Chapter IX - V

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"Wie lief's eigentlich zuhause?" frage Alec als wir den Korridor zum Klassenraum entlang liefen. "Ganz großartig." antwortete ich sarkastisch und zeigte ihm meine rechte, blaue, Gesichtshälfte. "Mom ist absolut ausgerastet und will mich auch gar nicht irgendwie sehen - hat sie zumindest gesagt - und sie hat…" ich sah mich auf dem Flur um. Es waren nur noch sehr wenig Schüler hier, da es schon sehr kurz vor Unterrichtsbeginn war. "... sie hat einen Bannkreis um das Haus gezogen." Mit aufgerissenen Augen sah Alec mich von der Seite an. "Alter… Wenn's so hart ist, kannst du dich jederzeit etwas bei mir einquartiert. Meine Eltern lieben dich, da geht das absolut klar. Also vorausgesetzt du kannst irgendwie abhauen dann. Und mit dem…" wir waren beim Raum angekommen und ich stoppte Alec etwas grob mitten im Satz, aber wir hatten in dem Moment numal nicht die Zeit dazu und ich hatte auch ehrlich gesagt keine Lust darüber zu sprechen. Irgendwie war ich ja ziemlich selber schuld daran. 

Der Unterricht war todlangweilig. Wie immer. Die ganze Stunde hatte ich nur auf die Uhr gestarrt aber es klingelte einfach nicht. Ehrlich gesagt sah es für mich nicht einmal so aus als würde sich der Zeiger überhaupt bewegen. 
Ich dachte die ganze Zeit nach. Über alles halt. Es war zu viel passiert in letzter Zeit und irgendwas fühlte sich unvollständig an. Ich fühlte mich unvollständig. Mir fehlt irgendetwas. War es die Aufregung der letzten Tage und Wochen, die nun einfach verschwunden war? Oder doch etwas anderes? Gedankenverloren spielte ich mit der Kette, das Teil was Jo mir gegeben hatte, damit ich nicht durch Corvin in Gefahr oder so gerate. Corvin. Wir hatten den Dämonen befreit, aber weiterhelfen tut er uns auch nicht. Was war überhaupt das endgültige Ziel? Den Rat stürzen? Wahrscheinlich. Dann würde dir Tyrannei enden. Aber was danach mit den Hexen geschehen wird, keine Ahnung. Obwohl, es sind ja nicht alle Hexen im Zirkel… 
Und da kam mir die Erkenntnis. Es waren nicht alle Hexen im Zirkel! Es gab also Hexen, die uns weiterhelfen könnten. Hexen, die mir weiterhelfen könnten und wollten. Nur wusste ich wirklich nicht, wie gerade ich sie finden sollte, wenn der Rat sie noch nicht einmal finden kann. 
"Neo!" Alec zerrte an mir. "Es ist Pause." Mein Blick schoss zur Uhr. Stimmt, die erste Pause hatte bereits begonnen. "Ich komme ja schon." 

Der Rest des Tages verlief genauso wie die erste Stunde. Es war todlangweilig aber die Option zu Hause zu sein war irgendwie nicht besser. Mutter war schließlich verdammt sauer und dementsprechend war es dort auch nicht viel besser als hier in der Schule. In den Pausen hatte ich eigentlich jeden gemieden, außer Alec und Jo natürlich. Mit ihnen hatte ich mich in eine ruhige Ecke verzogen und weiter über die Hexen gegrübelt, während die beiden sich miteinander unterhielten. Nach scheinbar unendlich vielen langenweiligen Unterrichtsstunden war der Schultag vorüber und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Dieses Mal zu Fuß, schließlich hatte ich es nicht so eilig. Ich hatte auch extra langsam eingepackt und Alec gesagt er könnte ohne mich gehen.
Als ich das Schulgelände dann verließ waren schon fast gar keine Schüler mehr da. 

Nachdem ich schon 20 Minuten gegangen war, stellte ich ungläubig fest, dass ich überhaupt nicht auf dem Weg nach Hause war. Ich war einfach ganz woanders hingelaufen. Verwirrt blickte ich mich um. Es war eine komische Gegend, in der ich tatsächlich noch nie war. Hier wohnten, soweit ich wusste, nur Geringverdiener, um es mild auszudrücken. Ein komisches Gefühl beschlich mich. Ich dreht mich um und wurde an die nächste Hauswand gedrückt. Es war Vincent der mit seiner Hand meine Luftzufuhr abdrückte. Er versuchte tatsächlich mich zu erwürgen. Verzweifelt versuchte ich mich logischerweise zu befreien und seine Hand weg zu drücken, aber sein Griff war einfach zu fest. "Vincent?" würgte ich hervor. Es tat weh. Mir wurde schwindelig. Wenn er jetzt nicht loslassen würde, wäre meine einzige Chance Magie einzusetzen, obwohl ich mich in der Öffentlichkeit befand und gesehen werden könnte. Ich hob meine Hand zögerlich um notgedrungen einen Zauber zu wirken, da verschwand der Druck auf meinem Hals und ich sackte zu Boden. Meine Sicht war verschwommen, kurz sogar ganz schwarz. Aber als ich wieder halbwegs klar sehen konnte, war ich nur noch verwirrter. 

Vor mir stand kein anderer als Corvin. Seine Hand tief in der Brust von Vincent. Die Augen des Dämonen Prinzen waren wie flüssiges Silber und er sprach Worte in einer fremden, alten Sprache, denen ich in meinem Zustand nicht folgen konnte. Seine Körperhaltung strotzte nur so vor Macht und seine Aura wirkte unterstützten. Vincents Körper glühte plötzlich auf. Ein glühendes etwas wich aus ihm und wurde sich von Corvin einverleibt. 

"Wieso bist du hier?" flüsterte ich. Doch Corvin lachte nur kurz auf, lies Vincent fallen und Strich sich seine weißen Strähnen aus dem Gesicht. Jetzt kam er direkt auf mich zu. "Du bist doch zu mir gelaufen und hast dich unter meinem Fenster mit einem Besessenen angelegt." Er kniete sich neben mich und vorsichtig zog er den Kragen meines Shirts ein Stück herunter und betrachtet meinen roten Hals. "Das wirst du nicht selbst heilen können." stellte er sachlich fest. "War ein mieser Dämon. Das heilt man nicht so leicht selbst." Als wäre es selbstverständlich schob er seinen Arm unter meine Beine und den anderen an meinem Rücken entlang, um mich so hoch zu nehmen und in seine Wohnung zu tragen. 

Er setzte mich auf seinem Bett ab. Anscheinend war das das einzige Möbelstück hier, auf dem man sitzen oder liegen konnte. Soweit ich seine Wohnung überblicken konnte, was nicht sehr schwer war, da es nur eine Einzimmerwohnung war, konnte ich nur sagen, dass es hier katastrophal aussah. Nicht im Sinne von dreckig oder unordentlich, sondern im Sinne von verdammt ärmlich. Geradezu besitzlos. Die Küche waren nur ein Kühlschrank und ein Herd und das Bett samt Nachttisch waren das einzige restliche Mobiliar.

 "Wie ist das möglich? Ich hab doch den Anhänger." flüsterte ich, da unterbrach Corvin mich tadelnd. "Du solltest wirklich nicht weiter reden, sonst schwillt dein Hals noch mehr an, als er es ohnehin schon tun wird. Aber was die Anhänger betrifft, die halten uns nicht wirklich voneinander fern - das kann kein Zauber der drei Welten... Du solltest dadurch nur merken, wann ich 'zu nah' bin und dich selbst von mir fern halten, aber anscheinend hast du den Anhänger genau für das Gegenteil genutzt. Kann ich dir nicht verübeln." Er drehte sich zu mir und sah mir mit einem Blick in die Augen, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das verzaubernde Silber hatte mich so sehr in den Bann gezogen, dass ich nicht einmal bemerkt hatte, wie er sich neben mich gesetzt hatte und auf einmal war mir Corvin so nah, dass mir unglaublich warm wurde. Mein Herz schlug wie verrückt, immer schneller und schneller, bis ich fast befürchtete, es würde einfach aufhören zu schlagen, wenn ich seinen warmen Atem nur noch einmal auf meiner Haut spüren würde.
Da schlich sich plötzlich ein rotschimmer auf Corvins blasse Wangen und er sprang auf. Schaffte ein paar Meter Abstand zwischen uns. Auch ich lief nun knallrot an. 

Was war das denn bitte? 

Die Hexen des ZirkelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt