Chapter IX - I

67 7 1
                                    

Stunden waren vergangen seit dem Gespräch mit Corvin, wenn man es überhaupt als ein solches bezeichnen konnte. Schließlich ist er am Ende einfach abgehauen. So ein Idiot. Und wir dachten er könnte und würde uns helfen. Ich dachte das. Dabei war doch eigentlich klar, dass der ach-so-tolle Herr Prinz uns nicht helfen würde. 

Es war inzwischen dunkel geworden aber als ich vor einer Weile raus gegangen war, um spazieren zu gehen und etwas alleine zu sein, war es noch hell gewesen. Mit Kopfhörern, aus denen Blackmetal dröhnte, in den Ohren, ging ich immer weiter. Inzwischen hing der Nebel schon tief in den Straßen und ein kalter Wind zog an mir vorbei, fraß sich durch meine Jacke und ließ mich am ganzen Körper frieren. Vielleicht sollte ich zurück zu Asmo gehen? Ich dreht auf der Stelle um und ohne Vorwarnung traf mich ein böses Gefühl. 

Ich ging ein paar Schritte, bis aus einer Seitengasse vor mir jemand heraus trat. Ich hatte nicht einmal Zeit die Kopfhörer raus zu nehmen, da kam die Person auf mich zu und als sie die große kaputze ihres zerschlissenen Mantels zurückstriff, erkannte ich Vincent. Die Stöpsel zog ich aus dem Ort und trat auf ihn zu. "Vincent..?" Ohne Vorwarnung traf mich eine Klaue und schnitt in meine linke Wange. Ich stolperte zurück. "Vincent!" Sein Gesicht war zu einer fürchterlichen Fratze verzogen und mit bösen Augen fixierte er mich. Mit erhobenen Händen ging ich weitere zurück, bis mich eine Hauswand schließlich daran hinderte. Was war hier los? Ich wollte ihm erklären wieso ich mich nicht gemeldet hatte, ihn beschwichtigen oder etwas in der Art. War er denn etwa so sauer, weil das mit uns vorbei war? Der nächste Schlag traf mich und Blut floss mir aus der Nase. Erschrocken stand ich einfach nur da. Ich war erstarrt, nicht fähig mich zu bewegen, als die Klaue erneut auf mich zu raste. Mit zusammen gekniffenen Augen machte ich mich auf den kommenden Schmerz gefasst, doch nichts passierte. 

Vorsichtig schaute ich auf die dunkle Straße vor mir. 

Am Kragen gepackt hing Vincent in der Luft und zappelte wütend vor sich hin. "Dich kann man auch keine Sekunde allein lassen." meckerte… Corvin? Ja, dieses schräge Lächeln gehörte eindeutig zu Corvin.

"Halt doch die Klappe und lass gefälligst Vincent in Ruhe! Das geht dich nichts an!" fuhr ich ihn an und wischte mir mit den Handrücken das Blut aus dem Gesicht. Erst tut er auf nett, dann haut er einfach ab und jetzt tut er wieder so als wolle er helfen? Ohne mich! Aufgebracht stapfte ich an Corvin vorbei, um wieder zu Asmo nach Hause zu gehen. 

"Keine Ahnung wer dieser Vincent ist, aber das hier ist er nicht." lachte Corvin und drehte dem Jungen in seinem Griff mit einem Ruck den Hals um. Die Knochen knacken widerlich laut, sodass sich Gänsehaut über meinen ganzen Körper ausbreitete. Die leblose Gestalt in Corvins Händen löste sich einfach in giftgrünen Rauch auf. "Das war ein minderwertiger Dämon. Er hat sich einfach nur deiner..." kurz stockte er. "...Angst angepasst." stellte der Weißhaarige klar. Fast wäre ich ausgerastet aber das plötzliche Schütteln, dass Corvin durchzog lies mich innehalten.
Er sackte zu Boden.
Jetzt erst erinnerte ich mich. Er war doch von den Jahrtausenden in dieser Hexen-Hölle geschwächt! Und trotzdem war er extra gekommen um mir zu helfen? Der Gedanke erschien mir zwar sehr abstrakt aber vielleicht war er ja doch gar nicht so übel wie er tat. 

Liegen lassen konnte ich ihn auf jeden Fall nicht und als ich mich versichert hatte, dass sein Puls regelmäßig und überhaupt noch vorhanden war, fischte ich in meiner Tasche nach meinem Handy. Nachdem ich endlich, mit kalten Fingern, Asmos Nummer gewählt hatte, hielt ich mir das Gerät ans Ohr. 

"Neo?" meldete sich Asmo, offenbar alarmiert von meinem Anruf. 
"Ehm, ja. Ich würde ja eigentlich nicht fragen aber kannst du herkommen?" 
"Wo bist du denn?" 
"Nur ein paar Straßen von dir entfernt, war ja nur spazieren." 
"Und wo genau?" 

Ich überlegte. Von Straßennamen hatte ich keine Ahnung, also suchte ich nach etwas anderem, woran Asmo die Gegend erkennen konnte. 

"Hier ist so ein großes, total blaues Haus."
"Warte da auf mich!" und schon hatte er aufgelegt. Nervös strich ich mir eine lange Strähne hinters Ohr und setzt mich, zu dem bewusstlosen Corvin, auf den Gehweg. Hoffentlich braucht Asmo nicht so lange, dachte ich und drückte meine Jacke noch enger an mich.

Tatsächlich dauerte es nur wenige Minuten bis die Scheinwerfer von Asmos Wagen die Dunkelheit um mich herum zerschnitten. Er hielt neben mir und mit hochgezogenen Augenbrauen stieg Asmo aus. "Na wen haben wir denn da!" etwas belustigt sah er zu Corvin. "Wie hast du den denn gefunden?" "Gar nicht. Er hat mich gefunden." antwortete ich und stand auf. Mit den Handflächen klopfte ich mir den Dreck von der Hose. "Dann laden wir den 'Prinzen' mal ein." lachte Asmo und zeichnete bei dem Wort 'Prinz' Anführungszeichen in die Luft. Tatsächlich brachte es mich auch ein wenig zum lächeln. Zusammen hieften wir in auf die Rückbank, was sich einfacher als gedacht herausstellte. Obwohl Corvin fast zwei Meter groß war, war er ein Fliegengewicht. Seine Arme fühlten sich an wie Knochen und ein furchtbarer Gedanken schoss mir in den Kopf: natürlich hatte man ihn all die Jahrtausendende gequält, aber, dass man ihm auch die Nahrung verweigert haben musste, hatte ich bis jetzt komplett verdrängt. Meine grünen Augen wurden glasig aber ich versuchte angestrengt die Fassung zu bewahren. All meine Abneigung gegenüber dem Dämonenprinzen war in diesem Moment verflogen und tiefstem Mitgefühl gewichen. Niemand, nicht einem der schlimmste Dämon hatte soetwas verdient. Es muss wirklich schrecklich für ihn gewesen sein. 

"Neo? Was ist los?" besorgt legte Asmo seine Hand auf meine Schulter. Der Werwolf musterte mich und zeigte auf die blutige Schramme in meinem Gesicht. Er schien sie vorher nicht bemerkt zu haben. Bevor er danach fragen konnte sagte ich nur "Corvin hat mich gerettet. Trotz seinem Zustand." erstaunt nickte Asmo. "Nur, weil ich wieder so unvorsichtig war!" fast schrie ich Asmo schon an aber der junge Mann schloss mich einfach in seine Arme. "Dich trifft keine Schuld."

Vorsichtig drückte er mich wieder von sich und sah in mein, von Tränen geflutetes, Gesicht. "Jetzt fahren wir wieder zu mir und da kümmern wir uns auch um unseren 'Dämonen-Freund'."

Die Hexen des ZirkelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt