KAPITEL 35

887 30 134
                                    

Mark

»Willste mir nicht endlich erzählen, was passiert ist?«
Mark konnte nicht sagen, wie lange Nitti und er schon in seinem Tonstudio saßen, jeder mit einer Flasche Bier in ihren Händen, vor ihnen auf den Bildschirmen flimmerte die Aufnahmesoftware für Einmal. Der Song war soweit fertig, aber Mark konnte sich nicht darauf konzentrieren, die finalen Mixe zu sortieren und auszuprobieren. Dabei hatte er sich auf die Ablenkung gefreut, endlich wieder Musik zu machen, aber Nitti hatte schnell bemerkt, dass er mit den Gedanken nicht bei der Sache war. Rasch hatte sein Kumpel das Keyboard ausgeschaltet, ihnen beiden das Bierchen geholt und seitdem saßen sie da, Mark nur stumm vor sich hinstarrend Nitti bisher ebenso schweigend neben ihm.

»Ich mein«, ergriff Nitti wieder das Wort, »es ist echt kein Problem, dass ich dich abhol, ich fahr ja eh bei dir vorbei, aber…«
Mark konnte an seinen Bewegungen und am Quietschen des Sessel hören, dass Nitti sich vorbeugte. »Mark«, wurde seine Stimme eindringlicher, »ich kann mir denken, was los ist, aber glaubst du wirklich, dass das so weitergehen…«
»Christian war schon wieder da«, unterbrach Mark seinen Kumpel, mit leiser Stimme, und er wusste nicht, was ihn am meisten nervte – dass Christians Auftritt vom gestrigen Tag  ihn immer noch so beschäftigte, oder dass er heute morgen tatsächlich Angst gehabt hatte, alleine zum Tonstudio zu fahren.
Nitti stockte auf der Stelle und Mark fühlte seinen fassungslosen Blick auf sich ruhen. »Dein Ernst?«

Mark schluckte einmal hart und holte zittrig Luft. »Gestern Mittag, er hat mir an der Haustür aufgelauert«, sagte er ohne aufzuschauen. »Nitti, ich… er wird nicht aufgeben. Er will mich zurück. Ich… hatte echt Schiss, noch mehr als beim letzten Mal, als er vor mir stand. Er war so… anders. Auf der einen Seite so, als wär nie was gewesen, dann wieder echt… bedrohlich.« Stöhnend rieb er sich den Nacken.
»Mann, Scheiße.« Wieder knarzte der Sessel, offenbar lehnte Nitti sich zurück in die Sessellehne. »Und jetzt? Glaubst du wirklich, dass ein Outing Chris aufhalten wird? Ich mein, er will dich doch nicht bloßstellen. Und dämlich isser auch nicht, also wird er auch wissen, dass er dich nicht zurück bekommt, wenn er das tut.«
Mark hob verzweifelt die Schultern. »Er kriegt mich auch so nicht zurück! Mann, ich hab Paddy, und selbst wenn Paddy nicht wär, wär ich fertig mit ihm! Er kapiert es einfach nicht, und ich hab keine Ahnung, was ich noch machen soll.«

»Mark, das ist n echtes Problem, das ist dir klar, oder?« Nittis Stimme war so ernst, dass Mark endlich aufschaute. »Ich red nicht gern so über Chris, du weißt, wie lang ich ihn kenne, aber… er ist ne Bedrohung. Wie lange soll das noch so weitergehen? Bis du dich gar nicht mehr aus dem Haus traust?«
Mark schnaubte nur. Als ob ihm das nicht klar war. »Was soll ich deiner Meinung nach machen? Ganz lieb mit ihm reden, dass er mich verdammt noch mal in Ruhe lassen soll? Hab ich schon versucht, hat nichts gebracht. Soll ich vielleicht zur Polizei gehen?«
Nitti zog, doch selbst sichtlich ratlos, die Schultern hoch. »Wenn nichts anderes hilft…«
Mark lachte zynisch. »Na klar, und dann erzähle ich den Bullen, dass mein Ex mich stalkt, oder was? Großartige Idee. Dann kann ich gleich die BILD-Zeitung anrufen.«
Nitti seufzte geräuschvoll auf, lehnte sich nach vorne und legte eine Hand auf Marks Schulter. »Jedenfalls solltest du dich nicht so davon beeinflussen lassen, Mann! Das hier… muss doch weitergehen. Wir spielen am Wochenende ein Konzert, die Fans haben es verdient, dass du nach der langen Zeit voll da bist.«

Mark stützte die Ellbogen auf die Knie und legte die Stirn in die geöffneten Handflächen. »Ich weiß«, gab er leise zurück. »Ich weiß ja, dass ich, bis das Outing öffentlich wird, eh nichts machen kann. Aber gerade das macht mich fertig.«
»Wir können nur möglichst normal weiter machen«, mahnte Nitti. »Mann, wir lassen uns doch von dem Idioten nicht den Spaß verderben.«
Mark holte einmal tief Luft. Natürlich hatte Nitti völlig Recht. Seine Fans hatten ein geiles Konzert verdient, gerade nach der Südafrika-Zeit und den Aufzeichnungen hatte er sich doch auch eigentlich tierisch darauf gefreut, wieder auf der Bühne zu stehen. »Ich weiß ja.«
Mit einem schwachen Lächeln schaute er auf. »Setliste?«
Nitti nickte zufrieden. »Setliste. Bock, mal wieder Bauch und Kopf zu spielen?«
Mark musste unwillkürlich schmunzelnd an Paddy denken, an all seine Zweifel und Hemmungen, und wie er versuchte, all das abzulegen, und nickte. »Unbedingt.«

Bauch und KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt