KAPITEL 16

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Michael Patrick

Langsam ließ Michael Patrick die Tür zu seiner Suite hinter sich ins Schloss fallen. Jetzt, mit ein paar Minuten Abstand, erschien ihm das, was in Marks Suite geschehen war, völlig surreal. Sie hatten sich schon wieder geküsst, nach einem wirklich schönen Nachmittag, den Paddy sehr genossen hatte. Und er hatte auch den Moment in Marks Suite genossen – mindestens ebenso sehr. Mit dem Unterschied, dass es diesmal nicht bloß küssen gewesen war. Sie waren einander so nahe gewesen, dass Paddy geglaubt hatte, sein Herz müsste zerspringen dank all der Empfindungen, die ihn bei den erst sanften, dann so viel hungrigeren Berührungen ihrer Zungen erfüllt und für einen kurzen Moment überwältigt hatten.

Leise stöhnend lehnte er sich gegen die Flurwand seiner Suite, schloss die Augen und versuchte, die Bilder, die unaufhörlich in seinem Kopf durcheinander wirbelten, zu sortieren.
Aber was taten sie denn da nur? Sein Herz pochte immer noch aufgewühlt in seiner Brust beim Gedanken daran, wie gut es sich angefühlt hatte, Marks Zunge zu spüren, wie er, er selbst, Mark erforscht hatte. Wie gerne er weiter gemacht hätte, mehr von Mark, von seinem Körper, seiner Nähe, seiner Hitze, gespürt hätte. Mit jeder neuen Berührung ihrer Zungen war das Verlangen nach mehr in Paddy gewachsen, und es hatte ihn ein wenig erschreckt. Natürlich hatte es das, weil er diese berauschenden Gefühle so lange nicht mehr gespürt hatte. Aber ebenso deutlich hatte er gewusst, dass er diese Grenze zu noch mehr nicht überschreiten konnte – vielleicht noch nicht. Er war dankbar, sehr dankbar, dass Mark seine inneren Bedenken offensichtlich gespürt und sich ganz ihm angepasst hatte, obwohl er auch gespürt hatte, wie gerne Mark weiter gegangen wäre.

Aber es war doch… total verrückt. Wie konnte es sein, dass Mark es geschafft hatte, nach all den Jahren mit nur zwei Augenblicken, in denen sie sich nahe gekommen waren, diese Empfindungen in ihm wachzurütteln? Sie vor allem so gut sein  zu lassen, dass es sich nicht falsch anfühlte? So wie es sich früher immer angefühlt hatte, wenn er seine Gefühle Männern gegenüber zugelassen hatte? Das war zugegebenermaßen nicht oft geschehen, weil er sich einfach nicht getraut hatte, aber wenn, dann hatte er solche Augenblicke immer schnell abgebrochen, denn er und ein anderer Mann… das war doch einfach nicht richtig.

Nach all den Jahren, in denen er sich in seinen Glauben geflüchtet hatte, weil seine Sexualität ihn schlicht überfordert hatte, hatte Michael Patrick gelernt, dass diese Gefühle alles andere als falsch waren; dass sie genauso normal waren wie die Gefühle für eine Frau. Er hatte gelernt, sich selbst zu akzeptieren, aber diese Gefühle zuzulassen, war eine andere Sache, mit der er auch jetzt, nach all den Jahren, noch zu kämpfen hatte. Und er wusste tief in sich, dass er noch nicht bereit war, diesen entscheidenden Schritt zu gehen. Er wollte Mark damit nicht enttäuschen, er konnte nur auf dasselbe Verständnis hoffen, dass Mark ihm vorhin entgegen gebracht hatte – falls sie wieder in solch einer Situation landen würden.
Und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis das erneut geschah. Zumindest, wenn sie weiter derart eng Zeit miteinander verbrachten.

Vielleicht, grübelte Paddy, während sich sein pochendes Herz allmählich beruhigte und somit auch die wirren Gedanken, war es besser, vernünftiger, nicht mehr so viel Zeit mit Mark zu verbringen. Denn er hatte sehr wohl gesehen, dass Christians Name auf dem Display von Marks Handy aufgeblinkt war. So verbunden, wie Paddy sich mittlerweile zu Mark fühlte, drängten sich plötzlich noch ganz andere Fragen auf. Paddy wollte ihm nicht auch noch weh tun, vor allem nicht so kurz nach der Trennung. Denn dass Mark nicht gerne über Christian sprach, war ja kein Geheimnis, und dass es ihn immer noch beschäftigte, auch nicht.

Paddy hatte Knutschereien oder dergleichen nie einfach so angefangen, dafür war er nicht der Typ. Er wusste nicht, wie Mark darüber dachte, er konnte auch nicht definieren, was das zwischen ihnen war, denn… nun ja, er war doch nicht in Mark verknallt. Und Mark ja wohl auch nicht in ihn. Vielleicht genoss Mark im Augenblick einfach nur die Ablenkung, und ganz sicher war es besser, das Ganze so zu sehen. Vielleicht sollte er einfach nicht zu viel in all das hinein interpretieren, die Zeit genießen – so wie auch Patricia ihm geraten hatte. Aber war er gut darin, so etwas wie das mit Mark einfach zu genießen? Michael Patrick wusste es nicht – er musste es wohl herausfinden und vor allem versuchen, herauszufinden, was das alles zwischen ihnen für Mark war.

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