hoch und wartete auf eine Reaktion.
Mike räusperte sich und fing dann ebenfalls an zu lachen.
„Du bist unmögliche, Mae."
„Haha, Mike. Hast du etwas anderes von mir erwartet!"
Ja! Innerlich tat es verdammt weh, aber ich wollte ihn nicht ganz verlieren. Wenigstens als Freund brauchte ich ihn.
Jack sah uns nur verständnislos an und richtete sich schließlich auf, weil es klingelte. Mit zwei Pizzakartons und den Tellern aus der Küche kam er wieder.
„Ich glaube, er hält uns für verrückt."
„Was soll's. Lass uns jetzt essen."
„Über was redet ihr, etwa mich?"
Jack stellte das Essen auf den Wohnzimmertisch ab und sah uns fragend an.
„Mach dich locker, man. Mein Mädchen und ich haben uns wiedergefunden."
„Wenn du das sagst, hört sich das an, als würdest du Bushido nachmachen. Lass es lieber, auf so was stehen Mädel nun wirklich nicht."
„Sagt die, die eine ganze Playlist von ihm hat."
„Ach, halt die Klappe, Alter."
Wir lachten und ich verschluckte mich an meiner Pizza.
„Tja, kleines. Niemand macht ungestraft den King des Raps nach."
„Und wo bleibt dann deine Strafe?"
„Ich hab meinen eigenen Style, auf den die Weiber abfahren."
„Gott, verschone mich!"
Jack war die ganze Zeit über sehr schweigsam und beobachtete uns nachdenklich. Als ob er gleich aus einem Traum aufwachen würde...
„Jack, entspann dich. Wir haben das geklärt."
„Ob das gut geht..."
„Deine Schwester sagt dir jetzt, dass alles in Ordnung ist. Hör auf, dir Sorgen zu machen und lach endlich."
Kopfschüttelnd wuschelte er mir durch die Haare und ließ sich endlich gehen.

Der Abend war schön. Klar, es war schwer für mich, zu akzeptieren, dass nichts zwischen mir und Mike laufen würde und trotzdem genoss ich seine Nähe. Es war fast wie in alten Zeiten. Aber eben auch nur fast.
Jetzt lag ich in meinem Bett und lächelte. Hauptsache, ich verlor ihn nicht ganz, das stimmte mich irgendwie wieder fröhlicher.
Damit konnte ich leben, hoffte ich zumindest...

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