Kapitel 43 - Einen Scheiß wirst du tun...

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Wie sie schon geahnt hatte, war die Brücke immer noch eine Ruine. Überall standen Absperrungen, die aber so schlampig aufgestellt worden waren, dass man ohne Mühe darüber klettern konnte.

Astrid betrachtete die herunter gefallenen Steine unter ihr.

Wie sie es hier lebend heraus geschafft hatte, war ihr immer noch ein Rätsel. Die Brocken hätten Christian und sie erschlagen müssen. Von Mikael wusste sie aber, dass sie nicht einmal schwer verletzt gewesen war. Nur kleinere Blessuren, die man mit Leichtigkeit behandeln konnte.

Es hatte damals nicht viele Verletzte gegeben.

Wenn es jemand erwischt hatte, dann waren sie ihren Verletzungen erlegen.

Christian und sie wurden so etwas wie Helden, beziehungsweise wurden sie als Wunder bezeichnet.

Astrid ging von der Brücke herunter und weiter in das Elendsviertel. Der Mut hatte sie auf einmal verlassen. Sie wollte noch einmal durch ihr altes Viertel, damit ihr bewusst wurde, warum sie ihren Plan in die Tat umsetzen musste.

Sie wusste nicht, warum sie es hierher zog, doch auf einmal stand sie am Haus ihrer Großmutter. Jeder andere Platz in diesem stinken Loch hätte es auch getan. Doch nun kroch Wut in ihr hoch. Wut, über ihre verhunzte Kindheit. Wut auf die beiden Frauen, die sie eigentlich lieben sollten, sie aber abgeschoben oder für etwas bestraft hatten, für das sie keine Schuld traf. Sie war wütend auf Gerald und sein beschissenes frommes Gehabe! Sie war auf alles hier sauer.

So viele Jahre war sie von ihrer Großmutter unterdrückt worden. Und danach von ihrem Ehemann. Und sie hatte nicht den Mut gehabt, sich zu wehren! Doch jetzt hatte sie Hoffnung.

Astrid wollte wieder nach Lesara.

Sie hatte es schon einmal geschafft und sie war sich sicher, dass diese Brücke nicht nur eine normale Brücke war, sondern die Brücke in diese wunderbare Parallelwelt, die sie so vermisste.

Langsam ging sie weiter.

Es hielt sie nichts mehr hier.

Dennoch hatte sie noch einmal sehen wollen, woher sie kam.

Sie hatte nicht gewusst, warum das so war. Doch jetzt ahnte sie es! Sie wollte sich noch einmal vergewissern, ob es doch einen Grund gab hier zu bleiben, doch den gab es nicht. Der einzige Grund wäre Christian gewesen, doch er war da, wo sie hin wollte.

„Hast du den Prozess gesehen? Es ist eine Schande!"

Astrid versteckte sich schnell in eine dunkle Einfahrt. Die Dunkelheit schützte sie vor den Blicken der zwei Männer, die beinahe ihren Weg gekreuzt hätten.

„Wem sagst du das! Ich kann nicht verstehen, warum die Gemeinde immer noch zu dem Kerl hält. Auch das Geschwafel von dem Pastor war doch eine einzige Lüge. Die Frau hat den Brückeneinsturz überlebt und was macht er? Will sie umbringen. Er kann mir noch so erzählen, dass er unter ihr gelitten hat. Ich kenne die Frau. Wusstest du, dass sie hier jahrelang gewohnt hat?"

Astrid drückte sich noch weiter an die Wand, als die Männer an der Einfahrt vorbeikamen und auch noch stehen blieben.

„Ja, das wusste ich! Wurde sie nicht schon von ihrer Großmutter verprügelt?"

Sie hörte ein Schnauben.

„Ja! Dabei war sie so ein liebes Mädchen. Immer nett zu allen. Der Richter sollte mal jemand von unserem Viertel als Zeuge aufrufen. Wir würden ihm schon erklären, dass Astrid immer sehr nett zu allen war, obwohl sie es auch nicht einfach hatte! Und kaum war sie von der Alten weg, wurde sie von ihren Mann misshandelt. Das wurde nämlich schön tot geschwiegen, obwohl es viele geahnt hatten!"

KomaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt