Kapitel 35 - Mordgedanken

267 43 2
                                    

Gerald stand in seinem Wohnzimmer und starrte das gerahmte Hochzeitsfoto an, dass er schon vor einiger Zeit in der Schublade hatte verschwinden lassen.

Chantal sollte es am besten nicht zu Gesicht bekommen, sonst würde sie ihn wieder mit Vorwürfen überschütten. Na gut, das passierte in der letzten Zeit jeden Tag. Ach was, mehrmals am Tag.

Seit einigen Wochen versuchte er, dieses Mittel, das Chantal ihm gegeben hatte, Astrid einzuflößen, doch irgendwie kam immer etwas dazwischen.

Er musste zugeben, dass es ihm zuwider war, seine Noch-Ehefrau zu töten, doch Chantal wollte es so und er konnte sich nicht gegen sie wehren.

Nein, er liebte Astrid nicht mehr, er hatte sie noch nie geliebt!

Er wusste noch, als er sie das erste Mal sah, da erfüllte ihn ein Verlangen sie zu besitzen, dass er vorher so noch nie gekannt hatte.

Sie war ein reiner unschuldiger Engel mit einer Stimme, die zum Niederknien war.

Er hatte genau gewusst, wenn er sie nur ein wenig nett behandelte, dann würde sie ihn freiwillig heiraten, denn er kannte ihre Großmutter und er hatte gewusst, was sie für eine schlechte Frau war. Sie ging jeden Tag in die Kirche und betete inbrünstiger als alle anderen Frauen, aber sobald sich die Haustüre schloss, zeigte sie ihr wahres Gesicht.

Nicht dass dies je einer zu Gesicht bekommen hatte.

Gerald hatte es nur per Zufall bemerkt, dass sie ihre Enkelin misshandelte.

So war es nur eine Frage der Zeit, bis er Astrid endlich heiraten und sie ganz nach seinen Willen formen konnte. Und er hatte es auch beinahe geschafft. Doch dann war sie ihm zu langweilig geworden und er hatte sich von Chantal einfangen lassen.

Natürlich hatte er Astrid geschlagen und er war der Meinung, dass sie jeden einzelnen Schlag auch verdient hatte. Wie gesagt, er wollte sie nach seinem Willen formen und wenn sie aufsässig war, hatte sie Bestrafung verdient.

Chantal war ganz anders gewesen.

Sie ließ sich nichts gefallen.

Nein! Es war eher so, dass sie ihn bestrafte, wenn er ihrer Meinung nach etwas Falsches gemacht hatte.

Wie oft hatte er vor ihre Wohnung gestanden und sie hatte ihn nicht hinein gelassen und ihn mit Sex Entzug bestraft. Meistens ging er dann in eine Kneipe außerhalb der Stadt und betrank sich. Und dann bekam Astrid seine Wut zu spüren.

Dennoch liebte er Chantal. Sie war die Richtige für ihn.

Als dieser Brückeneinsturz gewesen war, bei dem viele Menschen ihr Leben gelassen hatten, war er voller Hoffnung gewesen, endlich für diese Frau frei zu sein.

Doch nun machte ihn ausgerechnet Astrid ein Strich durch die Rechnung.

Sie starb einfach nicht, sondern lag im Koma.

Die Gemeinde betete jeden Tag für sie und sie war so etwas wie eine kleine Märtyrerin für die Menschen geworden.

Jeder nahm an, dass sie diesem Obdachlosen nur helfen wollte und ihr das zum Verhängnis wurde.

Gerald wusste es anders.

Sie war vor ihm geflohen, weil er wieder getrunken hatte und sie schlagen wollte.

Er konnte sich nicht einmal erinnern, was ihn wieder gestört hatte. Wahrscheinlich war es ihre bloße Anwesenheit.

Aber deswegen war es ihm nun unmöglich, sie einfach zu vergessen, denn die Kirchengemeinde vergaß nie.

Er war in seiner eigenen Falle gefangen.

Seufzend steckte er das Bild weg und ging in die Küche um sich einen Cognac ein zu schenken.

Chantal würde heute Abend nicht zu ihm kommen.

Sie war verärgert, weil Astrid immer noch lebte.

Dabei versuchte Gerald wirklich alles, um Astrid endlich sterben zu lassen.

Doch dieser Arzt und die Krankenschwester schienen etwas zu ahnen. Sie ließen weder Astrid noch Christian aus den Augen.

Und dann war da noch dieser geheimnisvolle Gönner, der Unmengen von Geld in diese Komastation gesteckt hatte. Beinahe schien es so, als ob auch er die zwei beschützen wollte.

Niemand hatte ihn je zu Gesicht bekommen.

Nur Chantal war wie ein Bluthund jeder noch so kleinen Spur gefolgt, die sie finden konnte.

So wie es aussah, war der Gönner ein reicher Spinner. Was er genau vorhatte, wusste niemand. Bis vor ein paar Wochen hatte auch niemand gewusst, dass es ihn überhaupt gab. Chantal hatte sich nur gewundert, warum die Komastation immer noch am Leben erhalten wurde, obwohl sie völlig nutzlos war. Sie recherchierte und fand heraus, dass diese Station privat gesponsert wurde.

Aber der Geldgeber gab sich sehr geheim.

Es war aber ein reicher Spinner, soviel stand fest.

Das Telefon klingelte und Gerald starrte auf das Display.

Chantal!

Seufzend drückte er auf die On-Taste.

„Warum lässt du mich so lange warten, wenn ich dich anrufe?"

Gerald setzte sich an den Küchentisch.

„Ich habe dich nicht warten lassen, Chantal. Ich bin sofort an das Telefon, als du mich anger..."

Sie unterbrach ihn rüde.

„Sei kein so Weichei! Hast du heute wenigstens deine Frau erledigen können?"

Gerad schloss einen Moment die Augen.

„Nein! Sie wird immer noch bewacht von dem Arzt und der Krankenschwester."

Sie schnaubte unwirsch.

„Gerald! Ich sage es dir nur noch einmal! Beende es endlich oder du bist mich los!"

Nun wurde ihre Stimme sanft.

„Hör mir zu, Liebling! Ich habe keine Lust mehr, ewig auf dich zu warten. Wir müssen deine Frau loswerden!"

Er nickte dümmlich, obwohl sie es nicht sehen konnte. Aber so war er eben, wenn sie nur mit ihm sprach. Chantal hatte ihn total in der Hand.

„Ich weiß es, Chantal. Morgen...morgen werde ich es erledigen. Das verspreche ich dir!"

Sie lachte leise.

„Das weiß ich doch, mein Lieber. Du wirst mich nicht enttäuschen!"

Ohne ein weiteres Wort legte sie auf.

Gerald legte sein Telefon zur Seite.

Ja! Er wollte Chantal zur Frau haben.

Aber dafür Astrid töten?

Er hatte ein schlechtes Gewissen.

Obwohl!

Sie war schuld an der ganzen Misere.

Wut kroch in ihm hoch.

Ja, Astrid war schuld. Wie immer!

Schon von Anfang an hatte sie ihn eingewickelt.

Langsam stand er auf.

Er würde es morgen erledigen. Ein für alle Mal!

KomaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt