Gleichstand

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Jetzt habe ich nichts mehr zu tun. Ich bin mit der Ausbildung fertig und verbringe die meiste Zeit eigentlich bei EJ, oder zumindest im Krankenzimmer, sodass dort auch immer jemand für den Notfall ist. Für die Idee, dass ich doch auf die Berufsoberschule gehen und mein Abi nachmachen könnte um zu studieren... das war nicht so wirklich zu Slendermans begeistern. Also kann ich das als Ablenkung wohl auch nicht benutzen. Das einzige was ich im Moment mache, ist mich langsam wieder meinen Freunden annähern. Ich habe es Clocky erzählt, was passiert ist. Und zuerst war sie skeptisch! Hat mir dann aber geglaubt, als mir wieder die Tränen gekommen sind. Sie hat es dann den anderen drei erzählt und ich wurde, als wäre ich nie weggewesen, in die Mitte genommen.

Der Boss hat mich immer wieder auf Aufträge geschickt. Nicht immer gleich töten. Sondern auch nur mal auskundschaften. Beschatten. Je nachdem, was er gerade braucht. Er weiß nicht genau, was vorgefallen ist. Ich habe endlich mein Proxyzeichen bekommen. Bisher war ich anscheinend nur auf Probe Proxy. Als ich mir die Stelle aussuchen durfte, dachte ich zuerst an den Fußrücken, Handrücken, Hals oder Oberarm! Aber als ich hörte, dass es zwar aussieht wie ein Tattoo, es aber von innen sichtbar gemacht wird, weiß ich keine Stelle. Die Zunge. Wenn sie für mich an sich nur zum Sprechen da ist, kann sie auch was Wertvolles beinhalten. Der Prozess war mehr als nur schmerzhaft, aber davor wurde ich gewarnt. Im Gegensatz zu einem Tattoo wird das Zeichen auf meiner Zunge nie verblassen oder rauswachsen.

Ich sitze mit BEN in meinem Zimmer. Wir spielen auf meiner Switch was und unterhalten uns ein wenig. Auch wenn er manchmal nicht der hellste ist, so hat er gemerkt, dass sich etwas bei mir verändert hat. Als er nachfragte hat ein warnender Blick gereicht und er hat seinen Namen erwähnt. Ich komme ums Verrecken nicht über Brian hinweg. Das ist ein riesiges Problem für mich. Deswegen stürze ich mich in jede Arbeit, die ich finden kann. Ich werde unvorsichtiger, was die Aufträge angeht. Komme öfters mal verletzt zurück, weil es mir egal war, ob ich kämpfen musste oder nicht. Sterben? Joa. Ist halt n Risiko. Egal was ich mache, er geht mir nicht aus dem Kopf. Seine Reaktion als ich gefragt habe, was er für mich fühle. Diese ausweichende Antwort.

"Gehts noch? Ich wollte dich gerade finishen!", ruft BEN leicht empört und ich sehe zu ihm, ehe ich auf den Bildschirm starre. "Nope. Nicht heute.", erwidere ich nur und ziehe ihn mit einer der vielen Kombos ab, die es so gibt. Im Hintergrund läuft Musik und draußen ist es stockduster. Ich lege den Controller auf die Seite und nicke zu Tür. "Komm. Ich will nochmal raus. Ist für heute Schluss.", brumme ich und der blondhaarige seufzt, ehe er seinen Controller auch weglegt. "Alles klar. Bis morgen?" Ich nicke und er verzieht sich, während ich die Switch und den Fernseher ausschalte. Die Musik aus meinem Handy nur noch aus meinen Kopfhörern spielen lasse und meine Waffen zusammen packe, ehe ich aus meinem Zimmer trete.

Tür wieder zu gemacht. Runtergehen. Jack, der jetzt noch auf der Couch unten hockt, Bescheid geben, dass ich weg bin. Rausgehen und tief durchatmen. Im Sommer ist es eben in der Nacht noch einigermaßen warm. Trotzdem habe ich meine Jacke über dem Shirt. Die Maske oben. Einfach..., weil ich mich daran gewöhnt habe. Wo ich hingehe? Dorthin, wo ich eigentlich abends schon fast regelmäßig strande, wenn ich spazieren gehe. An dem kleinen Tümpel mit dem Mini-Wasserfall. Ich weiß nicht, wieso. Es ist fast so, als würde er mich magisch anziehen. Selbst wenn ich einfach nur so drauf los gehe und in Gedanken versinke... ich lande dort. Auch wenn ich NICHT dahin will, ende ich an jener kleinen Lichtung.

Dort angekommen, lege ich mich auf den Rücken und starre einfach nur in die Sterne. In das dunkle Firmament mit den weißlichen Punkten. Die Musik in meinen Ohren. Meine Konzentration schwindend. Die Gedanken wabern eher wie Nebel herum, als dass sie sich manifestieren. Es ist ruhig. Nichts ist zu hören, außer die Musik. Kein trampeln, kein herumgejage, kein schreien, kein fluchen. Einfach nur frische Luft und nichts anderes. Zugegebenermaßen ist es angenehm, so einfach ein wenig abschalten zu können. Von dem Tag. Auch, wenn nicht viel los war. Aber ich kann nach Aufträgen immer ein wenig nachdenken, was ich anders machen könnte. Wie ich schneller und effizienter werden kann.

Eine Bewegung am Rande meines Sichtfeldes lässt meinen Kopf automatisch dorthin drehen und ich setze mich auf. Nehme einen Kopfhörer raus und meine Augen werden schmal. Da war doch was. Ich schalte die Musik aus und stecke die Kopfhörer und das Handy langsam in meine Jackentasche. Stehe so leise wie möglich auf und hole die Pistole raus. Ein leises Rascheln erregt meine Aufmerksamkeit. Geduckt schleiche ich dort hin. Für meine Augen reicht das fahle Licht des Mondes aus, um genug zu erkennen. Adrenalin durchströmt meinen Körper. Mein Herz beginnt, schneller zu schlagen. Meine Aufmerksamkeit ist fokussiert auf mein Überleben und das herausfinden, wer oder was hier ist.

Stumm verlasse ich die Lichtung und betrete den Wald. Ich entsichere die Waffe und riskiere mit dem Klicken meine Position. Aber anders geht es eben nicht. Keinen Moment später ist noch ein Klicken zu hören. Noch eine Waffe. Rechts von mir. Schritt für Schritt und die Schuhe immer vorsichtig auf den Boden aufsetzend, begebe ich mich in die Richtung. Meine Augen zucken hin und her. Von rechts nach links. Aber ich kann nichts erkennen. Dafür ist es dann doch zu dunkel. Unter mir knackt ein Ast und ich verziehe stumm mein Gesicht. Fuck, das hätte jetzt nicht sein müssen. Heute ist nicht mein Tag, kann das sein? oder meine Nacht. Beschissen ist es trotzdem, aber was soll. Dagegen machen kann ich nichts. Ich muss damit leben. Aber hoffentlich nicht damit sterben.

Mit einem Mal geht alles ganz schnell. Ein lautes Rascheln rechts von mir ist zu hören. Ich werde auf den Boden geworfen. Jemand oder etwas auf mir drauf. Mit der Pistole in der Hand drehe ich mich auf den Rücken und schieße dorthin, wo ich denke, dass die Person ist. Der Schuss halt durch den Wald und ist wahrscheinlich in der Villa noch zu hören. Die Waffe wird mit aus der Hand geschlagen und ich kann etwas greifen, was sich nach Kleidung anfühlt. Ich ziehe es zu mir runter und gebe so hart es geht eine Kopfnuss. Mein eigener Schädel schmerzt, aber wer auch immer das ist, kann nicht gut sein. Wenn sie mich angreift! Ein schmerzerfülltes aufzischen ist zu hören und ich schaffe es, die Person unter mich zu bekommen. Ich kann die Umrisse spüren. Ohne groß zu warten, ziehe ich das Messer und halte es an den Hals. Keine Sekunde später habe ich den Lauf einer Pistole an meiner Stirn. Patt.

The 4th ProxyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt