Chapter V - IV

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Vorsichtig öffnete ich unsere rote Haustür. Im Flur war es still. Dad, Lezah und Tante Theodora waren noch auf Arbeit. Aber wo war Mom? Ich befürchtete, sie würde wieder ausrasten, wenn sie sieht, dass ich den Unterricht schwänze und warum konnte ich ja auch schlecht sagen. An der Küchentür lauschte ich kurz und als ich nichts hörte entschied ich mich schnell durch die Küche, hoch in mein Zimmer zu gehen. Kaum hatte ich die Tür offen, blickte ich direkt in das Gesicht meiner Mutter. Hinter ihr brodelte es in diversen Töpfen und komisch zähflussige Blasen stiegen aus einem Topf. Mein Kopf arbeitete bereits auf Hochtouren, um mir eine gute Ausrede parat zu legen aber es kam anders. "Oh, Neo!" Sie eilte auf mich zu und betrachtete ihr Werk von gestern in meinem Gesicht. "Das wollte ich nicht, mein Junge. Ich mach mir doch nur Sorgen um dich!" Sie hielt meinen Kopf noch immer zwischen ihren Händen, vorbei sie ziemlich nach oben schauen musste. "Werwölfe sind äußerst gefährlich und hinterlistig. Diese niederen Kreaturen wollen nur an deine Magie, glaub mir, ich bin doch nur besorgt." Es gefiel mir nicht wirklich wie sie über Asmo redete, schließlich war er ein Freund. Aber andererseits, lag ich damit vielleicht doch falsch? Warum sollte meine Mutter mich denn anlügen? "Sag doch was, Neo. Ich wollte dich nicht schlagen, das weißt du doch?" Alles was ich tat war nicken, zu mehr war ich im Moment nicht fähig. "Gut, gut. Ich kenn leider keine Hexe mit Heilkräften und einen Trank dafür hab ich grad auch nicht, sonst hätten wir das beseitigen können aber vielleicht hat Theodora ja etwas hilfreiches." Jetzt wo sie es sagte, fiel mir ein, dass ich es ja eigentlich selbst können müsste. Jo hatte gesagt ich hätte Heilkräfte und Asmos Verletzung hatte ich ja auch schon mal geheilt. Vorsichtig nahm ich Moms Hände von meinen Wangen. "Vielleicht probiere ich es mal." teilte ich meiner Mutter mit und erstaunt sah sie mir zu. Ich hatte zwar keine Ahnung wie man richtig heilt aber ließ mein Gefühl mich leiten. Langsam legte ich eine Hand auf die blaue Wange und konzentrierte mich darauf. Sie begann in strahlendem grün zu glühen und ein warmes Gefühl durchschoß mich. Als das Grün allmählich verblasste, entfernte ich die Hand von meiner Wange. Fragend blickte ich zu Mom. "Neo!" Begeistert hatte sie alles beobachtet. "Du bist ein unglaublich talentierter Junge. Mein Sohn! Ein Naturtalent." Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Es fühlte sich gut an von ihr gelobt zu werden. Ich wusste gar nicht wann ich sie das letzte Mal so stolz auf mich gesehen hatte. "Du hast doch in ein paar Wochen Ferien?" Verwirrt nickte ich. Auf die zwei Wochen schulfrei freue ich mich schon lange. "Dann wirst du die Ferien über vom Rat trainiert werden. Dein Talent muss geschult werden." Hochmotiviert klatschte Mom in die Hände. "Ich werde die hohen Hexen sofort darüber informieren. Dann kannst du auch endlich aufgenommen werden." "Okay, ich geh dann mal hoch." "Mach das, mein Junge, du bist was ganz besonderes." Dann gab sie mir überraschend noch einen Kuss auf die Wange und ging wieder zu ihren Töpfen.

In meinen Zimmer angekommen schmiss ich die Tür hinter mir zu und legte mich auf mein Bett. Sobald mein Handy mit der Bluetoothbox verbunden war, machte ich mir Atmospheric Black Metal an. Die Augen geschlossen und meine langen schwarzen Haare über das Kissen ausgebreitet lag ich da, genoss einfach die Musik. Die Sache mit Vincent nagte an mir. Dass ich nicht auf Mädchen stand, hatte ich mir schon vor langer Zeit eingestehen müssen. Damals war ich tatsächlich ein wenig in Vincent verliebt gewesen aber das war bevor er anfing so ein Bastard zu sein. Wir waren sogar irgendwie Kindergartenfreunde gewesen. Darüber hatte ich aber noch nie mit jemandem gesprochen. Sogar Alec hatte ich noch nicht im Klartext erzählt was los war aber ich glaube er ahnt es sowieso schon lange. Ich beschloss, dass es keinen Sinn hätte, sich weiter darüber Gedanken zu machen und versuchte meinen Kopf zu leeren. Es gestaltete sich schwieriger als ich dachte und auf einmal war es schwarz um mich herum. Nicht schon wieder.

Desorientiert suchte ich einen Weg aus dem unendlich Dunklem. Es kam mir vor, als irrte ich eine Ewigkeit durch die Schwärze, ohne einen Ausweg in Sicht als ich ein schwaches Licht ausmachen konnte. Ich rannte, so schnell mich meine Beine trugen. Das Licht kam näher und ich betrat ein Zelle. Ich war also wieder bei diesem Jungen. Es war dunkler als sonst und die Luft war unglaublich schlecht. Das Atmen fiel mir, schon allein wegen der Hitze, schwer. Erst als meine Augen sich an das gedämpfte Licht gewohnt hatten konnte ich eine Gestalt in der Ecke ausmachen. Zusammengekauert wie ein Häufchen Eldend saß er da. Seine, durch Dreck und Blut, gräulichen Haare verdeckten das Gesicht. Vorsichtig näherte ich mich ihm und erschrak als er ruckartig den Kopf hob. Aus tiefen Augen schaute er mich an aber ich sah nur das viele Blut aus seinem Mund fließen. Über die wunden Lippen, das Kinn hinunter, bis es von dem orangenen Overall aufgesogen wurde, floss ein Bach von schwarz-rotem Blut. Langsam öffnete er seinen Mund. Mir wurde schlecht, mein Magen rebellierte. Ich hätte gekotzt, wenn der Schock nicht so groß gewesen wäre. Tränen flossen mir übers Gesicht. Er musste unvorstellbare Schmerzen haben, so große schmerzen. Denn man hatte ihm die Zunge herausgerissen.

Mein Oberkörper schnellte nach oben. Aufrecht saß ich wieder auf meinem Bett und heiße Tränen flossen immer noch aus meinen Augen. Meine Atmung ging flach und ich stürmte ins Bad. Nur knapp schaffte ich es noch über die Kloschüssel, bevor sich mein Magen auch schon entleerte. Darüber, meine Haare zurück zu halten, machte ich mir in diesem Moment keine Gedanken. Der Anblick war einfach zu viel gewesen und immer und immer wieder, bis nichts mehr kam, übergab ich mich. Wer ist er und warum tat man ihn das an? Kraftlos ließ ich mich gegen die Wand fallen und kauerte mich auf dem Boden zusammen. Ich weinte noch immer. Wann es aufhören würde wusste ich nicht aber ich spürte wie mir alles zu viel wurde. Ich will dieses Springen nicht können. Ich will das nicht sehen müssen. Nicht ohne helfen zu können.

Die Hexen des ZirkelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt