Sofortiger Aufbruch

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Es braucht ein paar Minuten, ehe Sebastian mit einem Tablett und einer Decke wieder kommt. Das Tablett stellt er neben dem Kerzenständer auf den Tisch und hält mir die Decke hin. "Ich gehe davon aus, dass Ihr ein wenig länger hier bleiben wollt. Und es wäre eine Schande, wenn Ihr erkranken würdet." Mit einem Lächeln und einem kleinen 'Danke', nehme ich die Decke und schmeiße sie um mich. Setze mich auf den Stuhl und will mir selbst eingießen, bevor sich eine weiß behandschuhte hat sich die kleine Kanne schnappt und mir eingießt. Zwei Löffel Zucker und schon stellt sich Sebastian ein wenig an den Rand. "Sicher, dass ich Euch nicht den Schlaf raube?", frage ich noch einmal und sehe zu ihm. Doch er schüttelt nur den Kopf. "Es ist alles in bester Ordnung."

Schnaubend drehe ich meinen Kopf wieder nach vorn. "Das habe ich zu Cedrik auch immer gesagt, wenn ich ihn halb umbringen wollte.", brumme ich und stehe noch einmal auf. Ein Bein auf den Stuhl und ich auf das eine Bein. Dieses Sitzposition sieht vielleicht ungemütlich aus, ist aber überraschend angenehm. Nachdenklich starre ich auf den Tee. Gibt es wirklich keinen anderen Weg? Nichts, mit dem ich etwas anfangen kann? Ich habe alles abgesucht... was soll ich noch finden? Warte... Er war im Haus. Was ist, wenn sich Spuren oder Beweise IM Haus befinden? Sofort sehe ich zu Sebastian. "Habt Ihr meinen Hausschlüssel?", frage ich und er nickt. Zieht aus der Innentasche seines Fracks den Schlüssel heraus und übergibt ihn mir.

Mein Blick wird ernst, ehe meine Mundwinkel zucken. "Also das könnte jetzt komplett hirnrissig werden und ich werde wahrscheinlich Anschiss vom Earl bekommen aber..." Mit einem herausfordernden Blick sehe ich zu Sebastian. "Wir können nicht zufällig zurück in die Stadt und was nachsehen?" Der schwarzhaarige zieht seine Augenbrauen hoch, ehe er den Kopf schüttelt. "Miss Kindred, das ist keine gute Idee. Ihr solltet bis morgen warten." Stumm sehe ich ihn weiter an. Mein Grinsen wird breiter. Sein Blick wird gleichgültig. "Ihr werdet Euch so oder so sofort aufmachen, nicht wahr?" Grinsend nicke ich und höre nur, wie er seufzt. "Gebt mir einen Moment. Ich werde die Kutsche vorbereiten." Abwehrend hebe ich eine Hand. "Nicht die Kutsche! Die ist zu laut. Habt Ihr hier Reitpferde?"

Während ich mir den Tee hinter die Binde kippe und Sebastian alles wegräumt, bleibt das Haus ruhig. "Wartet einen Moment, Miss Kindred." Ich werde zum Haupteingang gebracht und solle dort auf Sebastian warten. Unruhig spiele ich mit dem Schlüssel in meiner Hand und bin froh, als er endlich kommt. Mit zwei Pferden. Auf einem sitzt er und das andere führt er mit. Dankbar nehme ich die Zügel und schwinge mich auf das Tier, ehe ich den Schlüssel verstaue. Und zwar dort, wo niemand ohne meine Erlaubnis hinkommt. In meinem Korsett zwischen meinen Brüsten. Irgendeinen Vorteil müssen die Dinger ja haben. Ich folge einem komplett entgeisterten Sebastian vom Anwesen und durch den Wald. Mit einem Mal wird er langsamer und wir gehen in einen langsamen Trab über, ehe wir stehen bleiben. Schemenhaft ist ein umgefallener Baum über dem Weg zu sehen. "Ich werde Euch einen anderen Weg finden, Miss Kindred.", meint er und dreht um.

Schnaubend richte ich mich auf. "Zwar kann ich das Springen mit einem Pferd nicht, aber ich soll verdammt sein, wenn ich das nicht lerne!", zische ich nur und drehe auch um. Bringe das Tier zurück, drehe es erneut um und lasse es angaloppieren. Kleinere Hindernisse bin ich schon übersprungen. Aber die größeren waren nicht so meins. Jetzt habe ich ein Ziel. Jetzt wird das auch gemacht. "Miss Kindred!", ruft Sebastian, doch ich ignoriere ihn. Stelle mich noch fester in die Steigbügel und lehne mich nach vorn. Mache es so, wie es die professionellen Springreiter im Fernsehen immer gemacht haben. Konzentrieren. Konzentrieren. Den Weg im Kopf überschlagen und das Pferd ein wenig zurück halten, ehe ich mich schon ein wenig im Sattel aufstelle und das Tier die Vorderbeine nach oben bringt.

Der Aufprall ist heftig, auch wenn ich mich nach hinten gelehnt habe. Ich bin es einfach nicht gewohnt! Sofort bringe ich das Pferd zum Stehen und sehe zurück. Sebastian sieht mich nur Kopfschüttelnd an, ehe auch er mit seinem Pferd den Stamm überspringt und an mir vorbei reitet. Ich treibe das Tier wieder an und schließe zu ihm auf. "So etwas ist gefährlich, Miss Kindred. Ihr hättet stürzen können." Ich drehe meinen Kopf zu ihm. "Und jetzt? Vorbei ist vorbei. Es gibt wichtigeres als einen Sturz." Sebastian zieht eine Augenbraue hoch. "Und was ist denn wichtiger, als Euer Wohl?", fragt er und ich sehe nach vorn. Treibe das Pferd an. "Familie.", erwidere ich nur und habe den Teufel sofort wieder an meiner Seite.

Aus dem Wald traben wir und über die weite Fläche galoppieren wir. Ich lasse das Tier so schnell laufen, wie es nur irgendwie geht. Ich spüre, dass ich morgen wohl nicht nur Muskelkater in der rechten Schulter haben werde, sondern auch in den Oberschenkeln. Wann bin ich das letzte Mal geritten? Uiuiuiuiui... Das wird was. Aber erst morgen. Jetzt nicht. Sebastian bleibt stumm neben mir. Das einzige, was zu hören ist, ist der Hufschlag und das Schnaufen der Pferde. Vielleicht noch das Knarzen der Ledersättel, oder das leise Geklimper des Zaumzeuges. Meine Augen sind rein nach vorn gerichtet. Links? Rechts? Egal. Direkt vor mir liegt die Stadt und dort möchte ich hin. Cedrik... was machst du für einen Mist? Und aus welchem Mist muss ich dich wieder raus ziehen, damit du zurück kommst? Er ist jemand, der sich gern einmal in etwas verrennt. Aber so schlimm war es bisher noch nicht.

"Oh? Miss Kindred? Was macht Ihr so spät noch hier?", fragt einer der Stadtwachen, die uns kontrollieren. Ich bin scheinbar bekannt, wie ein bunter Hund. Lächelnd halte ich das Pferd zurück, unruhig nach vorn zu gehen und es tänzelt auf der Stelle. "Nur nachsehen, ob zuhause alles in Ordnung ist und dann wieder zurück zum Anwesen des Earl Phantomhives. Dauert nicht lange, versprochen! Außerdem habe ich eine Begleitung dabei." Offensichtlich kennen die Männer Sebastian und neigen ihre Köpfe, ehe sie mich wieder ansehen. "In Ordnung, Miss Kindred. Ihr könnt passieren." Dankbar lächle ich und diesmal folgt mir der Teufel, während wir durch die dunkle Stadt reiten. Nur erhellt von so manchen Fenstern und den Straßenlaternen. 

Die Jagd nach dem Dolch - Der erste TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt