KAPITEL 31

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Michael Patrick

Die Tage im Londoner Studio waren intensiv, inspirierend und sehr arbeitsreich. Einige Songs fielen Paddy leichter, andere, wie zum Beispiel Higher Love oder A little Faith, plötzlich unglaublich schwer, mit allen Erlebnissen der letzten zwei Wochen, vor allem der letzten Tage bei Mark, in seinem Kopf. Zum Glück hatten sie genug Zeit und Paddy bat die Produzenten, diese Songs auf die letzten Aufnahmetage zu verschieben. Andere Songs, wie Golden Age, während dessen Aufnahme er in seinem Kopf sofort wieder zurück in Südafrika auf der Holzbühne stand und den Song performte, fielen ihm so leicht, dass doch bis zum ersten Wochenende drei Songs fertig eingesungen waren. In Anbetracht dessen, dass dies erst die erste Aufnahmesession war, er in den kommenden Monaten noch mindestens zweimal nach London fliegen würde und die Mixingsessions ebenfalls noch anstanden, lagen sie gut im Zeitplan.

Paddy war erstaunt, wie schnell er sich wieder daran gewöhnte, alleine unterwegs zu sein. Vermutlich waren es die jahrelangen Gewohnheiten, die alltäglichen kleinen Rituale, die seine Tage bestimmten und sich instinktiv wieder einschlichen. Er brauchte das auch, aber ebenso brauchte er die abendlichen Telefonate mit Mark.

Obwohl seine Stimme manchmal arg mitgenommen, er ziemlich kaputt war und sich ins Bett sehnte, tat es unglaublich gut, Marks Stimme zu hören. Und wenn Paddy viel zu müde und es zu anstrengend war, selbst zu reden, dann unterhielt Mark ihn. Natürlich war es erleichternd, dass Mark selbst sehr gut wusste, wie anstrengend und kräftezehrend Aufnahmesessions waren, und Paddy war verblüfft und dankbar, wie schnell Mark herausfand, was ihm abends half. Zum Beispiel genoss er es einfach, Mark zuzuhören, wie er von den Kids erzählte, die während der Aufzeichnungen von the Voice Kids vorgesungen hatten. Er genoss es, wenn Mark ihm begeistert von einem Talent vorschwärmte, das er in sein Team gelockt hatte, oder hörte schmunzelnd zu, wenn Mark sich immer noch ärgerte, dass sich ein Talent, das er unbedingt hatte haben wollen, für Lena oder Sasha entschieden hatte.

Und auch, wenn Paddy direkt ein schlechtes Gewissen überkam, weil er am ersten Abend während ihres Telefonats einschlief, so wollte er auf dieses neue Ritual, das ihm so viel Kraft gab, auf gar keinen Fall mehr verzichten. Denn er spürte von Tag zu Tag deutlicher, wie sehr er diese Telefonate brauchte, wie Mark ihm Kraft gab, mit seiner unverbesserlichen guten Laune und seinen Sprüchen, mit dem Wissen, dass er einfach da war, auch, wenn Paddy selbst mal nicht reden wollte. Dann reichte es auch nur, Mark zu sehen, wenigstens über Skype, sich ein bisschen anstecken zu lassen und andere Sachen zu hören als die, die ihm gerade im Kopf herum schwirrten.

Weil Mark es dank der Aufzeichnungen nicht schaffen würde, nach London zu kommen, freute Paddy sich umso mehr, als Tilmann ihm schrieb, dass er in der zweiten Woche am Freitag gegen Abend landen würde. Er wollte bis Samstag bleiben; immerhin ein wenig Abwechslung.
»Oh, wow, jetzt bin ich glatt ein bisschen eifersüchtig«, sagte Mark halb belustigt, halb ernsthaft, als sie am Donnerstagabend telefonierten.
Paddy grinste. »Auf Tilmann? Brauchste nicht. Ich würd doch nie…«
»Das mein ich ja gar nicht«, erwiderte Mark leise. »Er ist bei dir und ich… naja.« Prompt räusperte er sich verlegen. »Vermiss dich halt«, fügte er noch hinzu, grinste dabei schief und rückte sich die Brille zurecht – die vollkommen korrekt saß.
Paddys Lächeln wurde sanft und er hoffte, dass Mark das sehen konnte. »Ich dich auch«, seufzte er. »Ich weiß auch nicht, nach… so kurzer Zeit, aber…«
»Ist so, wenn man jemanden mag, ne.« Marks Stimme war ganz ruhig, er saß in Jogginghose und einem gemütlichen Pullover auf seiner Couch, während Paddy schon im Bett hockte, an die Wand gelehnt.

»Ja, das… stimmt wohl«, konnte Paddy Mark nur Recht geben. Sie schwiegen einen Moment und Marks Worte schienen noch immer im Raum zu schweben. Paddy wusste noch immer nicht, wie das hatte passieren können, aber wenn er ehrlich zu sich war, mochte er Mark doch nicht einfach nur. Er freute sich auf die Telefonate abends, so sehr, dass er Mark heute schon früher als verabredet angerufen hatte.

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