Nein, in der Bibliothek war er nicht. Und auch nicht in irgendwelchen Restaurants oder Geschäften. In keiner Bar. Niemand hat ihn gesehen. Sorge taucht auf. Was ist mit ihm? Ich weiß nicht, wo Victoria wohnt, ansonsten hätte ich da schon längst geklopft und- Warte. sie arbeitet doch in dem Geschäft neben der Bibliothek. Und mit denen verstehe ich mich doch ziemlich gut. Warum also nicht...? Hoffentlich funktioniert mein nicht vorhandener Charme und ich krieg die Adresse. Also nichts wie hin und rein. Das Kleidungsgeschäft ist im Augenblick nicht gut besucht, es wird sich aber mit der Tageszeit ändern. Es ist Mittag. Da ist immer generell wenig los und ich bin verwundert, dass man nicht eine allgemeine Siesta macht. Aber das wäre das falsche Land.
Die Adresse bekomme ich, nachdem ich ein wenig Süßholzgeraspel vom Stapel gelassen habe und laufe sofort dort hin, da sie heute frei haben sollte. Doch auch Victoria weiß von nichts und scheint sich ebenfalls Sorgen zu machen, da sie Cedrik schon am Abend daheim abgeliefert hat. Ich bedanke mich trotzdem und verlasse sie mit dem abgerungenen Versprechen, dass ich ihr sofort Bescheid gebe, sollte ich ihn gefunden haben. Aber sie hat sofort angeboten, dass ich bei ihr schlafen könne, falls es sein müsste. Victoria ist wirklich nett und ich denke, dass sie verdammt gut zu Cedrik passen würde. Immer wieder gehe ich zwischendurch zurück zum Haus und klopfe. Es könnte ja sein, dass er mittlerweile zuhause ist! Doch kein einziges Mal macht er auf und so bin ich wieder unterwegs.
Stunden vergehen. Langsam aber sicher gesellt sich zur Sorge auch Panik, dass ihm etwas passiert sein könnte. Cedrik war noch nie der Typ, der einfach abgehauen wäre. Zumindest nicht, ohne jemandem Bescheid zu geben. Habe ich ihn in Gefahr gebracht? Ist es wegen mir? War es, weil ich Ciel gewarnt habe? Oder weil ich aus einer anderen Dimension komme und Cedrik das alles weiß? Was ist, wenn er deswegen Tod ist? Mit einem halben Nervenzusammenbruch sitze ich auf der Schwelle zur Haustüre und habe meinen Kopf an jene gelehnt. "Fuck... wo ist der Kerl?" Immer wieder wiederhole ich die Frage, wo er ist. Aber keine einzige Antwort fällt mir ein. Ich würde ja gern außerhalb der Stadt suchen, aber das dauert zu Fuß eine Ewigkeit und ich habe kein Pferd. Oder kein Geld, um mir wieder eines zu leihen.
Sauer, schlage ich an die Tür hinter mir. "Scheiße!" Tief hole ich Luft und presse meine Lippen aufeinander. Die ersten Strahlen der Abendsonne werfen das orange Licht über die Stadt und tauchen es in diese Farbe. Doch auch, wenn es so friedlich aussieht, ist es für mich gerade die Hölle. Die Hölle auf Erden. Schuldgefühle übermannen mich. Einsamkeit. Panik. Angst. Mein Körper beginnt zu zittern und ich muss mich zusammenreißen, nicht los zu heulen. Emotional wird es mir zu viel. Es ist einfach zu viel. Seit fast einem verdammten dreiviertel Jahr hatte ich keinen Körperkontakt, der mich beruhigt. Und ich rede nicht von Sex. Nein. Von etwas einfachem wie Kopfkraulen. Umarmungen, die was bedeuten und länger dauern als ein paar Sekunden. Das im Anwesen war, zu dem Stress der sich aufgebaut hat, nicht einmal der Tropfen auf dem heißen Stein. Der ist schon in der Luft verpufft. Ich hatte niemanden zum Reden. Und die einzige Person, mit der ich reden KÖNNTE, ist gerade spurlos verschwunden!
"Irgendwann bringe ich jemanden um. Irgendwann bringe ich jemanden um... Irgendwann... ich lauf Amok!", brumme ich zu mir selbst und streiche mir durch mein Gesicht, ehe ein Räuspern ertönt. In der Hoffnung, dass es Cedrik ist, hebe ich meinen Kopf und reiße meine Augen auf! Aber es ist nur Sebastian. Ich sinke ein wenig in mich zusammen und verziehe mein Gesicht. "Hallo, Mister Michaelis.", begrüße ich ihn entgeistert und lehne mich an die Tür. "Kann ich Euch mit etwas helfen?" Der schwarzhaarige richtet sich auf und hinter ihm kommt der Earl hervor. "Guten Abend, Earl Phantomhive." Meine Begeisterung ist kaum in Grenzen zu halten. "Ich würde Euch nur von Mord abraten.", meint Ciel und sieht mich musternd an. "Und dann gerne fragen, was bitteschön passiert ist, dass Ihr so aufgewühlt ausseht. Ich kenne Euch... ruhiger."
Jap. Beim Angriff selbst und als ich geschossen habe, war ich die Ruhe in Person. Aber jetzt...? "Cedrik... mein Master. Er ist nicht da. Ich suche ihn schon seit Stunden, aber er ist nirgends. Und ich bin ausgesperrt, weil das hier noch die Kleidung von einem Eurer Bediensteten ist und der Haustürschlüssel ja doch irgendwie... in der meinigen liegt. Mal wieder eigene Dummheit. Das dürfte meine Misere gerade gut zusammenfassen." Seufzend lehne ich mich wieder gegen die Holztür. "Eigene Dummheit und das plötzliche Verschwinden desjenigen dem ich verdanke, dass ich überhaupt noch lebe. Ist das nicht toll...?" Mit einer leicht zitternden Hand streiche ich mir über den Mund. Starre nach vorn und konzentriere mich darauf, ja nicht zu heulen. "Habt Ihr eine Bleibe für die Nacht? Denn wenn wir zurück fahren und den Schlüssel holen, dann ist es wieder so dunkel, dass ich Euch nicht weg lasse."
Entgeistert atme ich tief durch und sehe den kleinen aus dem Augenwinkel an. "Theoretisch. Ist ziemlich unangenehm. Die wird mich mit Fragen wahrscheinlich löchern. Aber ich hab eine, ja.", erwidere ich und verziehe wieder mein Gesicht. "Wenn ich Schlösser knacken könnte, hätte ich ja zumindest schon Mal mein eigenes Zimmer und Alkohol." Die Blicke, die sich Ciel und Sebastian geben, sind zwar zu sehen... aber die Bedeutung davon kann ich nur erahnen. Dann verneigt sich der schwarzhaarige. "Sehr wohl, junger Herr. Ich werde die Kutsche holen." Während der Teufel sich umdreht und geht, sehe ich stirnrunzelnd zu Ciel. Dieser sieht zu mir hinunter, als wäre ich einfach nur ein Bettler. Irgendwie... hochnäsig gerade. "Ihr kommt wieder mit. Wenn Ihr so oder so noch etwas wertvolles vergessen habt, so ist es besser."
Plötzlich muss ich das Lachen anfangen und kann es nicht aufhalten. Ich lehne mich nach vorn und habe mein Gesicht in meinen Händen. Mein gesamter Körper erbebt. Es braucht einen Augenblick, bis ich mich wieder beruhigt habe. Ich will nicht wissen, wie viele komische Blicke heute schon auf mir lagen. "Tut mir leid, Earl Phantomhive. Wenn mir etwas komplett zu viel wird und ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll... dann lache ich. Nehmt es nicht persönlich." Langsam hebe ich meinen Kopf und sehe mit einem schon fast verrückten Grinsen gerade aus. "Kann es sein, dass Ihr relativ wenig lacht?" Kichernd drehe ich mein Gesicht zu ihm. "Doch, werter Earl! Nur normalerweise nie aus dem Grund der Überforderung." Verstehend nickt er und es dauert nicht lange, bis eine Kutsche mit Tanaka als Kutscher um die Ecke biegt.
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Die Jagd nach dem Dolch - Der erste Tod
FanfictionAlex lebt friedlich und gemütlich in ihrer Welt. Hat ihre Freunde und eben normale Probleme. Wie kann man die Berufsschule am besten schwänzen, um mit ihrem besten Freund Ricky saufen zu gehen und so weiter. Doch ein Dolch in ihrer Brust lässt sie i...