Kapitel 12 - Daseinsberechtigung

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Dr. Mikael Kaysa schloss sein Fahrrad ab und sah kurz zum dritten Stock des Krankenhauses hoch, in dem seine Station war. In einer halben Stunde würde sein Dienst beginnen.

Er erwartete nicht, dass es heute eine Veränderung bei seinen zwei einzigen Patienten gab, obwohl ihm so etwas wie die beiden noch nicht untergekommen waren.

Damals hatte er sich auf Komapatienten spezialisiert, aber er war nicht unbedingt ein Arzt, den man überall gebrauchen konnte. Deswegen war er eigentlich auf der Notfallstation tätig gewesen. Doch seit dem Brückeneinsturz war er nur noch für Astrid und Christian zuständig.

Aber es war seltsam, was die beiden anging. Sie zeigten immer wieder Gehirnaktivitäten, die bei anderen Komapatienten das baldige Erwachen anzeigten. Doch die beiden wachen einfach nicht auf.

Mittlerweile glaubte Mikael auch nicht mehr daran, dass die beiden je zu Sinnen kommen würden.

Aber nicht nur das war merkwürdig.

Christian hatte in den letzten Tagen seltsame Verletzungen aufzuweisen. Sie traten vor allem Abends auf und niemand konnte sich erklären, woher Christian sie hatte.

Mikael kannte solche Verletzungen. Er war Kampfsportler in seiner Freizeit und hatte selbst nach Turnieren solche Verletzungen. Aber er konnte sich nicht erklären, warum Christian solche Verletzungen hatte. Erst war es ihm gar nicht aufgefallen, doch Schwester Greta, die sich mittlerweile nur noch auf Astrid und Christian konzentrierte, hatte ihn darauf hingewiesen.

Erst hatten die beiden Gerald Sommer im Verdacht gehabt. Schließlich verheimlichte er nie, dass er Christian nicht mochte. Auch wenn er immer behauptete, er würde ihn nicht kennen, konnte man sehen, dass es nicht so war. Immer wenn er dachte, niemand würde ihn beobachten, beschimpfte er Christian. Und nicht nur ihn, sondern auch seine Frau!

Schwester Greta übernahm die Aufgabe, die beiden verstärkt zu bewachen. Doch sie musste zugeben, dass diese Verletzungen nicht von Gerald kamen.

Es war auch merkwürdig, dass Astrid vor ein paar Tagen auf einmal wundgelegen war. Und das obwohl Greta immer aufgepasst hatte, dass genau dies nicht passiert. Es waren auch nicht die üblichen Stellen. Greta hatte ihm erklärt, dass Reiter solche Wundstellen bekamen, wenn sie einen falschen Sattel bekamen oder ein Anfänger, der zu lange auf einem Pferd saß.

Mikael hatte es gesehen. Es waren nur das Gesäß und die Innenseite der Schenkel betroffen, aber nicht der Rücken und die Schultern.

Greta hatte gerade angefangen, die Wunden zu behandeln, da waren sie auch schon wieder geheilt. Andere würden das als Wunder ansehen, doch Mikael glaubte nicht an Wunder.

Er musste zugeben, dass die beiden ihn wirklich Tag und Nacht beschäftigten. Selbst mitten in der Nacht wachte er auf und überlegte, was er noch tun konnte.

Er stieg in den Fahrstuhl, nachdem er einige Kollegen begrüßte und fuhr in den dritten Stock. Heute würde er noch einmal den Neurologen befragen und hoffen, dass der vielleicht irgendetwas fand, was er übersah.

Im Laufschritt ging er zu den Umkleideräumen. Wenn er einen kompetenten Neurologen bekommen wollte, musste er früh in der Abteilung anrufen und einen anfordern. Ansonsten würde er nur einen Neuling bekommen, der wahrscheinlich noch weniger Ahnung hatte, als ein Nichtmediziner.

Mikael musste grinsen. Der Vergleich war etwas gemein, aber er hatte durch diese Situation auch durch gemusst. Das war fast schon Tradition.

Er zog sich aus und schlüpfte in seine blaue Arztkluft. Er hielt nichts von den weißen Arztkitteln. Selbst in diesen blauen Teilen sah er aus, als ob er nicht hierher gehörte. Er war einfach zu durchtrainiert und die Kittel spannten entsetzlich. Er würde sich schon wieder neue blaue OP-Bekleidung besorgen müssen, denn auch diese wurden wieder sehr eng um die Schultern.

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