Doch nicht in der Nacht?!

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Am nächsten Tag werde ich von May-Rin geweckt und ich ziehe mich an, ehe ich das Bett ein wenig herrichte und das Fenster öffne. Automatismus. Erst dann gehe ich aus dem Zimmer und folge ihr in Richtung des Speisesaals, in welchem es das Frühstück gibt. "Guten Morgen, Earl Phantomhive.", begrüße ich den kleinen und kann mir ein Gähnen nicht verkneifen. "Guten Morgen, Miss Kindred.", erwidert er und ich setze mich auf den Platz, den mir die Brillenträgerin zeigt. Dass ich in der Früh keinen Kaffee mehr trinke, daran habe ich mich gewöhnt. Cedrik hat einfach keinen und ich werde ihn sicherlich nicht darum bitten, horrende Summen für Bohnen auszugeben. Nein, nein. Das ist es nicht wert.

"Welches Getränk würdet Ihr gern zu Euch nehmen?", fragt Sebastian und sieht auf mich hinunter. "Was stünde denn zur Verfügung?" Mit einem fragenden Blick sehe ich zu ihm hoch und er neigt seinen Kopf. "Zur Verfügung stünden die verschiedensten Teesorten, Säfte, Wasser und Kaffee." Meine Augen werden groß und sofort gehen meine Mundwinkel hoch. "Ihr habt Kaffee da...?" Der schwarzhaarige nickt lächelnd. "Ich werde Euch sofort einen Kaffee bringen. Bitte habt einen Moment Geduld." Er verneigt sich und geht aus dem Raum, während ich einfach nur glücklich nach vorn sehe. Kaffee... Kaffee! Seit fast einem dreiviertel Jahr bekomme ich das erste Mal wieder Kaffee! Man könnte meinen, ich habe im Lotto gewonnen, so glücklich bin ich gerade.

Den Kaffee, den Sebastian mir bringt, trinke ich pur. Schwarz. Ohne Milch oder Zucker. Das Bittere wieder auf der Zunge zu schmecken ist wunderbar. Das Frühstück besteht aus einer Auswahl an Speisen. Darunter frisches Obst, Wurst und Käse, Marmeladen, Brot, Butter und so weiter und so weiter. Ein halbes Buffet nur auf dem Tisch. Irgendwie fühle ich mich, als wäre ich daheim. Bei meinen Eltern, als ich in das Marmeladenbrot beiße und danach den Kaffee trinke. So viel Nostalgie in so kleinen Dingen. Es ist, als könnte ich schon fast die Stimmen meiner Eltern und meiner Brüder hören. Das Miauen der Katzen. Entspannt atme ich aus und bin ruhig. Als könnte mich gerade nichts und niemand stören. Als könnte- "Junger Herr? Wir haben unerwarteten Besuch, der sich erst für die Nacht angekündigt hat." Entspannt? Ich? Jetzt nicht mehr!

Ich verschlucke mich am Kaffee und starre den schwarzhaarigen an. "WAS?! Die haben doch explizit gesagt, dass sie in der Nacht angreifen werden! Nicht am Morgen!", rufe ich und jetzt so ein gewisses Problem, die vorher erhaltene Ruhe auch auszustrahlen. Geschweige denn, sie zu behalten. "Das läuft nicht so, wie sie es gesagt haben... wieso ändern sie den Plan? War ich zu auffällig, als ich raus bin?" Mein Blick geht zu Sebastian. "Ist es meine Schuld, dass die den Plan geändert haben?" Doch die roten Augen sehen mir ruhig entgegen. "Miss Kindred. Beruhigt Euch. Ihr seid an nichts schuld. Bitte folgt Tanaka in Euer Zimmer und bleibt dort, bis einer der Bediensteten Euch holt." Spontan klatsche ich in die Hände. "Nein." Komplett ernst sehe ich dem nun etwas irritierten Sebastian in die Augen. "Höchstwahrscheinlich ist es meine Schuld. Gebt mir ein Gewehr und ich-" "Ihr werdet in Euer Zimmer gehen." Nun mischt sich auch Ciel ein, der ein wenig genervt zu sein scheint.

Einen Kommentar verkneifend, starre ich ihn wütend an, seufze aber und stehe auf. "Wenn Ihr es wünscht..." Der ältere Mann stellt sich zu mir, verneigt sich und geht voraus. Ein letzter Blick zu Ciel und Sebastian und ich verlasse, Tanaka folgend, den Speiseraum. Eine dumme Idee kommt mir in den Sinn und ich muss mir doch glatt das böse schmunzeln verkneifen. "Hier seid Ihr sicher, Miss Kindred.", meint Tanaka, als er mich in mein Zimmer bringt. "Soll ich bei Euch bleiben? Braucht Ihr etwas?" Das Wasser habe ich in der Nacht noch ausgesüffelt, also... "Könntet Ihr mir bitte noch etwas Wasser bringen? Es... die Nervosität ist echt... wahnsinnig groß!" Entschuldigend lächelnd sehe ich zu dem alten Bediensteten, der sich nur verneigt. "Ich bin gleich wieder bei Euch. Bitte bleibt hier und hört auf den jungen Herren."

Ein Grinsen zeigt sich, als sich Tanaka nach draußen begibt und ich auch die ersten Schüsse vernehmen kann. It's Showtime. "Ich hatte schon immer Probleme, gewissen Dingen Folge zu leisten...", murmle ich und schleiche mich selbst aus dem Zimmer. Laufe die Gänge entlang und finde durch mehr als nur Glück, den Aufstieg nach oben auf das Dach. Die enge Wendeltreppe könnte echt mal wieder ein paar neue Stufen vertragen. Die alten... sind schon etwas abgenutzt. Die Schüsse werden lauter und meine Ausdauer weniger. Keuchend komme ich oben an und hole erst einmal wieder Luft, bevor ich nach draußen trete und May-Rin entdecke. Die Brille auf ihren Haaren und auf die Schüsse konzentriert. Mehrere Gewehre liegen bei ihr, mitsamt den Kugeln. "Ihr werdet sicherlich nichts dagegen haben, wenn ich ein wenig helfe.", bringe ich raus und sofort geht ihr Kopf zu mir. Erschrocken reißt sie die Augen auf. "Miss Kindred?!"

Zuversichtlich nehme ich eines der Gewehre und eine Kugel. "Jap. Ist zwar ein wenig her, dass ich geschossen habe, aber Kimme und Korn sind und bleiben das gleiche. Egal..." Ich lade und grinse, ehe ich anlege. "Bei welchem Gewehr." Wie früher bei den Luftgewehren, stelle ich mich Schulterbreit hin. Den Schaft des Gewehres an meiner rechten Schulter anliegend. Beide Augen offen und nur durch das eine Auge etwas wahrnehmen. "Miss Kindred...! Das ist keine gute Idee! Der junge Herr hatte doch gesagt, dass Ihr-" Hammer nach hinten, zielen und Schuss. Der Rückstoß ist um einiges stärker als bei einem Luftgewehr, durchaus aber aushaltbar. Vielleicht bekomme ich keinen Headshot hin. Aber ein Schuss in den Oberschenkel ist drin. Ich sehe zu May-Rin. Sie zu dem Gegner. Dann zu mir. "Der junge Herr wird mich umbringen...", meint sie und gibt mir neue Kugeln.

Ich töte keinen. Dazu treffe ich zu schlecht. Aber ich verlangsame sie, helfe Bard und Finny dabei, sie auszuschalten und lege das Gewehr auf die Seite, als es so aussieht, als wäre der Kampf bald vorbei. "Ich bin nie hier gewesen!", gebe ich Bescheid und die Brillenträgerin nickt. "Ich habe Euch nie gesehen.", erwidert sie, ehe ich wieder in dem Anwesen verschwinde und die Wendeltreppe runter rase. Vorsichtig spähe ich auf den Gang, kann aber niemanden erkennen. Ich trete raus und sehe mich sofort um, als würde ich etwas suchen. Nicht zu früh. Denn Tanaka kommt um die Ecke. "Miss Kindred! Wo wart Ihr? Ich habe Euch gesucht!", meint er besorgt und es tut mir leid, ihn anlügen zu müssen. "T-Tut mir leid... ich wollte auf die Toilette und Mister Michaelis hat sie mir schon einmal gezeigt. Also dachte ich, dass ich den Weg wüsste! Aber... offensichtlich nicht."

Ein hängender Kopf und ein zerknirschter Gesichtsausdruck, zusammen mit einem ein wenig zusammengesunkenen Körper scheinen auszureichen. Hoffe ich zumindest. "Kein Problem. Ich zeige es Euch noch einmal. Kommt bitte mit." Erleichtert, dass ich nicht hier, jetzt und sofort den Anschiss des Todes bekomme, folge ich Tanaka, gehe ins Bad und muss wirklich aufs Klo. Ich merke, wie meine Schulter pulsiert und werde morgen wohl Muskelkater und blaue Flecken haben. An den Rückstoß bin ich eben nicht gewöhnt. Nach dem Händewaschen gehe ich wieder raus und folge ihm in mein Zimmer, in welchem ich das Wasser trinke, welches er mir gebracht hat. Und ich warte brav auf das Ende. Jetzt sind nur noch vereinzelt Schüsse zu hören. Wenige Schreie. Tanaka bleibt bei mir, da ich ihn darum gebeten habe. Zeugen sind immer gut. 

Die Jagd nach dem Dolch - Der erste TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt