Mark
Mark wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber als er am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich so erholt, als wäre er seit drei Wochen im Urlaub. Helle Sonnenstrahlen fielen durch die halb zugezogenen Jalousien, und durch das auf Kipp geöffnete Fenster drang Vogelgezwitscher an Marks Ohren. Irritiert setzte er sich auf, schaute sich um, brauchte einen Moment, bis er begriff, dass er nicht in seinem eigenen Bett in Berlin lag. Mit einem Lächeln wandte er sich zur anderen Bettseite – und stellte noch verdutzter fest, dass Paddy wohl schon aufgestanden sein musste.
»Scheiße, wie spät ist’s denn?«, murmelte Mark zu sich selbst, langte nach seinem Handy und zog eine Augenbraue hoch, als das Display neun Uhr anzeigte. »Wow«, entfuhr es ihm dann. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt so lange geschlafen hatte.Mark stand auf, und als er auf den Flur trat, kroch ihm der angenehme Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee entgegen. Schmunzelnd verschwand Mark kurz im Bad, duschte rasch und schlüpfte in frische Klamotten. Er brauchte nicht lange und stieg kurz danach die alte Holztreppe, die bei jeder Stufe knarzte, ins Erdgeschoss hinunter. Aus der Küche hörte er Paddy leise vor sich hin singen. Lächelnd blieb Mark mit verschränkten Armen im Türrahmen stehen. Die Krücken waren an die Anrichte gelehnt und Paddy stellte gerade zwei Tassen und eine Kaffeekanne auf ein Tablett und grinste, als er sich umdrehte und Mark erblickte.
»Who’s the early bird now?«, empfing ihn Paddy, halb belustigt, halb besorgt.
Mark ging auf ihn zu, legte sanft eine Hand an Paddys Wange und küsste ihn. »Moin«, sagte er. »Den Schlaf hab ich wohl gebraucht.«
Paddy musterte ihn mit sorgenvollem Blick. »Scheint so«, stimmte er zu.
»War einfach so viel los die letzten Wochen«, versuchte Mark zu erklären. »War wohl platter als ich dachte.« Er hoffe, dass Paddy das genügte, er wollte ihn nicht noch mehr belasten. Schließlich sollte er sich darauf konzentrieren, gesund zu werden. »Mhh, hast schon Käffchen gemacht?«, winkte er deshalb schnell ab.
»Bayerischer Kaffee«, schmunzelte Paddy. »Lust auf Frühstück auf der Terrasse?«
»Unbedingt«, nickte Mark und spürte schon jetzt, wie sein Magen knurrte. »Hey, du wirst jetzt wohl nicht das Tablett…«
Seufzend ergab Paddy sich und ließ Mark das Tablett tragen.Es fühlte sich wirklich ein wenig an wie Urlaub. Die Sonne schickte warme Strahlen auf sie, es war gemütlich auf der von hohen Hecken und Blumenkübeln umrahmten Terrasse. Bienen summten um sie herum und irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Vor allem, und das war neben dem wichtigsten Grund, dass er Paddy vermisst hatte, auch einer der Gründe, warum Mark hier war, schienen die Gedanken an Christian hier ganz weit weg zu sein. Dass dem leider doch nicht so war, hatte Mark jener Moment gestern in Paddys Garage bewiesen, aber daran wollte er jetzt nicht denken. Er war hier, weil er ein paar Tage nicht an Christian und den unweigerlich herannahenden Prozess denken wollte.
»Also, ich verstehe langsam, warum du dich so wohl hier fühlst«, meinte Mark irgendwann, lehnte sich mit der Kaffeetasse in der Hand in seinem Stuhl zurück und blinzelte in die Sonne. »Hier kann man’s echt aushalten.«
Paddy zog eine Augenbraue hoch. »Sagt der, der seit Jahren in der Großstadt lebt und sich gestern noch nicht vorstellen konnte, ein Häuschen im Grünen zu haben?«
Mark schmunzelte. »Vielleicht bin ich ja jetzt der alte Mann. Wobei ich nicht weiß, ob ich das für immer könnte. Also so ganz ohne die Großstadt zu leben.«
Wieder warf Paddy ihm einen ganz seltsamen Blick zu, den Mark nicht deuten konnte – so, als hätte er etwas sagen wollen, es dann aber doch ganz schnell wieder verworfen, und plötzlich beschlichen Mark das seltsame Gefühl, etwas gänzlich Falsches gesagt zu haben. Er runzelte kurz die Stirn und nippte an seinem Kaffee.Aber der seltsame Moment war schon vorbei, denn Paddy lächelte wieder und deutete zur Garage.
»Fahren wir später mit dem Oldtimer raus? Ich könnt dir die Umgebung zeigen«, schlug er vor.
»Kannst du denn schon Auto fahren?«, zog Mark skeptisch eine Augenbraue hoch.
Paddy legte den Kopf schief. »Nein, natürlich nicht, aber wenn du Lust hast, kannst du fahren.«
»Dein Ernst?«, jauchzte Mark. »Biste sicher, dass du mich dein Baby fahren lassen willst?«
»Nein«, seufzte Paddy und Mark grinste breit. »Aber ich hab ja keine Wahl, oder?«
»Ich schwör hiermit, ich werd dich nicht enttäuschen«, grinste Mark.
Paddy warf ihm einen skeptischen Blick zu, Mark lachte und fand, dass es wirklich guttat, mal nicht in Berlin zu sein, wo ihn sowieso nur alles an Christian… augenblicklich schob Mark den Gedanken weit von sich. Er hatte sich vorgenommen, hier nicht daran zu denken, und auch, wenn das noch nicht ganz funktionierte, hoffte er, dass er die Tage dennoch genießen konnte.
Auf jeden Fall war die Aussicht, einen Oldtimer zu fahren, ein großartiger Anfang. Zwar musste er dafür den Wagen aus der Garage fahren, aber das würde er schon hinbekommen.
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Bauch und Kopf
RomanceManchmal braucht es nur eine Begegnung, um viele kleine Dominosteine ins Rollen zu bringen. Manchmal genügt ein Satz, um eine Welt zum Einsturz zu bringen, um eine lange vergessene Seite an die Oberfläche zu locken, die tief verborgen, aber nie ganz...