🌊 Kapitel 4 🌊

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Yoongi.
     

Schnell rannte ich von dem Fremden weg. Ich war ihm dankbar, dass er mich aufgefangen hatte, denn das letzte, was mir noch gefehlt hätte, war eine unsanfte Landung auf dem Boden. Mit meinem Gesicht. Bei meinem Glück hätte das auch direkt im Krankenhaus geendet. Dennoch wollte ich ihm nicht erklären müssen, weshalb ich so traurig aussah. Ich wollte verdrängen.

Ich rannte immer weiter, durch all die kleinen Gassen der Stadt, über Zäune und kleine Mauern, durch Menschenmassen quer durch die Stadt.

Ich ignorierte dabei die kleinen Blümchen, die am Wegesrand standen. Es tat mir weh, ihnen keine Aufmerksamkeit zu schenken, denn eigentlich verdienten sie es. Diese kleinen Wunder schenkten der grauen Einöde etwas buntes, etwas fröhliches, entschleunigten die Welt etwas und ließen sie sich langsamer weiterdrehen. Doch auch dies weckte Erinnerungen an meine Ma, denn sie war es, die meinen Blick dafür geöffnet hatte. Wie oft hatten wir einfach die vielen, kleinen Blümchen betrachtet und uns daran erfreut.

Als meine innere Unruhe abeebte und ich endlich stoppte, stand ich am Waldrand. Naja, es war kein richtiger Wald, aber dafür, dass wir mitten in der Stadt waren, konnte man ihn als solches durchaus bezeichnen. Langsam wagte ich mich zwischen den Bäumen hindurch und nahm einige tiefe Atemzüge.

Das schnelle Rennen hatte mich ziemlich erschöpft, daher hoffte ich, dass ich hier wenigstens etwas Ruhe fand. Von diesem wundervollen Stück Natur mit seinen vielen Bäumen und Sträuchern, bis zum kleinen See, der sich in der Mitte befand. Man konnte gut darin schwimmen oder einfach nur das wunderschöne Farbenspiel auf der Oberfläche bewundern. Noch ein Wunder, für das meine Ma mich sensibilisiert hatte.

Um so länger ich hier saß und dem Licht zuschaute, um so ruhiger wurde ich. Mein Schluchzen hörte langsam auf und meine Tränen flossen auch nur noch langsam, bis sie schließlich endgültig versiegten.

Ich war hier oft mit Freunden und meiner Familie gewesen, vor allem aber mit meiner Ma. Sie war zu Lebzeiten eine kleine Wasserratte gewesen und war für ihr Leben gerne geschwommen.

Ich erinnerte mich noch genau, wie ich als Kleinkind, in den See gesprungen war, weil ich zu meiner Ma wollte. Sie schwamm mitten in dem kleinen Gewässer, das trotz seiner geringen Fläche, ungewöhnlich tief war.
Ich war schon zu groß, um den natürlichen Reflex des Schwimmens, welchen Babies besaßen, noch zu haben, aber eben auch zu klein, um schon sicher schwimmen zu können. Außerdem hatte ich, außer munterem Planschen am Ufer, keinerlei Erfahrungen im Schwimmen.

Bei dem Versuch zu ihr zu gelangen, war ich ziemlich schnell auf den Grund des Sees gesunken. Meine Ma hatte sich zu Tode erschreckt und ich hatte bitterlich geweint, als mein Pa mich rausgeholt hatte. Doch sobald ich in den Armen meiner Ma war, war alles wieder gut und ich hatte sogar angefangen zu lachen.

Jeder Mensch hat diese eine Person, welche einen immer zum Lachen bekommt, egal in welcher Situation. Dieser Mensch war bis jetzt immer meine Ma gewesen und ich fragte mich, wie es jetzt ohne sie weiter gehen sollte.

Auch vor ungefähr einem Jahr hatte sie mich im Arm gehalten, als ich aufgrund meiner Prüfungsangst und der Phobie gegenüber sämtlicher Verantwortungen, die Schule abgebrochen hatte. Ich konnte dieses Gefühl, den Erwartungen nicht gerecht zu werden, einfach nicht ertragen. Konnte ich noch nie.

„Ich hab mich für die Abendschule angemeldet, um meinen Abschluss nachzuholen, Ma. Dir war es doch immer so wichtig, dass wir einen guten Abschluss haben.", berichtete ich schwer seufzend, als säße sie irgendwo neben mir. Es war vielleicht eine seltsame Art mit ihrem Verlust umzugehen, doch es war das einzige, was mir in diesem Moment half.

Ich wollte für sie weitermachen, wenigstens den Abschluss wollte ich endlich in meinen Händen halten. Ich brauchte nicht mal mehr ein Jahr dorthin gehen, deshalb war es noch akzeptabel. Zumindest das sollte ich doch irgendwie schaffen. Ich war es meiner Ma schuldig.

Mal wieder war ich traurig, doch die ganze Atmosphäre um mich herum, ließ die Trauer langsam verblassen. Es schien beinahe so, als ob mich die Idylle komplett in sich aufnahm und einfach alles in sich aufsog. All diese grauenhaften Gefühle.

Ich strich über das Gras und schloss meine Augen, um das Zwitschern der Vögel zu genießen. Normalerweise war mir das Gezwitscher zu laut, doch jetzt gerade genoss ich diesen Lärm irgendwie.

Ich zog meine Schuhe aus, da sie nach einer Weile unangenehm drückten, genauso wie den Gürtel und das Jacket. Ich legte mich einfach zurück und genoss die wenigen Sonnestrahlen, die es bis auf die Erde schafften und mir wenigstens ein bisschen das Gefühl von Wärme schenkten. Hier und da hörte ich ein leises Plätschern des Sees, wenn der Wind das Wasser ans Ufer preschen ließ. Es beruhigte mich, wie die seichten Wellen am Ufer strandeten.

Ich hätte schwören können, jede Sekunde einfach ein zu schlafen, allerdings hielt mich das plötzliche Klingeln meines Handys davon ab.

Ich nahm es raus und sah, dass mein Pa mir geschrieben hatte. Er wartete am Tor des Waldstückes auf mich. Traurig lächelnd schrieb ich ihm, dass ich mich auf dem Weg machen würde. Er hatte gewusst, dass ich hier sein würde, immerhin wusste er, was ich mit diesem idyllischen Ort verband. Mein Pa war der beste und ich war froh, ihn wenigstens noch an meiner Seite zu wissen.

Ächzend stand ich auf und sammelte meine Sachen zusammen, um mit ihnen in der Hand los zugehen. Kurz bevor ich den Weg betrat, schaute ich nochmal zu der kleinen Lichtung. Sie wirkte wirklich magisch und ich würde sie ein lebenlang mit meiner Ma verbinden.

Ich ging den gefegten, aus Kalkstein bestehenden, Weg entlang, ließ dabei die Schuhe in meinen Händen hin und her schwingen und genoss noch die letzten Momente und Eindrücke der Natur.

Als ich um die kleine Kurve ging, sah ich meinen Vater schon an seinem Auto stehen und mit meiner Tante diskutieren. Er sah, wenn ich das anmerken durfte, dezent genervt aus. Ich fragte mich, weshalb sie noch da war, denn die anderen waren längst zu Hause. Selbst meine Oma konnte ich nicht mehr ausfindig machen, daher ging ich davon aus, dass mein Pa sie bereits nach Hause gefahren hatte.

„Bin hier", meinte ich bloß kalt und ließ mich auf dem Beifahrersitz nieder.
Meinem Vater entkam sowas wie ein „Gott sei Dank!", während er ebenfalls einstieg.

Er lächelte mich bloß an und klopfte mir einmal auf meinen Oberschenkel. Es war nur eine kleine Geste und dennoch verstand ich, was er mir damit sagen wollte. Er war für mich da. Er würde an meiner Seite bleiben und zu mir stehen, selbst wenn meine Oma und meine Tante gegen mich hetzten.

Wir fuhren los und hörten meiner Tante zu, die sich über die Grasflecken auf meinem Hemd aufregte. Ich sah einfach nach draußen und beobachte die Menschen, an denen wir vorbei fuhren.

Sie waren so gestresst.

Irgendwann würde ich das wohl auch sein, ein hektisch gestresster Erwachsener. Irgendwann verfiel diesem Stress doch jeder, nicht wahr? Vor allem, wenn man sein Leben nicht nach den Vorstellungen richten konnte, die man sich immer ausgemalt hatte.
Ohne Schulabschluss konnte ich nicht das machen, was ich ursprünglich mal angestrebt hatte. Eigentlich wollte ich dies auch immernoch machen, doch ich hatte es aus den Augen verloren, als mir meine Verwandten immer wieder zu verstehen gaben, dass ich sowas nicht werden sollte.

„Yoongi. Was hast du jetzt eigentlich vor?", sprach mich die Frau auf dem Rücksitz jetzt direkt an. „Ich hab gehört, du willst Theologie studieren? Das wäre aber auch wirklich das beste, so könntest du dir Gottes Vertrauen wieder holen."

„Wer hat gesagt, dass ich Theologie studieren will?!", hakte ich nach, während ich mich entsetzt zu ihr drehte.  
Keine Ahnung, wie sie darauf kam, aber das hatte ich sicherlich nicht im Sinn. Neben dem, dass es sowieso daran scheiterte, dass ich nicht eimal einen Schulabschluss hatte.

„Na, deine Oma", antwortete sie wie selbstverständlich, als wäre es eine total unnötige Frage gewesen.

Was ne alte Zicke, schoss es mir durch den Kopf, ehe ich mich wieder von meiner Tante abwendete und stattdessen wieder aus dem Fenster des Autos schaute.

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