Nächtlicher Tee

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Die Kutsche hält an und Sebastian kommt heraus. Hilft zuerst Ciel hinein und reicht mir dann auch seine Hand. Ein kurzer skeptischer Blick, bevor ich meine Hand in seine lege und ebenfalls einsteige. Während der Earl auf der einen Seite mitsamt Sebastian sitzt, sitze ich gegenüber von ihnen. Mein Kopf gegen die Kutschwand gelehnt und mein Blick besorgt nach draußen gehend. Cedrik... wo bist du nur? Was ist passiert? Hätte ich es verhindern können? Ich hätte einfach wieder nach Hause kommen sollen. Sebastian und die anderen Bediensteten haben die Fähigkeiten dazu, einfach so das Anwesen zu verteidigen, auch wenn der Angriff überraschend ist. Ich hätte es einfach lassen sollen. Wäre ich daheim gewesen... "Mister Michaelis?", frage ich und sehe zu dem schwarzhaarigen, dessen rote Augen nun auf mir liegen. "Ja, Miss Kindred?"

Für einen Moment denke ich noch nach. "Ist Cedrik in dem Haus gewesen, als Ihr den Brief übergeben habt, dass ich im Anwesen nächtige?" Der schwarzhaarige nickt und mein Blick geht wieder raus. "Wieso fragt Ihr?" Ohne einen von den beiden anzusehen, seufze ich. "Victoria hat ihn abends zurück gebracht. Dann habt Ihr ihm diesen Brief übergeben. Ich... versuche nur herauszufinden, was alles passiert ist. Vielleicht kann ich ihn dann finden. Aber sonst hat ihn niemand gesehen. Es ist, als wäre er nach dem abgeben des Briefes einfach so..." Ich schnipse laut und lasse die Hand wieder sinken. "Verschwunden. Ohne einen Hinweis, wo er ist." Ein weiterer Gedanke kommt mir in den Sinn. Oder... kann ich keine Spur finden, weil es keine gibt? Wäre es möglich, dass auch er eine Dimensionsreise hingelegt hat? Das wäre etwas, was ich nicht hoffe...

Den ganzen Weg über bin ich in Gedanken über alle Möglichkeiten versunken, die ich vielleicht noch nicht bedacht, oder denen ich zu wenig Beachtung geschenkt habe. Es raubt mir wirklich den letzten Nerv nicht zu wissen, wo Cedrik ist. Für mich ist er... Familie. Mein großer Bruder. Wenn ich ihn verliere... Ich habe nicht einmal tschüss gesagt! Oder ihm gesagt, wie gern ich ihn habe. Wie froh ich bin, dass er mich gefunden habe. Wie sehr... er für mich eine Familie ersetzt. Als ich krank war, hat er mir alles ans Bett gebracht. Hat mich aufgemuntert. Die Rechnung des Doktors bezahlt, die ausstehend war! Ich habe ihm gesagt, dass ich eine Grippe habe. Und jetzt ratet mal, was der Doktor herausgefunden hat. Aber Cedrik wollte unbedingt, dass ich einen Doktor bekomme, der mir die Medizin ausstellen kann.

Im Anwesen angekommen, ziehe ich mich sofort wieder in das Zimmer zurück, in welchem ich heute in der Früh schon untergebracht war. Mir ist schlecht. Die Sorge schlägt mir auf den Magen und ich habe außerhalb des Frühstückes noch nichts gegessen. Geschweige denn, getrunken! Aber das kann warten. Nervös gehe ich einfach nur im Zimmer auf und ab. Im Kreis. Setze mich nur dann hin, wenn der Schwindel zu viel wird, gehe dann aber sofort weiter. Vielleicht hilft es mir ja, neue Ideen zu bekommen? Das Klopfen reißt mich nur kurz aus meinen Gedanken. "Ja?", frage ich leise und die Tür geht auf. May-Rin steckt ihren Kopf herein. "I-Ich habe Euch etwas zu trinken gebracht. Und... eine Kleinigkeit zu essen." Erst bin ich verblüfft! Aber es ist Sebastian und Ciel, über die das alles gelaufen ist und die auch einen Menschen genau einschätzen können.

Ich bedanke mich und werde während des Essens allein gelassen. Ich schlinge. Verschlucke mich hin und wieder und trinke auch das Wasser sofort aus. Dumme Entscheidung, denn jetzt habe ich Bauchschmerzen. Aber das muss trotzdem irgendwie gehen. May-Rin kommt und bringt erneut eine Karaffe voller Wasser, ehe sie das andere alles mitnimmt und mich wieder allein lässt. Sie wünscht mir eine gute Nacht und ich sehe nach draußen. Ist es schon so spät? Wow... Dennoch kann ich nicht einmal an Schlaf denken. Die Unruhe lässt mich nicht entspannen und so entscheide ich mich spontan, einen kleinen Nachtspaziergang zu machen. Durch das Anwesen. Und vielleicht auch einen Weg nach draußen zu finden und einfach nur... zu existieren.

Raus aus dem Zimmer und... erst einmal keine Ahnung haben, wo man ist. Planen kann ich! Aber wir sind aus... der Richtung gekommen. Also gehe ich nach rechts. Dann links um die Ecke. Den Gang entlang. Meine Schritte werden durch den Teppich gedämpft. Von draußen kommt nur fahles Mondlicht rein und ich kann kaum etwas erkennen. Dennoch reicht es, um Dingen wie Vasen oder Kommoden auszuweichen. Wieder um eine Ecke. Und wieder. Als ich die Treppe erreiche, die nach unten und dann zum Hauptausgang führt, bin ich erleichtert und überrascht. Während ich die Treppenstufen runtergehe, fühle ich mich schon fast adlig und ich kann es mir nicht verkneifen, ein wenig langsamer zu gehen und ein wenig zu lächeln. Unten angekommen, schüttle ich den Kopf und gehe zur Eingangstüre.

"Miss Kindred? Dürfte ich fragen, was Ihr so zu einer späten Stunde noch macht?" Zwar zucke ich zusammen und drehe meinen Kopf schneller, als ich es jemals sonst geschafft hätte, bleibe aber sonst ruhig und lächle, als Sebastian mit einem angezündeten Kerzenständer zu mir kommt. "Das Zimmer hat mich verrückt gemacht und ich wollte raus. Und da das hier der einzige Weg ist, den ich kenne und ich mich nicht im Anwesen verlaufen wollte, bin ich hier her und wollte einfach nur raus.", erkläre ich und seufze. "Vielleicht fällt mir dann ein Weg ein, wie ich ihn finden kann." Der schwarzhaarige mustert mich und nickt. "Wenn Ihr mir bitte folgen würdet, Miss Kindred? Der junge Herr besitzt einen Garten, welchen Ihr benutzen könnt. Bitte hier entlang."

Also folge ich dem Teufel und tatsächlich bringt er mich in den riesigen Garten des Anwesens. Dort stellt er den Kerzenständer auf einen Gartentisch und sieht auf mich hinunter. "Braucht Ihr etwas? Soll ich Euch einen Tee machen?" Lächelnd nicke ich. "Das wäre wunderbar. Aber... nein. Lasst es. Ihr müsst auch schlafen. Macht Euch keine Sorgen um mich. Ich werde nicht schlafen können, also... müsst Ihr nicht aufbleiben." Doch Sebastian verneigt sich nur. "Für einen Butler der Familie Phantomhive sollte dies kein Problem darstellen. Den gleichen Tee wie gestern?" Seufzend nicke ich. "Den gleichen bitte..." Erst, als er verschwunden ist, sehe ich nach vorn. Der braucht doch eh keinen Schlaf. Aber vorspielen muss man es doch irgendwie. Die kalte Nachtluft ist etwas, das normalerweise meinen Kopf reinigt! Aber im Augenblick verschlimmert es meine Ängste und die schlimmsten Befürchtungen.

Die Jagd nach dem Dolch - Der erste TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt