65.Henry

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Der Plan war erklärt und alle standen bereit. Es war Montag-Morgen und Margaretha half mir das Korsett, um einiges schneller, als wenn ich es alleine gemacht hätte, anzuziehen. Mit Arthur vereinbarte ich vor der Entführung, ein Zeichen, durch welches er wissen würde, wann er und seine Truppe aus Elite-Fechtern, zuschlagen sollte. Ein Signal, auf das ich später noch genauer eingehe, wenn es soweit ist.

Seit gestern hatten sich die Männer nicht mehr blicken lassen, somit waren alle gespannt auf die Ereignisse der nächsten Stunden. Es würde ein Käufer kommen und sich umsehen und das sollte schneller passieren als erwartet, war jedoch nur zu unserem Vorteil.

Die jungen Frauen waren noch nicht ganz mit ihren Vorbereitungen fertig, als es an der Türe klopfte. Nun sollte ich am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlte von irgendwelchen Kerlen an, ... sagen wir mal, „intimen" Stellen berührt zu werden. Alles nur, weil die Entführer, beim Aufstellen der Mädchen, ihre Finger nicht bei sich lassen konnten. „Widerliche Lustmolche", wie Margaretha sie nannte. Eine Erfahrung, auf die ich getrost hätte verzichten können. Es war nicht ersichtlich, nach welchen Prinzip sie uns „ordneten", aber was sollte man von dieser beschränkten Bande auch erwarten. Kurz darauf kam der erste Käufer und man spürte die Anspannung, doch weniger aus Angst vor diesem schmalzigen Typen, als vor dem, was wir für unsere Flucht planten.

Der große schwarzhaarige Mann, mittleren Alters, sah sich aufmerksam jede Einzelne genau an. Nickte mal hier, betastete dort, oder verzog seinen Mund zu einem lustvollen Grinsen. Seine Entscheidung fiel ihm sichtlich schwer, doch dann kam er wieder auf mich zu. Ich schenkte ihm mein schönstes Lächeln und bemerkte ein Aufflammen in seinen Augen. Schließlich drehte er sich zu den „Verkäufern" um. „Ich habe mich für Hen...", weiter kam er nicht, da ich die Gelegenheit sofort ausnutzte und ihn mit einem speziellen Griff, den mir mein Lehrmeister Arthur beigebracht hatte, außer Gefecht setzte. Ein Hieb auf den Nacken, der eine sofortige Bewusstlosigkeit auslöste. Der Mann sank zu Boden und das war das Startsignal für die Mädchen. Sie begannen einen wahren Aufstand, schrien und tobten wild durcheinander, um die übrigen Männer nervös werden zu lassen. 

Alle Hände voll zu tun, die Frauen in Rand und Band zu halten, vergaßen sie auf meine Wenigkeit, die sich heimlich an ihnen vorbei schlich. Erst als einer: „Passt auf, Henrietta!" rief, doch war es schon zu spät. Ich öffnete die Tür, rannte nach draußen und gab das vereinbarte Zeichen ab. „Kill my weakness! Weakness!"kreischte ich so hoch es ging und dann zur Sicherheit noch: „Starting now!" dazu. Na ja, etwas Besseres war uns nicht eingefallen, doch erfüllte es zumindest seinen Zweck. Drinnen hielten sich meine „Mitstreiterinnen penibel an den Plan, rangen die Schurken mit aller Macht zu Boden und fesselten sie mit Bettlaken und Kleidungsstücken, so dass keiner entwischen konnte. Es war ein grandioser Anblick, den ich am liebsten als Gemälde festhalten wollte. 

„Die Schlacht um die Freiheit, Frauen schwach? Sehen sie selbst". 

Meine Fähigkeiten Bildtitel zu erfinden, ließen zu wünschen übrig. 

Ich war schon in Siegesstimmung, als mich plötzlich kräftige Arme von Hinten fassten. „Du ... du kleines Luder", murrte Bert hörbar außer Atem in mein Ohr. „Ich werde dich schon noch erziehen", mit diesen Worten drückte er mich fest an sich und kicherte in meinen Nacken. Augenblicklich lief eine Gänsehaut über meinen Rücken und es kostete mich all meine Kräfte seine Arme auseinander zu drücken. Als ich herumwirbelte, hatte sich das Band meines Korsetts an seinen Hemdknöpfen verheddert. „Henriet...!" rief er erschrocken und war sichtlich zu verwirrt, um überlegt zu handeln. Womit es für mich ein leichtes wurde ihn festzunehmen. „Was, ... wieso ... verdammte Scheiße, du ... du bist ein Junge?" stammelte er immer noch ungläubig. „Ich bin ein Mann", konterte ich lässig und grinste über sein zu tiefst enttäuschtes Gesicht.

Kurz darauf kam Arthur mit seinen Männern an und es dauerte nicht lange, bis die gefesselte Entführer Bande samt Käufer in die bereitgestellten Wagen verladen waren. Die Mädchen saßen auf zwei weitere Kutschen aufgeteilt und so, traten wir die lange Heimreise an.

Während der Fahrt bekam ich endlich die Gelegenheit mit Margaretha zu sprechen, ihr von all den Geschehnissen zu erzählen und auch meine weiteren Vorstellungen für die Zukunft zu erläutern. Sie hörte aufmerksam zu und gab hin und wieder ein Kommentar ab, doch merkte ich schon bald, dass sie nachdenklicher wurde. Sollte ich sie darauf ansprechen? Was wenn sie nicht darüber reden wollte? Letztendlich konnte ich jedoch nicht mehr widerstehen, ihr Blick war so traurig und voll Sorge, ich wollte den Grund wissen. Sanft erkundigte ich mich warum sie sich nicht über ihre erlangte Freiheit freute. Sie schien nicht recht zu wissen, wie sie es in Worte fassen sollte, doch nach einer kurzen Weile, fing sie leise an zu sprechen: „Mein lieber Henry, ... ich bin dir von ganzem Herzen dankbar, aber ...", sie räusperte sich und meinte verlegen: „Ich habe das Siegel auf deinem Brief gesehen." Na das fing ja schon gut an. „Ach soooo, ... ist echt interessant, oder? Den Ring dazu ... ja den hab ich ..." Ihr Blick wies mich hin zu Schweigen. „Ich weiß wer du bist und auch woher du kommst. Dies ändert jedoch an meinen Gefühlen für dich nichts. Aber ... unsere Beziehung? Würde sie akzeptiert? Hast du dir darüber auch schon Gedanken gemacht?" Ich schluckte schwer. Zwar wusste ich von Anfang an, dass ich es ihr irgendwann sagen musste, doch hoffte ich stets, diesen Zeitpunkt so lange wie möglich in die Ferne zu schieben. „Sollte ich nach Hause zurückkehren, und mein Leben im Schloss wieder aufnehmen, gäbe es keine Zukunft für uns beide." Zärtlich nahm ich ihre Hände in meine und versuchte meine Situation zu erklären. „Es tut mir leid, ... ich wollte dir nie etwas verheimlichen ..." sie unterbrach mich, bevor ich meinen Satz zu ende bringen konnte. „Ich ahnte es schon viel früher. Und ich denke, es war mehr als nur verständlich, diesen doch ziemlich eindrucksvollen Part deiner Vergangenheit nicht einfach jedem daher gelaufenen Fremden zu erzählen. ... Ich versteh es ... aber wie siehst du unsere Verbindung? Ein Königssohn und ein einfaches Mädchen aus dem Volk?" Betroffen von den ehrlichen Worten hauchte ich einen Kuss auf ihre Fingerspitzen. „Natürlich können sie, doch du bist bei weitem kein "einfaches" Mädchen und ich schon lange kein richtiger Adeliger mehr. Wenn es nach mir ginge, würde ich deinetwegen jedem Königshaus den Rücken zu kehren und für mein restliches Leben ein ganz normaler Bürger sein", flüsterte ich ihr zu, so dass es keiner unserer „Gefährten" hören konnte. Sie lächelte erleichtert.

Auch wenn keiner von uns heute, jetzt und hier erahnen konnte wie es weiter gehen würde, verstärkte sich der Händedruck und wir küssten uns erneut.

I was King (Deutsche Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt