Kapitel 48

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Ayula schirmte ihr Gesicht ab und trat in die dunkle Wolke. Vorsichtig blinzelte sie zwischen ihren Fingern hindurch. Langsam ging sie weiter vorwärts. Schließlich erkannte sie die Umrisse einer Person und vernahm das stetige Murmeln. Ayula straffte die Schultern.

„Alexander!", rief sie. Ihre Stimme hallte dumpf wider und wurde durch die Luft getragen. „Alexander!", wiederholte sie etwas lauter. Endlich drehte sich die Person zu ihr um. Ayula musste schlucken, als ihr Junes Gesicht entgegenschaute. Über ihrer Oberlippe und im Mundwinkel klebte Blut und sie war blass. Dunkle Schatten umrandeten die pechschwarzen Augen.

„Es ist nicht June.", ermahnte sie sich. Entschlossen sah sie Alexander an, der sie nur grinsend musterte. „Ayula meine Liebe, schön dich zu sehen."

„Ich kann das nicht zurückgeben.", knurrte Ayula und ballte die Hand zur Faust, die sofort silberne Strahlen umwirbelten. Alexander hob tadelnd eine Augenbraue. „Na, na, na. Ich habe dir nichts getan!", sagte er und wollte sich wieder zum Geisterstein drehen, der bereits, zum großen Missfallen von Ayula, eine dunkelgrüne Farbe angenommen hatte.

Ayula stieß die Luft aus und musste sich sehr zurückhalten, um Alexander nicht mit einem Stoß zum Mond zu befördern. „Du hast Corvin entführt.", entgegnete sie giftig, „Du wirst damit nicht durchkommen!" Alexander drehte sich wieder zu ihr und hob abwehrend die Arme. „Er hat nur das getan was er für richtig gehalten hat.", meinte er unschuldig und trat einen Schritt auf Ayula zu, „Und ich werde damit durchkommen. Ein Wort genügt und ich kann diesen Körper verlassen und das Tor öffnen."

Ayula wich einen Schritt zurück. Aus dem Augenwinkel konnte sie Cole entdecken, der auf die Beiden zu schlich. „Ablenkung.", dachte Ayula, „Lenk ihn weiter ab."

Cole schlich vorsichtig voran, darauf bedacht ja kein Geräusch zu machen. Sein Atem ging unregelmäßig und sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. In der linken Hand hielt er die Schachtel mit dem Salz. Sein Blick war starr auf Alexander und Ayula gerichtet, während er sich immer weiter von hinten an sie heranschlich.

Gebückt überbrückte er die restlichen Meter bis zum Geisterstein. Dort angekommen, öffnete er die Schachtel und begann das Salz in einem engen Kreis um den Stein herum zu verteilen, wobei er eine kleine Stelle frei ließ. Dann schloss er die Schachtel wieder. Über Alexanders Schulter hinweg konnte er Ayulas eindringlichen Blick sehen, der ihm bedeutete sich zurückzuziehen.

Das tat er dann auch. Schnell ließ er die Schachtel wieder in die Tasche gleiten und bewegte sich langsam von dem Stein weg. Er ging rückwärts und übersah den Riss im steinernen Boden. Hektisch wedelte Cole mit den Armen und versuchte das Gleichgewicht zu halten, doch es war zu spät. Mit einem lauten Plumps landete er auf dem Hosenboden.

Alexander riss seinen Kopf herum und fokussierte Cole. „Du...", zischte er, „Dachtest ihr wirklich, ihr könntet mich überlisten? Mit jeder Sekunde werde ich stärker. Ihr habt keine Chance." Alexander breitete die Arme aus und sofort stob wieder ein kalter Windstoß durch den Saal und auf Cole zu, der verängstigt zurückrutschte.

Der Windstoß drückte ihn zu Boden und hinderte ihn am Atmen. Keuchend griff sich Cole an den Hals und schaute verzweifelt zu Ayula, doch auch die Hexe wurde zu Boden gedrückt. Alexander ließ die Arme sinken und schaute auf seine Gegner hinab. „Ihr könnt nichts tun."

Alexander wandte sich von Cole und Ayula ab, die sich beide auf dem Boden krümmten, unfähig aufzustehen, und rief: „Aperire!"

Der Geisterstein begann wieder in einem tiefen Grün zu leuchten. Alexander begann zu zucken und, genauso wie bei Aiden, begannen seine Konturen mit denen von June zu verschwimmen, bis Alexander schließlich den Kopf in den Nacken warf und den Mund aufriss. Die dunkle Wolke stob aus Junes Mund und auf direkten Weg in den Geisterstein.

Clairvoyance- Zwillinge Der Hellsicht| #Wattys2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt