Enttäuschung und Isolation

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Schlussendlich liegen wir noch ungefähr zwei Stunden im Bett. Reden über nichts, sondern... liegen einfach da. Ich genieße zumindest meinen wahr gewordenen Traum und kann mir ein glückliches Lächeln nicht verkneifen. Ich speichere alles genau ein. Wie warm er ist, wie sich deine Finger in meinen Haaren anfühlen, der Atem, der gleichmäßig über meine Stirn pustet, das regelmäßig schlagende Herz... Denn ich fürchte, das wird nicht mehr so schnell vorkommen. Und dann habe ich wenigstens was für einsame Nächte. Für Zeiten... in denen ich mich komplett allein fühle. Weil ich mit niemanden darüber reden kann. Nicht möchte. Hier könnte mich jeder verstehen! Aber... Es ist trotzdem unheimlich schwierig für mich, mich zu öffnen. Vielleicht sieht es so aus, als ob ich mit jedem klar komme und jeden in mein Herz schließe! Aber das ist nicht so.

"Hey... Was ist los?" Brians Stimme zieht mich aus dem Loch der Selbstzweifel und ich sehe ihn an. Lächle halbherzig und schüttle leicht den Kopf. "Alles gut... Nur hier und dort ein paar Gedanken..." Überrascht zucke ich zusammen, als er mir plötzlich eine Strähne aus dem Gesicht streicht. Er ist so sanft. Nicht so kalt, wie sonst immer. "Diese Gedanken scheinen aber nicht wirklich toll gewesen zu sein. Du hast Tränen in den Augen." Schnell sehe ich von ihm weg und wische mir über meine Augen. Okay. Das kann man doch sicherlich irgendwie streichen, oder? Das... Das kann man irgendwie ungesehen machen. Doch anstatt irgendetwas zu sagen, rückt er näher an mich und nimmt mich in den Arm. Ich kann nicht mehr. Wieso kann ich ausgerechnet jetzt nicht mehr?!

Tränen fangen an zu laufen und ich habe einen stummen nervlichen Zusammenbruch. Nein, ich weine nicht laut. Nur mein Körper bebt bei jeder neuen Welle der Emotionen, die einfach über mich einbrechen. Aber anstatt nun auf einer kleinen Nussschale mitten in den tosenden Wogen zu sein, bin ich in einem Hafen. Ein Hafen, der mich schnell wieder beruhigt. Der mir runter bringt. Langsam hebe ich meinen Kopf. Sehe ihn aus verheulten Augen an. "Wieso... wieso bist du so nett...?", flüstere ich und merke selbst, wie meine Stimme bricht. Er stockt, bevor er mir durch die Haare fährt. "Alles zu seiner Zeit.", erwidert er leise und bringt mich zum Verstummen. Immer wieder streicht er durch meine Haare, bis ich wieder komplett ruhig bin. Mich langsam wieder entspanne und meine Tränen getrocknet sind.

"Brian...? Wie nüchtern bist du?", frage ich und er runzelt die Stirn. "Kommt drauf an, um was es geht." Zögernd, sehe ich kurz herum, ehe ich seinen Blick wieder erwidere. "Um etwas wichtiges." Der braunhaarige lächelt leicht. "So nüchtern, wie du es dir vorstellen kannst. Alkohol baut sich relativ schnell ab." Ich nicke und brauche ein paar Atemzüge, ehe ich den Mut finde. "Brian... Was... Was sind wir und was fühlst du bei mir?" Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwindet und er geht meinem Blick aus dem weg. "Also... vielleicht bin ich doch noch betrunken...", murmelt er und presse meine Kiefer aufeinander. "Ah... Okay... Got it." Enttäuschung macht sich breit. Wie dumm war ich denn bitte, dass ich mir Hoffnungen gemacht habe?

Ich richte mich auf und klettere über ihn drüber. "H-Hey! Was machst du?", fragt er überrascht und ich streiche durch meine Haare. Setze wieder mein Lächeln auf. "Ich hab Hunger! Ich... Ich bin unten in der Küche." Das Lächeln halte ich, bis ich seine Tür hinter mir geschlossen habe. Er ist doch noch betrunken... Tch! Ich sollte damit abschließen. Ich sollte mit Brian wirklich abschließen! Der Kerl bricht mir nur jedes Mal wieder mein beschissenes Herz. Auf dem Weg zu meinem Zimmer, da Brians Zimmer ebenfalls weiter hinten als meines ist, kommt mir Tim entgegen. Dieser nickt mir zu und merkt, dass etwas nicht stimmt. "Was ist passiert?", fragt er und ich bleibe nur kurz stehen. Schaffe es aber nicht, die Tränen bei mir zu behalten. Aber mein Blick ist stetig. Meine Stimme nur ein wenig wacklig. "Frag doch unseren lieben Herren: 'Ach-vielleicht-bin-ich-doch-noch-betrunken'.", fauche ich schon fast und gehe dann weiter.

Hunger? Nein. Ich wollte einfach nur weg. Wieder verziehe ich in mein Zimmer und dort auch in mein Bad. Stelle mich unter die Dusche und heule mir da die Seele aus dem Leib, weil man über dem rauschenden Wasser nichts hören kann. Als ich fertig mit meinen Gefühlen und dem duschen bin, steige ich mit Kopfschmerzen aus meiner Dusche und mache mich fertig. Ziehe mir die verhüllendsten Sachen an und setze mich an meinen Schreibtisch. Schule macht sich nicht von selbst. Und Ablenkung kann ich gebrauchen. Neben mir die Colaflasche und schon zwinge ich mich dazu, die Schule durchzuarbeiten. Von Thema zu Thema. Von Arbeitsblatt zu Arbeitsblatt. Von Aufgabe zu Aufgabe und von Nummer zu Nummer.

Ich versetze mich in Eigenquarantäne, außer es geht bei Jack um die Medizin. Lasse auch kaum noch jemand in mein Zimmer. Auch in meiner Schule werde ich immer stiller. Die beiden Klassen, in denen ich bin, wundern sich. Aber keiner fragt so wirklich nach. Die Tage vergehen. Die Wochen tuen es auch. Kein einziges Mal habe ich Brian gesehen. Zwar meinte Tim, dass er mit mir reden müsse... aber ich sagte, dass er es sich in die Haare schmieren kann, wenn es um Brian geht. Seitdem höre ich auch nichts mehr von ihm. Ich gehe nur raus, wenn ich allein trainiere oder einen Koller kriege, weil es zu lange ist, dass ich sitze. Oder eben, wenn es um das praktische bei EJ geht. Und ich trage nun, wie alle anderen, die gesamte Zeit meine Kleidung für das töten. Überraschenderweise gewöhnt man sich relativ schnell daran und es wird zum Alltag. Hier und da mal einkaufen, oder an Events teilnehmen...

Aber im generellen bin ich alleine. Meine Abschlussprüfung steht an, gehen vorbei und ich denke, mich ganz gut gemacht zu haben. Immerhin habe ich nur gelernt. Den ganzen Tag. Für die letzten Monate. Um mich abzulenken. Für mich waren die schriftlichen Teile einfach und auch in den praktischen Teilen konnte ich hoffentlich überzeugen. Groß Sorgen mache ich mir nicht und als ich die Ergebnisse bekomme, werde ich das erste Mal seit langem wieder ein wenig nervös. Ich sehe es mir an und... bin irgendwie nicht überrascht. Einser. Fast Fehlerfrei. Gut. Die Elektrode habe ich beim EKG nicht punktgenau bei den Rippen angesetzt. Aber das Skelett mit dem T-Shirt, an welchem wir das aufkleben sollten, sah mich so traurig an. Und dann habe ich es nicht in den vierten Rippenzwischenraum geklebt, sondern in den fünften. Mimimi. Mit dem Ergebnis gehe ich zu Slenderman, der sich für mich freut! Er freut sich mehr für mich, als ich mich. Traurig, was ein gebrochenes Herz so für Auswirkungen hat, nicht wahr?

The 4th ProxyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt