Über Leichen

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"Darüber werde ich den jungen Herrn informieren müssen, Miss Kindred." Ich winke ab. "Macht das. Ich reite zurück in die Stadt." Meine Hand geht schon zur Tür, doch Sebastian hält mein Handgelenk fest. Seine roten Augen starren mich an. "Wie weit seid Ihr bereit, für Euren Master zu gehen." Ein Mundwinkel geht hoch. "Wie weit?" Schnaubend reiße ich meinen Arm aus seiner Hand. "So weit ich gehen muss.", erwidere ich und öffne die Tür. Ein letzter Blick zu Sebastian. "Wenn es sein muss über Leichen." Das scheint ihm zu genügen. "Sehr gut. Dann kommt bitte mit." Perplex folge ich dem Teufel. "Aber nicht lange, verdammt. Es braucht seine Zeit, um in die Stadt zu kommen. Und dann noch zum Big Ben!" Doch Sebastian lässt sich nicht davon abbringen.

Stattdessen bleibt er an einer Tür stehen und klopft daran. Es ist das Büro Ciels. "Herein.", ertönt es genervt und Sebastian tritt ein. Mit mir als Anhängsel. Der kleine Junge wirkt mehr als nur irritiert. "Miss Kindred?" Ich trete an Sebastian vorbei und sehe Ciel ernst an. Auch er ist nun ernst. "In Kurzfassung. Ich war in der Stadt. In meinem Haus. Eine Kiste war dort. Darin ein Finger. Höchstwahrscheinlich von Cedrik. Ein Brief war darin. Heute um Mitternacht beim Big Ben. Leichen sind mir egal. Mister Michaelis meinte, mich hier her bringen zu müssen. Seid Ihr einverstanden, wenn ich mir... etwas ausleihe?" Kurz ist es still. Ciel sieht zu Sebastian. Dieser nickt. Dann sieht er mich wieder an. "Ihr würdet so weit für ihn gehen." Stumm nicke ich. "Ich brauche nur ein Pferd und eine Pistole mit den passenden Kugeln. Den Bastard bringe ich persönlich um."

Ciel entspannt sich ein wenig. "Was für Worte Eurem Munde doch entkommen können." Genervt schnalze ich mit der Zunge und verziehe mein Gesicht. "Ey. Es hieß, dass sie ihn umbringen. Jetzt ist echt nicht die Zeit für beschissene Spielchen." Mein gesamtes Auftreten hat sich geändert und somit auch meine Sprache. Kaum noch Höflichkeiten. Kein Lächeln mehr. Vielleicht ein wenig Mordlust. Der Wachhund schmunzelt. "Wisst Ihr was...? Ich gebe Euch noch meinen Butler dazu. Er wird Euch sicherlich gute Dienste erweisen und mir im Nachhinein berichten, was vorgefallen ist. Sebastian?" Ciels Blick geht zu ihm. "Du hast gehört, was Miss Kindred braucht. Richte es her. Sofort." Dann sieht er zu mir, während sich Sebastian verneigt und verschwindet. "Was man mit Euch nicht alles erlebt..."

Ich gebe ihm Bescheid, dass ich draußen vor dem Haupteingang warten werde und verabschiede mich. Ciel wünscht mir viel Glück und möchte mit mir morgen in der Früh ein ernsthaftes Gespräch führen. Ich kann mir vorstellen, um was es geht. Aber was solls. Ich sage einfach nur zu und verschwinde selbst aus dem Zimmer. Brauche nur kurz und schon weiß ich, wo ich lang muss. Links. Rechts. Wieder rechts. Gerade aus. Und schon bin ich in der Eingangshalle. Tür auf und... Perfekt. Sebastian wartet mit zwei Pferden. "Das ging ja echt schnell. Ich bin beeindruckt.", gebe ich von mir und nehme eines der Pferde. Ein Schimmel. Das sehe ich sogar im Halblicht der Nacht. "Und hier Eure Waffe." Der schwarzhaarige gibt mir einen Revolver und Kugeln. "Perfekt..."

Schnell steigen wir auf und rasen los. "Wisst Ihr überhaupt, wie Ihr einen Revolver bedient?", fragt Sebastian und ich lache. "Ungefähr! Das muss reichen!", erwidere ich und treibe das Tier unter mir noch mehr an. Hach, was für eine Nacht. Ich könnte echt eine Pause verdienen. "Miss Kindred? Dies ist nicht die Antwort, die ich als treuer Diener des jungen Herrn und Eure temporäre Begleitung hören möchte." Ein kurzer Blick, dann ein schnauben meinerseits. "Genau habe ich keine Ahnung. Ich habe noch nie einen Revolver bedient. Aber ich kenne den Aufbau und weiß es in der Theorie. Zufrieden?" Der schwarzhaarige sieht nicht überzeugt aus. Seufzend verdrehe ich die Augen. "Hey. Immerhin habe ich ein wenig Ahnung davon und spiele damit nicht rum, wie ein normales Waschweib!" Er bleibt stumm. Punkt für mich.

Die Pferde, die wir nun haben, sind um einiges schneller. Das ist ein positiver Punkt. Auch der Sprung klappt ganz gut. Wir rasen über die weite Ebene und der Stadt entgegen. Zum Glück haben die Wachen gewechselt, sodass es keine große Fragerei gibt, als wie wieder in die Stadt müssen. Auch bei denen scheine ich bekannt zu sein. Ich nehme es so hin und galoppiere mit Sebastian durch die Stadt und zum Big Ben. "Wie spät?", rufe ich und sehe zu dem schwarzhaarigen, der ohne Probleme seine Taschenuhr hervor holt und darauf sieht, da der Big Ben, zumindest für mich als Mensch, nicht lesbar ist. "Viertel vor 12, Miss Kindred.", beantwortet er die Frage und steckt die Uhr wieder weg. Wir werden nur langsamer, als wir um die Ecken biegen und treiben die Pferde danach sofort wieder an. Auf Passanten können wir jetzt nicht wirklich achten.

Kurz vor dem eigentlichen Ziel wird Sebastian langsamer und ich passe mich seiner Geschwindigkeit an, ehe er anhält. "Was soll das?!", zische ich, doch der schwarzhaarige schüttelt den Kopf. "Ich werde mich zurück halten. Es ist unwissend, wie er oder sie auf eine Begleitung reagieren könnte. Um Euren Master nicht in Gefahr zu bringen, werde ich nicht direkt mit Euch gehen. Dennoch sicherstellen, dass Euch nichts geschieht." Sebastian steigt von seinem Pferd ab und ich sehe auf ihn hinunter. Kaue kurz auf meiner Unterlippe herum, ehe ich nicke. "In Ordnung. Passt auf Euch auf, Mister Michaelis." Er neigt seinen Kopf. "Das gleiche könnte ich Euch sagen, Miss Kindred. Ihr solltet auch auf Euch aufpassen." Ein leichtes Lächeln erscheint auf meinem Gesicht. "Wisst Ihr..., wenn es um meine Familie geht, ist mir meine eigene Gesundheit scheiß egal." Damit wende ich den Schimmel und reite zum Big Ben.

Dort angekommen, verlangsame ich das Tier bis zum Schritt und sehe mich um. Das hier ist auf jeden Fall die Südseite. Ich schrecke auf, als das Glockenspiel anfängt, welches um Mitternacht gespielt wird und sehe hoch. Das Licht erhellt den Turm und ich kann die Zeiger auch schon richtig sehen. 12 Uhr. Beim letzten Klang des Glockenspiels, sehe ich eine Bewegung in meinem Augenwinkel und sehe dort hin. Erleichterung überkommt mich. "Cedrik!", rufe ich und steige sofort von dem Pferd runter. Laufe zu ihm. "Alex!", ruft auch er und nimmt mich in den Arm. Die eine Hand von ihm ist verbunden. Das Zeichen, dass es wirklich sein Finger war. "Dir gehts gut... dir gehts gut...!" Erleichtert streiche ich ihm über den Rücken. "Was für ne scheiße..."

Schritte. Ich hebe meinen Kopf und ziehe Cedrik hinter mich. "Eine wunderschöne Nacht, nicht wahr, Miss Kindred?" Ein Mann schält sich aus der Dunkelheit und bleibt ungefähr 10 Meter von uns stehen. Schwarze Kleidung. Ein Zylinder. Ein Bart und ein Schnauzer. "Nun denn. Zu den Informationen, die Ihr mir schuldet. Immerhin war ich so großzügig und habe Euren Master freigelassen." Cedrik legt mir von hinten eine Hand auf die Schulter. "Was meint er, Alex?" Ohne den Kopf zu drehen, zucke ich mit den Schultern. "Keine Ahnung." Der Mann lacht und zieht eine einfache Pistole. Ich greife gleichzeitig unter dem Hemd nach dem Revolver und ziehe den Hahn nach hinten. Kugeln waren schon drin. Mit einer Hand ziele ich auf den Kerl. "Pistole runter!", rufe ich und hebe leicht mein Kinn. "Oho?"

Wieder lacht der Mann und mein Finger geht zum Abzugshebel. "Du kannst damit umgehen?", flüstert Cedrik und ich verziehe mein Gesicht. "Könntet Ihr Männer mal damit aufhören zu fragen, ob eine Frau mit einer Waffe umgehen kann?", zische ich leicht sauer, ehe ich mich wieder auf den Mann in schwarz konzentriere. "Aber, aber, Miss Kindred. So etwas will man doch nicht von einer Dimensionswanderin hören, nicht wahr?" Ich stocke. Reiße meine Augen auf. Woher weiß er... "Cedrik...?" Dieser drückt stärker in meine Schulter. "Ich habe ihm nichts verraten, Alex. Ich schwöre!", flüstert er und ich verziehe mein Gesicht. Woher weiß er es sonst? "Hat da jemand nicht erwartet, dass ich es weiß?", fragt der Kerl und lacht erneut, ehe auch er den Hebel zieht, um die Pistole zu laden. "Ich habe Euch in Eurer eigentlichen Dimension getötet. Der Dolch. Ihr erinnert Euch sicherlich daran." Dann wird sein Gesicht ernst. "Ihr könnt einfach nicht sterben, nicht wahr?" Gleichzeitig drücken wir ab.

Ein Aufprall in meine Brust. Ich taumle zurück. Reiße meine Augen auf. Das Atmen funktioniert für einen Moment nicht. Schmerz breitet sich wieder in meiner Brust aus. Langsam sehe ich wieder zu meiner Brust hinunter. Ein roter Fleck wird sichtbar. Tränkt das Hemd. Der Revolver fällt auf den Boden. "ALEX!", brüllt Cedrik und ich falle. Werde von ihm aufgefangen und vorsichtig auf den Boden gelegt. Ein befriedigtes Lachen ertönt, ehe es immer leiser wird. "Alex! Bleib bei mir! E-Es wird alles wieder gut! Ich verspreche es!" Der blondhaarige sitzt neben mir. Mein Kopf auf seinem Schoss. Einiges bekomme ich schon gar nicht mehr mit. "Alles wird gut. Alles wird gut..." Seine Stimme klingt, als ob er weinen würde. Doch ich sehe zu ihm hoch und schmunzle. "Bleib bei... Victoria.", bringe ich raus und nicke leicht. Die Augenlider flattern. Das Sichtfeld wird unscharf. Der Schmerz lässt mit einem Mal nach und ich bin weg.

Die Jagd nach dem Dolch - Der erste TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt