Das Wohl der Kinder steht an erster Stelle Teil 9 (45)

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Max's Sicht

Ob es wohl auffällt wenn ich hier in der Umkleide bleibe bis die Schwimmstunde um ist ? Die Lehrer wollen mich doch eh nicht hier haben. Es hat zwar niemand etwas zu mir gesagt aber an Hand ihres Verhalten merke ich dass ich hier unerwünscht bin. Wenn ich aufgerufen werde bin ich immer „Bane" nicht „Lightwood-Bane". Die ersten paar Mal habe ich es noch freundlich korrigiert, doch das habe ich mittlerweile aufgegeben. Rafael hat dieses Problem nicht, er wird bei seinem vollen Namen genannt. Aber Rafs Familie stammt ja auch ursprünglich von hier daher wird er hier mit offenen Armen empfangen, genau wie Dad. Mein Papa dagegen wird wie ich immer als Mr. Bane betitelt und ignoriert so weit es geht. Er sagt nie etwas wenn wir dabei sind. Vermutlich hofft er dass wir es nicht mitbekommen. Aber mein Bruder und ich bemerken mehr als unsere Eltern wissen.

Vor ein paar Tagen waren wir zusammen einkaufen. Eigentlich hatte Dad versprochen pünktlich Feierabend zu machen so dass wir alle zusammen mit dem Auto fahren können. Doch wie eigentlich immer, in der letzten Zeit, kam etwas dazwischen und er musste länger bleiben. Da wir nur ein Auto haben und Dad damit zur Arbeit fährt sind wir mit dem Bollerwagen losgezogen. Auf dem Hinweg hat Papa uns gezogen. Auf dem Rückweg hat Rafael ihm vorne geholfen und ich hab von hinten geschoben wenn es Bergauf ging. Eigentlich war es ganz lustig. Schade dass unser anderer Vater so viel verpasst. Er kommt meist erst nach Hause wenn das Abendessen auf dem Tisch steht.

Die Leute im Geschäft schienen sich mehr oder weniger alle zu kennen. Einige blieben mitten im Gang für eine kurzen Plausch stehen andere nickten sich nur im vorbeigehen zu. Die, an denen wir vorbei mussten griffen sich plötzlich irgendeinen Artikel aus dem Regal vor sich und studierten diesen eingehend. Der Mann hinter der Fleischtheke erklärte dem Kunden vor uns ausgiebig woher er welches Fleisch bezieht und dass er einige Bauern ja sogar persönlich kennt. Der Kunde selbst hatte mehrfach versucht sich zu verabschieden, aber der Verkäufer ließ ihn einfach nicht gehen und fand immer ein neues Thema. Weswegen ich vermutete dass er uns einfach nicht bedienen wollte. An der Käsetheke war es ähnlich. Als wir an der Reihe waren und Papa nach Emmentaler fragte war der angeblich ausverkauft. Erst als Rafael traurig sagte dass dies doch sein Lielingskäse ist bot der Mann an im Kühlhaus nach zu sehen ob noch welcher da ist. Und siehe da, es gab noch welchen. Tatsächlich konnte ich durch die offene Tür sogar mehrere sehen.

Rums. Die Tür der Umkleide flog gegen die Wand. „Wird das heute noch was ? Abmarsch, ins Becken und warm schwimmen", wettert Mr. Smith und zeigt Richtung Ausgang. Ich unterdrücke einen Seufzer und schlurfe zum Becken. Es ist nicht so dass ich nicht gerne schwimme aber in dieser Schule macht nichts richtig Spaß. Lustlos steige ich die Leiter runter und schließe mich den anderen an. Zu Beginn der Stunde müssen wir 15 Minuten lang im Kreis schwimmen, unser Tempo ist dabei egal. Viele schwimmen zu zweit nebeneinander und quatschen dabei. Ich selbst schwimme alleine vor mich hin und bin froh wenn mich niemand beachtet.Ich lass meine Gedanken einfach unwillkürlich treiben. In der letzten Zeit denke ich immer an unser Leben in Brooklyn. Dort war alles viel schöner. Dad hat da natürlich auch gearbeitet, aber er hatte trotzdem immer Zeit für uns. Er kam pünktlich nach Hause und hat im Flur immer gerufen: "Ich bin daaaa" . Rafael und ich sind dann sofort zu ihm gerannt, um mit Anlauf in seine Arme zu springen und er hat uns einmal im Kreis herum gewirbelt. Manchmal hat er das sogar mit unserem Papa gemacht, der hat dann immer vor Freude gequietscht. Obwohl er immer behauptet er würde nie etwas so unmännliches tun wie quietschen.

Jetzt ist es anders. Jetzt ist Dad Abends erschöpft und streicht uns nur kurz über den Kopf und gibt Papa einen schnellen Kuss bevor er auf seinen Stuhl sinkt. Er fragt zwar immer noch nach unserem Tag und wie es in der Schule war aber er scheint unsere Antworten vor lauter Müdigkeit kaum auf zu fassen. Papa scheint nicht mehr viel Hoffnung zu haben dass unser Dad mal pünktlich ist. Wenn wir fragen was wir am Wochenende machen oder ob wir alle zusammen noch einen Film gucken können hören wir immer öfter das Wort Wenn. Wenn euer Vater früh nach Hause kommt. Wenn euer Vater Samstag nicht arbeiten muss. Wenn euer Vater nicht zu müde ist.... Ich weiß dieser Job ist eine einmalige Chance und r bringt auch mehr Geld aber ich möchte lieber meinen alten Vater zurück der Zeit für uns hat. Ich weiß dass Rafael das ebenso sieht.

„Alle am Beckenrand aufstellen, zum Staffelschwimmen", dringt die Stimme unseres Lehrers zu mir durch. Missmutig schwimme ich zum Rand und zieh mich hoch. „Es gibt 2 Teams a 10 Personen. Ihr könnt euch selbst einteilen wie ihr möchtet. Jedes Team bekommt einen Ring der immer an den nächsten Schwimmer weitergereicht wird. Jack, Ralf ihr 2 kommt mit mir und holt die Ringe. Die anderen teilen sich schon mal auf" befiehlt er und geht mit den Jungs im Schlepptau zu der kleinen Kammer in der die Schwimmutensilien gelagert werden. Ich stehe am Rand des Schülerhaufens und warte einfach ab bis sich alle sortiert haben und dann gehe ich einfach zu der Gruppe die noch jemanden braucht. So mach ich das immer. Aus den Augenwinkeln sehe ich wie Rod dicht an mir vorbeigeht, und mich plötzlich unsanft mit der Hüfte anrempelt. Ich versuche noch mich am Treppengeländer fest zu halten, schaffe es aber nicht. Mein Fuß rutscht am Rand ab genau in die Lücke zwischen Leiter und Wand, während ich mit einem lauten Platsch im Wasser lande. Die anderen fangen lauthals an zu lachen während ich verzweifelt versuche meinen Fuß zu befreien. Vor lauter Panik tauche ich immer wieder unter und schlucke Unmengen Wasser. Weit entfernt nehme ich Mr.Smith Ruf wahr: „Bane, raus aus dem Wasser". Ich denke schon dass meine Eltern und Rafael mich furchtbar vermissen werden wenn ich heute hier ertrinke, da packt mich unerwartet eine starke Hand am arm und zieht mich raus. Prustend und hustend liege ich auf den Fliesen während jemand meine Mitschüler und meinen Lehrer anblafft was das denn soll und wie unverantwortlich deren Verhalten ist. Anschließend wendet er sich an mich und hilft mir hoch. Langsam führt er mich zu den Umkleiden. „Komm, ich bring Dich ach Hause", sagt er. „Ich bin übrigens Hodge, der Hausmeister. Mich hat die Liebe hier her verschlagen. Ursprünglich komme ich aus Hamburg. Die Einwohner hier behandeln mich immer noch wie einen Aussätzigen obwohl ich schon seit 40 Jahren hier lebe. Zieh Dich um, ich hol schon mal den Wagen, Wir treffen uns vor der Tür. Lass Dir ruhig Zeit". Mit diesen Worten lässt er mich allein.

Auf der Heimfahrt bietet er mir an mit meinen Eltern zu reden und ihnen alles zu erzählen. Doch ich habe nicht vor ihnen die Wahrheit zu sagen, das darf Hodge natürlich nicht wissen. Er meint es ja nur gut. Mein Plan ist mich vor der Tür zu bedanken und ihm zu versichern dass ich alleine rein gehen kann. Ich hätte mir denken können das es nicht so leicht wird. In dem Moment wo wir anhalten geht Papa gerade aufs Haus zu und bemerkt das Auto natürlich. Er wirkt total aufgelöst als er sieht wie Hodge mir beim aussteigen hilft und ich kurz vor Schmerz zusammen zucke. Hodge, hilfsbereit wie er ist setzt bereits zu einer Erklärung an weswegen ich einfach dazwischen rede, was eigentlich nicht meine Art ist. Ich gebe meinen Vater eine zensierte Kurzfassung die sich recht harmlos anhört und jammer ein wenig wie weh der Fuß tut und ich rein möchte. Der letzte Teil ist nicht einmal gelogen. Es tut höllisch weh. Schließlich verabschiedet Papa sich von Hodge und trägt mich ins Wohnzimmer wo er mich vorsichtig auf der Couch absetzt. Papa lässt mich den Fuß in alle Richtungen drehen und wenden bevor er entscheidet dass nichts gebrochen ist. Mit der Aussicht auf Schokopudding mit Vanillesoße und fernsehen geht es mir direkt etwas besser. Das Kühlpack trägt natürlich auch dazu bei. 

Malec  Kurzgeschichten 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt