Kapitel 45

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Alle Blicke waren auf Corvin gerichtet, der nun einen murmelnden Gesang anstimmte. June glaubte lateinische Wortfetzen aus dem Gemurmel heraus zu hören.

„Receperint vos in me et ego in te orbis terrarum mea. Ut patet porta magna ac proximorum saeculorum merge."

Nach und nach stimmten die anderen Necromancer mit ein und wiegten sich wie in Trance hin und her. Robins Körper war in Alarmbereitschaft. Jeder ihrer Muskeln war angespannt und in ihrem gesamten Körper machte sich die Anspannung breit. Es war beinahe unerträglich.

Beschwörend richtete Corvin die Hände auf den Stein und sprach: „Ultra velum intrabit stillabunt!" Der Geisterstein begann grünlich zu glühen. Robin konnte sehen, wie June geblendet die Augen zusammenkniff.

„Ultra velum intrabut stillabunt!", rief Corvin erneut. Auf einmal schossen Flammen aus dem Stein und suchten sich ihren Weg an den Linien des Pentagramms entlang, die nun in grünen Flammen aufgingen. June keuchte auf und rutschte etwas weiter nach hinten, als eine Flamme genau vor ihrer Nase an ihr vorbeischoss. Das einheitliche Murmeln der Sekte wurde von dem lauten Lachen von Alexander übertönt, der die Arme ausgestreckt und den Blick zur Decke gerichtet hatte. Plötzlich begann die Frau mit den blonden Haaren zu schreien. Es war ein dumpfer Schrei, kaum zu hören. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt und Tränen strömten ihr Gesicht herunter. Ihre Haut begann zu leuchten. Es sah fast so aus, als würde sie verbrennen.

June hörte sich selbst schreien. „Aufhören! Sie tun ihr weh." June riss an ihren Fesseln. „Bitte, hören sie auf!", schrie sie. Der nächste Schrei, den sie ausstoßen wollte, blieb ihr im Halse stecken und sie starrte erschrocken auf Alexander. Auch sein Körper begann zu flackern und seine Konturen begannen zu verschwimmen. Sein Gesicht wechselte sekündlich zwischen Aidens Gesicht und dem eines alten Mannes.

Die Frau mit den blonden Haaren sank bewusstlos neben June zusammen, doch June schenkte ihr keine Beachtung. Sie konnte nur auf Alexander starren. Inzwischen hatte sich so etwas wie ein grauer Schleier um ihn herum gebildet.

Auf einmal durchfuhr ihn ein Ruck und er riss den Mund auf. Eine schwarze Wolke schoss aus seinem Rachen und sammelte sich unter der hohen Decke. Langsam verformte sie sich zu der Gestalt eines alten Mannes, der triumphierend auf seine Anhänger herunterblickte. „Es passiert.", rief er.

Sobald die Wolke vollständig aus Aiden gewichen war, sank dieser kraftlos zusammen. June schrie seinen Namen und versuchte sich loszureißen, doch es half nichts. Tränen voller Schmerz liefen ihre Wangen herunter und sie fühlte nichts als Leid und pure Angst. „Aiden!", schrie sie und riss an ihren Fesseln, „Aiden!"

Robin hatte dem Ritual die ganze Zeit unbemerkt beigewohnt, doch als sie Aiden zu Boden sinken sah, konnte sie einfach nicht mehr. In ihrem Magen sammelte sich eine große Menge Wut und sie ballte die Faust. Jack betrachtete sie aus dem Augenwinkel. „Robin nicht!", zischte er kaum hörbar.

„Warum nicht?", zischte Robin zurück und ballte auch die andere Hand zur Faust, „Wie lange willst du noch warten?"

Dean schaute misstrauisch zu seinen Freunden hinüber. Er konnte Robin ihre Wut ansehen und er wusste, dass man sie nicht aufhalten konnte. Er atmete tief durch und umschloss den Dolch so stark, dass sich der Griff tief in seine Handfläche bohrte.

Bevor Jack Robin festhalten konnte, war diese bereits auf Aiden zugerannt und kniete sich neben ihn. „Aiden.", flüsterte sie sanft und strich ihm eine blonde Strähne aus dem Gesicht, „Es wird alles wieder gut."

Ohne lange zu überlegen, lief Jack zu seiner Schwester und kniete sich hinter sie. Hektisch versuchte er ihre Fesseln zu lösen. June zitterte am ganzen Körper und murmelte immer wieder Aidens Namen. Endlich fiel das Seil von ihren Händen ab und sie stürzte sofort auf Aiden zu, doch sie wurde von zwei Necromancern an den Armen gepackt und festgehalten. Sie strampelte und schrie.

Clairvoyance- Zwillinge Der Hellsicht| #Wattys2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt