KAPITEL 40

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Mark

Mark hatte keine Ahnung, wohin er lief. Er musste nur raus, weg aus diesem schrecklichen Krankenhaus, weg von diesem  Anblick, der ihm das Herz gebrochen hatte. Er flüchtete die Gänge entlang, von denen gefühlt jeder gleich aussah, wusste nicht, ob er sich in diesem Labyrinth vielleicht einfach gerade verirrte, ignorierte die fragenden Blicke der Leute, an denen er vorbeikam, bis er doch irgendwann zum Ausgang kam und tief die frische Frühlingsluft einatmete. Kurz schaute Mark sich um, dann lief er in den angrenzenden Park, der in unmittelbarer Nähe zum Krankenhaus lag, und irrte dort ziellos über die gepflasterten Wege, vorbei an kleineren Bäumen, Büschen, Blumenarrangements und Sitzgelegenheiten für die Patienten, die gesund genug waren, diese Annehmlichkeiten im Krankenhausalltag genießen zu können.

Irgendwann ließ Mark sich auf einer der Bänke nieder, stützte die Ellbogen auf die Knie und legte die Stirn in die geöffneten Handflächen. Paddy so in diesem Bett liegen zu sehen, mit all den Schläuchen, den Schrammen im Gesicht, diesem grausamen Gips um den Fuß, war zu viel gewesen. Nach all diesen bangen Stunden, nach der Angst, die nun zumindest ein wenig abfiel, blieben nur die Gedanken daran, warum Paddy nun all das erleiden musste.

Hätte er nur früher etwas getan, wäre er zur Polizei gegangen, hätte nicht zugelassen, dass Paddy nach Köln zurück kam, was auch immer. Jetzt lag er da, schwer verletzt. Nicht so schwer, wie Mark jetzt Gott sei Dank wusste, aber das spielte doch gar keine Rolle. Das Schlimmste aber war, dass all das nicht passiert wäre, wäre Paddy in Bayern geblieben. Die Gefahr durch Christian hätte nur ihm, Mark, gegolten, nicht aber Paddy, der doch einfach gar nichts für all das konnte. Aber stattdessen war Mark so erleichtert gewesen, dass Paddy so selbstlos für ihn da sein wollte, dass sie beide die Gefahr unterschätzt hatten, und das hätte niemals passieren dürfen.

Die angenehm kühle Aprilluft streichelte um Marks erhitzte Wangen, erneut bahnten sich Tränen ihren Weg. Er wusste immer noch nicht, was er hätte tun können, aber… er hätte doch diesen schrecklichen Unfall verhindern müssen.
»Hier biste«, hörte er da Nittis Stimme neben sich, spürte dann eine warme Hand, die sich auf seine Schulter legte. »Paddy wird noch ein, zwei Stunden in Narkose liegen«, meinte Nitti und Mark hörte, wie er sich neben ihm auf die Bank sinken ließ. »Aber der Arzt sagt, er wird wieder. Auch, wenn es etwas dauern wird und es natürlich vom Heilungsprozess abhängt. Mann… du hast ihm das Leben gerettet.«
Mark lachte bitter auf. »Versuchst du, mich aufzumuntern? Funktioniert nicht. Er liegt da wegen mir, Nitti, mit nem scheiß Beckenbruch, ner Gehirnerschütterung, wer weiß, wie lange das alles dauert… Verdammte Scheiße! Wie soll ich ihm denn jemals wieder in die Augen sehen?«
Nitti seufzte tief. »Glaubst du wirklich, du hättest ihm ausreden können, bei dir zu bleiben? Das hätte niemand, es war seine Entscheidung. Und was hättest du tun können, hm? Zur Polizei gehen? Mit null Beweisen? Komm schon, Mark, das war nicht deine Schuld!«
»Ihr hättet aussagen können, dass Christian mich bedroht hat«, begann Mark aufgebracht, obwohl er wusste, dass eine solche Aussage wohl auch nichts gebracht hätte. Er wusste das alles. Er wusste, dass er nichts hätte anders machen können. Aber trotzdem…
Er schaute auf, begegnete Nittis mitfühlendem Blick und seufzte ernüchtert. »Ich hätte doch einfach nur… irgendwas machen müssen!«

Nitti lehnte sich nach vorn, stützte ebenfalls die Ellbogen auf die Knie. »Lass uns nach Hause, hm? Du musst mal… duschen. Was essen, trinken, was vernünftiges. Komm schon. Patricia bleibt bei ihm, sie ruft dich an, wenn Paddy aufwacht.«
Seufzend erhob Mark sich und deutete auf den monströsen, sterilen Bau, der sich hinter ihm erhob. Er wusste natürlich, dass er jetzt nichts für Paddy tun konnte, außer darauf zu warten, dass er aufwachte. Hier sitzen zu bleiben und es darauf ankommen zu lassen, dass Fotos von ihm gemacht wurden, war aber auch keine Option.
Schweigend fuhren sie zu Marks Wohnung, und als sie vor das Haus, in welchem seine Penthouse-Wohnung lag, bogen, starrte Mark  nur einmal auf die Stelle, an der es passiert war. Vor seinen Augen raste erneut das Auto auf Paddy zu, Mark hörte sich brüllen, sah Paddy zur Seite springen. Das Auto im letzten Moment abbremsen. Und er sah Paddy da liegen, regungslos. Mark holte tief Luft, schloss die Augen und fragte sich, wie er jemals diese Bilder loswerden sollte.

Bauch und KopfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt