26.Henry

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Die nächsten Tage waren wirklich anstrengend, zwar hielt ich mich an Noahs Anweisungen, doch lies meine Kraft, Ausdauer, Intelligenz und Logik, anscheinend zu wünschen übrig. Und obwohl Noah den größten Teil der Aufgaben übernahm, war ich abends total ausgelaugt und fiel wie ein nasser Sack ins Bett. Ich glaubte immer mein Bestes zu geben, doch schien es nie zu reichen. Der Bauer und Händler, wie ich im Laufe der Wochen erfuhr, war streng und bestrafte mich für jeden noch so winzigen Fehler. Andere würden meinen es ist zum Verzweifeln, doch mich heizte es eine Zeit lang an. Nicht das ich wild auf Arbeit war, eher im Gegenteil, doch dieser „Stinkstiefel" sollte mich kennen lernen. Jedoch hielt ich dieses Tempo nicht lange durch, war ich doch tatsächlich nicht sonderlich ausdauernd.

Dank Noahs Hilfe, lief es jedoch eigentlich ganz gut. Der Bauer war zufrieden ...

Über die Zeit wurde ich vertrauter mit den einzelnen Arbeiten. Auch wenn mich manche Aufgaben oder Tatsachen überraschten. Da war zum Beispiel der Tag, an dem mein älterer Mitstreiter mir verkündete: „Wir werden heute Butter machen." Ich sah ihn daraufhin nur verständnislos an. Butter musste man machen? ... Beim Käse war es ähnlich, doch nichts übertraf die Komik der Situation, mit den Eiern. Noah führte mich in den Hühnerstall und erklärte mir stolz, dass tatsächlich jedes dieser gefiederten Tiere einen Namen besaß. Angefangen bei Agneta, Brunhild, Theodora, darauf musste ich lachen, Bernadette ... „Und das hier ist Henriette", er wies auf ein weiß schwarz geflecktes Huhn. „Henriette?" wiederholte ich fassungslos. Wir hatten also auch ein Huhn, dass beinahe meinen Namen trug. Noah "konnte" gar nicht verstehen, warum ich so außer Häuschen deswegen war, sondern fuhr mit seiner Aufzählung weiter.

Eier stellten für mich ein Mysterium dar. Wie wurden sie produziert? Diese Frage wurde mir dann auch sogleich von Henriette beantwortet. Nachdem sie ein paar komische Laute von sich gab, hob sie ihren Hintern und präsentierte mir stolz ein warmes, frisch gelegtes braunes Ei. Ich fiepte auf und fuhr zu Noah herum, wodurch der halbe Hühnerstall geschreckt aufflatterte. „Ha ... hast du das gesehen? ... Sie ... Henri ... ette hat ... hat ein Ei gelegt", stotterte ich und hob es ehrfürchtig auf. Der Ältere lachte nur: „Wo dachtest du denn, wo sie herkommen? Aus dem Mund?" Guter Einwand, ich hätte es wissen müssen. „Ich frag mich wirklich, wie deine Familie gelebt haben muss, ohne Kühe und Hühner, ohne Butter, Käse und so weiter", zog er mich weiter hoch. „Natürlich hab ich das alles schon mal gegessen, aber ...", ich lächelte verlegen. „Aber ... vom Markt eben", gab ich zu und legte das wunderschöne Ei vorsichtig in den Korb.

Seit dem, war schon einige Zeit vergangen. Langsam lebte ich mich in den Alltag des Hofes ein und machte meine Sache recht gut. Monate vergingen, ich konnte nicht sagen wie viele, die Arbeit nahm kein Ende. Von früh morgens bis die Sonne unterging, blieb kein Moment für Untätigkeit.

Dann kam dieser Tag, ein denkwürdiger Moment, der mich als Person veränderte.

Noah lachte mich schon so komisch an, als ich kurz vor fünf Uhr früh aus meinem Zimmer trat. „Morgen Gil, na? ... Wirst du jetzt endlich zum Mann?" Ich sah ihn mit verschlafenen Augen an und schüttelte nur verwirrt den Kopf. Konnte dieser Junge nicht endlich aufhören in Rätseln zu sprechen? „Häh? Was meinst du damit?" Er beugte sich zu mir und strich mit seinem Zeigefinger von meiner Wange über das Kinn. Sofort wich ich zurück und schlug seine Hand weg. Dann griff ich selbst in mein Gesicht und spürte den leichten Flaum. „Wa ... Wahnsinn, ... wie sieht es aus? War das gestern auch schon? Warum hab ich nichts gespürt?" Meine Euphorie war groß. Natürlich war es für einen Mann vollkommen normal einen Bart zu bekommen, dennoch riss mich die Erkenntnis, dass es scheinbar jetzt, heute, ja in diesem Moment soweit war erschaudern. Ich war stolz und aufgeregt zu gleich.

Noah der selbst einen sorgfältig gepflegten Bart trug, lachte mich nur aus und stellte das Essen auf den Tisch. „Erst mal wird gefrühstückt. Du kannst dich später noch lange genug bewundern Gilbert." Enttäuscht stimmte ich zu, Essen war in der Tat wichtiger.

Schon seit einer Weile überlegte ich, Noah mitzuteilen, dass ich gar nicht Gilbert hieß, denn der Name begann langsam zu nerven. Wir waren gerade mit den Eimern zum Kuhstall unterwegs, als ich ihn ansprach. „Du Noah? Ich ... muss dir was sagen ... sei bitte nicht böse auf mich, aber ich ... heiße gar nicht Gilbert ... sondern Henry." Fast schon rechnete ich tatsächlich mit einer zumindest erstaunten Antwort, doch es kam lediglich ein „Achso?" Und dann: „Wusste ich es doch, Henry passt viel besser , du siehst zu null Prozent aus, wie ein Gilbert." Er stellte die Kübel auf den Boden und streckte seine Hand aus. „Freut mich dich kennen zu lernen, Henry", meinte er nur und damit schien die Sache erledigt. Da er nun meinen richtigen Namen kannte, kam es mir so vor, als würden wir uns noch besser verstehen. Wir arbeiteten Hand in Hand und erreichten somit, eine Stunde des Tages an „Freizeit" herauszuschinden.

Das „Bärtchen" rasierte ich mit Noas Hilfe ab, da ich meinte, es würde mein Gesicht ruinieren, was eine große Katastrophe bedeutete. Mein Mitstreiter meinte zwar, mit fast siebzehn sollte man kein Babyface mehr haben, doch das war mir egal.

Immer durfte ich mich jedoch nicht verlassen, denn es musste kommen wie es sollte. Noah würde mich für ein paar Tage alleine lassen. Er bekam den Autrag in die nächste Stadt zu reisen um verschiedene Besorgungen zu machen. Ich rätselte, wie ich es schaffen sollte, all die Aufgaben und Arbeiten zeitlich hinzubekommen. Bevor mein Mitstreiter sich auf den Weg machte, gab er mir noch ein paar Tipps und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. „Mach's gut. Wir sehen uns bald wieder."

Nun war ich praktisch allein für den Hof verantwortlich. Ich begann im Stall mit dem Auflesen der Eier, während ich kurz inne hielt, um Henriette zu locken. Es war bereits eine tägliche Tradition geworden, seit ich sie das erste Mal traf. „Put, put, put ... na komm meine Schöne", schmeichelte ich ihr und brachte ab und an ein paar spezielle Körner mit. So hatte ich nach einiger Zeit auch ihr Vertrauen gewonnen. Das Huhn stolzierte auf mich zu und lies sich widerstandslos unter dem Gefieder kraulen. „Schöne Henriette, ... braves, gehorsames Huhn", gurrte ich. Im Nachhinein würde ich sagen, es war ein pubertierendes Verhalten, dass mich mit dem Federvieh sprechen lies. So die Zuneigung einer Frau zu spüren, war etwas Tolles. Selbst wenn sie von einem Tier wie Henriette stammte.

Von außen erreichte mich ein entrüsteter Ruf: „Was treibst du denn da drin so lange? Mach hinne du Faulpelz!" Ich überdrehte nur die Augen, es war der Bauer ... Schnell sammelte ich alle Eier zusammen und hastete auf den Hof. Als Nächstes zu den Kühen, das Melken würde länger dauern, auch wenn mich Noah gut eingeschult hatte. Als zirka die Hälfte der Tiere fertig waren, rief er wieder: „Gilbert! Was treibst du? Du bist alleine lahm wie eine Schnecke!" Ich war leicht beleidigt, schließlich arbeitete ich so schnell es ging und gab mir durchaus Mühe. Trotzdem musste ich wohl einen Zahn zulegen und zog ein wenig fester am Euter der braunen Kuh, was bei einigen der Tiere ein empörtes Muhen auslöste. „Sch ...", zischte ich, was natürlich nichts half. „Was ist hier los? Kriegst du es allein nicht auf die Reihe?" wetterte Joachim und kam in den Stall gestampft. Schnell richtete ich mich auf, denn über die Monate hinweg wurde mir klar, dass man dem Bauern mit Respekt gegenübertreten musste. „Gilbert! Arbeite schneller, verdammt noch mal", schimpfte er und begutachtete meine gefüllten Eimer. „Hm, ... mach schon, ... was rede ich eigentlich ..." Mit diesen Worten ging er wieder. „Beeil dich", äffte ich ihm tonlos nach. „Ja, ja, von wegen, für was rede ich eigentlich?" Ich war gekränkt, machte dennoch weiter.

Noahs Abwesenheit machte sich stark bemerkbar. Für die Arbeiten, die wir normalerweise an einem Tag erledigen konnten, benötigte ich mindestes zwei. Der Gutsbesitzer wurde immer missmutiger und ich deprimierter, denn mein Freund sollte ungefähr eine Woche weg sein.

Nächstes Kapitel, Henry hat sich mittlerweile ja schon ganz gut eingelebt, doch es musste kommen, wie es sollte... ^^ XD

I was King (Deutsche Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt