🌊 Kapitel 1 🌊

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Yoongi.


Mein ganzes Leben lang wurde mir gesagt, es gäbe einen Gott. Einen Gott, der auf uns Menschen aufpasste und uns alle liebte, da er uns erschaffen hatte.

Wir waren seine Kinder im Herzen und seine Schützlinge auf der Erde. Alles was geschah, geschah im Sinne von Gott.

Wir Menschen lebten nur, weil er es wollte und er lenkte uns. Ausnahmslos alle, egal wer, wo, wie wir waren, wo wir lebten, wie wir dachten. Wir waren so, weil es sein Wille war.

Diese Illusion wurde vor vielen Jahren jäh gebrochen. Spätestens als ich mit 15 Jahren aus unserer Kirchengemeinde geschmissen wurde, weil ich meinen ersten Freund hatte. Sie redeten mir ein, dass ich abnormal war, hofften, dass es nur eine einmalige Verwirrung war, doch da musste ich sie enttäuschen. Ich war nunmal bisexuell, doch für sie war das etwas, was nicht von Gott gewollt war, und das mussten sie mir bei jeder Gelegenheit mitteilen.

Das ganze hatte meine Skepsis gegenüber Gott nur noch weiter bestärkt, denn in meinen Augen war es egal, was ein Partner für ein Geschlecht hatte, solange die Liebe dahinter echt war. Aber so dachten sie natürlich nicht, im Gegenteil. Wenn ich es richtig betrachtete, war für sie die Liebe zweitrangig, wenn nur alle anderen Aspekte stimmten.

Es war nunmal Fakt, das ich mich schon immer schwer tat, an Gott oder an andere überirdische Dinge, wie zum Beispiel Engel, zu glauben. Meine Fantasie beschränkte sich, wenn es darum ging, eben auf einen sehr engen Rahmen und die Reaktion der anderen Kirchenmitglieder tat schließlich ihr übriges. Ich hatte mich von dem Glauben abgewandt.

Meine Ma und mein Pa akzeptierten dies, vor allem, da mein Pa selbst nicht sehr gläubig war. Er ging immer nur mit, weil es meiner Ma so wichtig war. Er liebte es, wie sie strahlte, wenn wir drei in die Kirche gingen. Obwohl mein Platz längst nicht mehr dort war, ging ich tatsächlich immernoch mit, beziehungsweise schmuggelten mich meine Eltern mit rein. Denn auch ich konnte mich an dem Strahlen ihrer Augen nicht satt sehen. Dieses Funkeln in den Augen meiner Ma...

Was würde ich dafür geben, es noch einmal zu sehen.

Heute tat ich mich erst recht schwer, an etwas heiliges oder übersinnliches zu glauben. Wenn es angeblich so etwas wie einen Gott gab, warum ließ er dann so einen Menschen wie meine Ma sterben? Sie war der gläubigste und reinste Mensch den ich kannte.

Sie bestand sogar darauf, den ganzen Dezember keusch zu leben, da es dem Sohn Gottes nicht angemessen war. Manchmal hatte mich auch schon gefragt warum, immerhin wurde er in diesem Monat geboren, nicht gezeugt!

Aber wir respektierten ihren Wunsch. Wir respektierten alles, was sie wegen ihrem Glauben auf sich nahm.

Seufzend sah ich mich in meinem Zimmer um. Es wirkte ganz anders, als noch vor ein paar Tagen. Es kam mir auf einmal groß und kalt vor, so als sei mit dem Tod meiner Ma auch das Leben aus diesem Haus gewichen, und damit auch aus meinem Zimmer. Unberührt lagen die wenigen Sachen unverändert an dem Platz, an dem sie vor einigen Tagen schon gelegen hatten. Ich lag auf dem Bett, den Blick starr zur Tür gerichtet. Ich konnte mich nicht von der Hoffnung losreißen, dass all dies nur ein schlechter Traum gewesen war. Immer wieder spielte sich die Vorstellung in meinen Gedanken ab, dass jeden Moment die Tür aufflog, weil sie mir sagen wollte, dass ich mich endlich um meine Wäsche kümmern sollte.

Doch wie immer blieb die Tür verschlossen und ich blieb in der einsamen Stille zurück, die lediglich von einem erinnerungsverzerrten Hupen unterbrochen wurde. Ich hatte alles mit angehört.

Die quietschenden Reifen, des LKWs, das aufgebrachte Hupen des Fahrers, in der Hoffnung, das schlimmste noch verhindern zu können und das Geräusch, wie das Blech des Autos in die Steinmauer gerammt wurde. Es waren jene Geräusche, durch die alles Leben aus meiner Mutter gewichen war und die mich ein Leben lang verfolgen würden.

αηgєℓѕ ∂ση'т єχιѕтʸᵒᵒᶰᵐᶤᶰ [PartnerFF] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt