Kapitel 36

154 15 16
                                    

Ayula entzündete eine der fünf Kerzen, die sie an den Ecken des Pentagramms platziert hatte und kniete sich in die Mitte.

Der Besuch von Robin und Jack am vergangenen Tag hatte sie misstrauisch gestimmt. Sie hatte Jack sofort erkannt. Er sah seiner Mutter recht ähnlich. Ayula erinnerte sich noch genau, wie Isabelle vor Jahren zu ihr gekommen war und ebenfalls nach Büchern über die Geisterwelt gesucht hatte.

Seit Tagen hatte sie das Gefühl gehabt, dass sich etwas tat. Zuerst verschwand ihr Bruder Corvin spurlos und dann tauchten die Kinder auf. Zunächst war es nur ein unwichtiges Gefühl gewesen, doch nun war sie sich da nicht mehr sicher.

Es musste irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Besuch von Isabelle und nun dem von ihrem Sohn geben und es war ganz sicher kein Guter.

Außerdem hatte Ayula vor einigen Stunden etwas gespürt. Etwas, dass sie seit Langem nicht mehr verspürt hatte. Das Rufen eines Geistes.

Gedankenverloren verstreute Ayula Salz in einem Kreis um sich herum. Es konnte immer etwas schiefgehen und ein anderer Geist ihr Ritual benutzen, um zu erscheinen.

Ayula atmete noch einmal tief durch und griff nach einem alten, abgegriffenen Buch und schlug eine bestimmte Seite auf. Mit einem merkwürdigen Gefühl im Magen sprach sie die lateinischen Worte, die in vergilbter Schrift auf der Seite standen.

„Et beatos vos anima mea uos, cui tu hercle vocatio.", las sie laut vor. Die Flammen der Kerzen Loderten auf und warfen wild tanzende Schatten an die Wände. Ayula spürte wie ein leichter Wind aufzog und durch ihre Haare wehte. Unbeirrt fuhr Ayula mit der Formel fort. „Et ut venit ad vos et hanc pentagram," Die, mit weißer Kreide gezogenen, Linien des Pentagrames leuchteten in einem matten Blauton und der Wind verstärkte sich. „Ut video queri possum ad me affectibus tuis cogitem.", beendete Ayula den Satz und schloss die Augen.

Als Ayula ihre Augen wieder öffnete, stand eine Frau in einem langen weißen Kleid vor ihr.

„Du hast meinen Ruf gehört.", sagte Isabelle leise, „Ich danke dir. Ich weiß, dass du deine Fähigkeiten eigentlich nicht benutzen willst und dass dich das alles hier viel Kraft kostet."

Ayula erhob sich und stand nun vor Isabelle. „Worum geht es?"

„Du weißt von dem Plan von Alexander Savigen, oder?"

„Ich dachte das läge in der Vergangenheit.", antwortete Ayula entsetzt.

Isabelle schüttelte den Kopf. „Er wird das Ritual wiederholen. Morgen Abend."

„Natürlich.", murmelte Ayula, „Mit deinen Kindern. Jetzt ergibt das alles Sinn. Ich hätte es ahnen müssen!"

Isabelles Konturen begannen zu flackern. „Bitte Ayula konzentrier dich.", bat sie, „Sie werden eine Hexe für das Ritual brauchen und ich wollte wissen, ob du..."

Ayula schaute zu Boden. „Nein. Corvis wird das Ritual durchführen."

„Dein Bruder?"

„Er ist verschwunden, Isabelle, und jetzt weiß ich auch warum. Aber er wird das nicht freiwillig machen! Dafür lege ich meine Hand ins Feuer."

„Ich glaube dir Ayula.", sagte Isabelle, „Aber das war nicht der Hauptgrund warum ich nach dir gerufen habe. Jack und June werden deine Hilfe brauchen."

„Ich habe der Zauberei schon lange abgeschworen.", meinte Ayula tonlos.

„Ich weiß das doch Ayula, aber bitte hör mir zu! Ich bitte dich. Sie werden es nicht allein schaffen und du willst doch auch Corvin retten, oder?"

Ayula seufzte. „Na schön. Aber ich mache das nur, weil auch mein Leben davon abhängt. Was soll ich tun?"

„Du sollst eine Nachricht überbringen und zwar so schnell es geht."

Clairvoyance- Zwillinge Der Hellsicht| #Wattys2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt