Kein letzter Gedanke

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"Du vollends bescheuerter Intelligenzallergiker. Hast du eine Ahnung, dass das nie funktionieren würde?!", zische ich und verdrehe meine Augen, ehe ich meine Arme verschränke und einen Schritt zurück gehe. Ricky, der mir einen Plan zum schwänzen der Berufsschule vorgelegt hatte, seufzt. "Klar klappt der nicht, wenn du ihm keine Chance gibst! Mir ist bewusst, dass der riskant ist. Aber-" "Nichts aber!", unterbreche ich ihn harsch und schüttle leicht den Kopf. "Hast du vergessen, dass bei mir zum Beispiel die Kopien der Entschuldigungen in meiner Akte liegen? Ich kann zwar die Unterschriften fälschen, aber die kann ich da nicht reinschummeln!" Zwar sind wir in der gleichen Berufsschule, aber in unterschiedlichen Zweigen. Während er den kaufmännischen besetzt hat, bin ich in der Medizin zugange. Wie wir Freunde wurden? Ich hab selbst keine Ahnung mehr.

Der blondhaarige atmet tief durch. "Deine Arbeit ist beschissen streng.", murrt er und lehnt sich dann zurück. "Willkommen in meiner Welt." Ich gehe den einen Meter bis zu meiner Küche und hole aus dem Schrank zwei Gläser. Die werden mit Cola gefüllt und eines geht in seine Hände. "Was hast du jetzt vor? Ich kann da nicht einfach weg. Und langsam wirds mit dem Krankmelden echt auffällig." Immerhin wollten wir an dem Tag gemeinsam saufen gehen. Beziehungsweise am Vortag, weil ich da Geburtstag habe. "Ich lass mir was einfallen. Kein Stress.", murmelt er nachdenklich und ist schon wieder in seinen Gedanken verloren. Ich kenne ihn gut genug um zu wissen, dass er da jetzt nicht einmal ansatzweise aufnahmefähig ist. Sein Blick geht ins Leere. Seine Finger tippen in einem bestimmten Rhythmus auf das Glas. Hin und wieder zucken seine Augen in eine bestimmte Richtung, aber sie gehen wieder ins Leere. Anfangs war es unheimlich. Aber jetzt weiß ich, dass es einfach so ist. Ich habe mich daran gewöhnt.

Nach einer Stunde stupse ich ihn mit meinem Fuß gegen seinen Unterschenkel. "Ey. Jetzt reichts mal wieder. Irgendwas wird uns schon einfallen. Chill einfach und entspann dich. Deswegen bist du eigentlich hier." Ricky zuckt zusammen und hebt seinen Kopf, ehe er mit den Schultern zuckt und die Cola trinkt, die jetzt keine Kohlensäure mehr haben dürfte. "Bin eh überrascht, dass ich mich konzentrieren konnte.", brummt er und ich runzle meine Stirn. Dann deutet er auf meine Dakimakuras mit den Bezügen. Sebastian Michaelis. Eren Jäger. Levi Ackermann. "Schiss vor Puppen haben, aber von denen ohne Probleme angestarrt werden. Klar." Ich verdrehe meine Augen und lehne mich in meinem Stuhl zurück. Ricky sitzt auf meinem Bett und hat es sich zwischen den Kissen gemütlich gemacht. "Hey, lass mich halt. Single. Weeb. Gamer. Autor. Ne fiese Mische, muss ich zugeben. Aber das kommt dabei raus."

Die blauen Augen gehen in meinem Zimmer herum. Dem einzigen Zimmer in meiner Wohnung. Klein, aber fein. Überall hängen Anime oder Gaming bezogene Poster. Stofftiere und Figuren aus Animes. Mangas. Games. Filme. "Kann es sein, dass das neu ist?", fragt der blondhaarige und deutet auf ein selbstgemaltes Bild von Grell aus Black Butler. "Jap. Gestern in der Nacht." Er nickt und trinkt seine Cola, ehe er wieder seufzt. "Können wir los? Ich will ausnahmsweise noch ein bisschen Schlaf, bevor ich morgen arbeiten muss." Grinsend stehe ich auf. "Klar! Pack dein Zeug, zieh dich an und geh zum Auto runter. Ich geh noch schnell ins Bad." Bevor ich die Badezimmertür schließen kann, höre ich nur ein: "But I don't wanna die...", von Ricky, der meinen Fahrstil kennt. Tja. Selbst schuld, wenn ich ihn fahren soll und er sonst niemanden hat.

Fertig mit allem, schnappe ich mir die Schlüssel, ziehe mir noch Schuhe an, Handy ist eingepackt, Geldbeutel ist dabei, Jacke ziehe ich auch noch drüber und mache dann die Lichter aus, ehe ich die Wohnungstür schließe. Ricky wartet unten schon bei meinem Auto. Es ist schon dunkel und den Spargeltarzan im dunklen mit seiner dunklen Kleidung zu entdecken... Mich würde es nicht wundern, wenn der irgendwann plattgefahren ist. Ich entsperre das Auto, wir setzen uns rein, ich verbinde mein Handy und Musik läuft. Den Weg zu Rickys Wohnung kenne ich auswendig und ich würde die paar Kilometer auch noch besoffen schaffen! Aber er ist ein reines Stadtkind und regt sich schon auf, wenn der Bus erst in 20 Minuten kommt. Ich bin ein Dorfkind und konnte froh sein, dass der Bus, der einmal in der Stunde durch das Dorf gefahren ist, angehalten hat.

Als ich bei seiner Wohnung anhalte, stelle ich den Motor aus und sehe zu ihm rüber. Ist der Kerl doch glatt eingeschlafen. Mit einem sanften Lächeln ziehe ich die Handbremse an, ziehe den Schlüssel und steige aus. Um das Auto herum und die Beifahrertür auf. "Wach auf, Schlafmütze!", rufe ich und weiche zurück, um einem Schlag von dem verschlafenen Ricky auszuweichen. Dieser blinzelt und sieht gähnend zu mir. Blickt sich dann verwirrt um. "Seit wann sind wir hier...?", fragt er irritiert und ich ziehe eine Augenbraue hoch. "Auf die Sekunde kann ichs dir nicht sagen. Aber vielleicht... nicht mal eine Minute?", erwidere ich und lasse ihm Zeit. Die braucht er, bis sein Hirn da oben funktioniert. Langsam scheinen die Zahnräder da oben zu rattern und er schnallt sich ab, ehe er aussteigt, sich sein Zeug von der Rücksitzbank holt und ich ihn noch bis zur Haustüre begleite. "Nacht... schlaf gut.", brummt er und auch ich wünsche ihm noch eine gute Nacht bevor die Tür zugeht.

Lächelnd schüttle ich den Kopf. Der Kerl ist echt verpeilt. Aber er ist einer der liebsten Menschen, die ich kenne. Aufmerksam. Echt süß! Und einer der besten Freunde, die ich je hatte. Ich strecke mich, während ich zum Auto gehe und gähne selbst. Dann geht alles ganz schnell. Ich werde von hinten gepackt. Eine Hand auf meinem Mund. Dann ein brennen in meinem Bauch. Als würde ich in Flammen stehen! Meine Augen werden groß. Ich hole tief Luft und will schreien! Doch ein Stich in meine Brust lässt mir den Schrei im Hals stecken bleiben. Mein Körper zittert. Panik. Angst. "Dimensionenwanderer.", ertönt es, ehe ich los gelassen werde. Langsam sehe ich an mir hinunter. Etwas steckt in meiner Brust. Mein Bauch ist warm. Kommt da was raus? Der Blick wird unscharf. Luft wird knapp. Ich kämpfe gegen die Ohnmacht an. Ein Tinnitus ertönt in meinen Ohren. Das Blut rauscht. Ich habe keine Kontrolle mehr. Falle auf den Boden. Meine Augen gehen zu. Ich hatte nicht einmal genug Zeit für einen letzten Gedanken.

Die Jagd nach dem Dolch - Der erste TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt