7 - Die Höhen und Tiefen des Alltags
Am nächsten Montag saß Hope im Speisesaal und frühstückte. Neben ihr lag eine aufgeschlagene Tageszeitung und sie löffelte ihr Müsli, während sie entspannt einen Artikel über die politische Situation in den USA las. Sie fand das Thema zwar mittlerweile wie alle anderen ziemlich ausgelutscht, aber es war besser als die ewigen Brexit-Diskussionen.
Sie musste grinsen, als sie daran dachte, wie sie gestern kurz mit Jela über den Brexit geredet hatte. Denn die hatte noch weniger Ahnung davon, als Hope selbst. Dementsprechend hatte sich das Gesprächsthema recht schnell geändert. Eigentlich hatte Hope Jela ja auf ihre Religiosität ansprechen wollen. Aber zwischen lustigen Anekdoten aus dem Chemieunterricht und einer wilden Beschreibung der Handlung einer Kurzgeschichte, an der Jela gerade arbeitete, hatte sie es schlichtweg vergessen.
„Hey-ho!" Jemand ließ sich mit Schwung neben ihr auf einen der Plastikstühle fallen. Hope sah auf. Sie hatte gehofft, in Ruhe frühstücken zu können, da die Mädchen aus ihrem Zimmer schon Botanik hatten (ein Sonderkurs, den sie aus offensichtlichen Gründen nicht gewählt hatte – was gab es schon langweiligeres als Pflanzen?) und sie somit nicht mit Fragen über Grischa überhäuften. Apropos Grischa...
„Hey." Hope schloss den Artikel und konnte nicht umhin, den Jungen anzugrinsen, mit dem sie irgendwie, auf eine sehr verdrehte Weise befreundet war (und in den sie vielleicht, wenn die Tatsache, dass ihr Herz etwas schneller schlug, ein guter Indikator war, auch ein klitzekleines bisschen verliebt war). „Was gibt's?"
„Ich war gerade dabei, Englisch zu schwänzen und sah dich hier sitzen und dachte mir, ich wünsche dir einen guten Appetit!" Grischa strahlte. Hopes Lächeln wurde etwas dünner.
„Als Musterschülerin muss ich dir sagen, dass ich solches Verhalten nicht billigen kann.", erklärte sie. „Was nicht bedeutet, dass ich mich nicht freue, dich zu sehen."
„Ich habe nachgedacht.", meinte Grischa, ohne auf die Rüge einzugehen und griff nach der Packung Frühstücksflocken, die auf dem Tisch standen. „Und zwar, ob du schon Pläne fürs Wochenende hast."
„Fürs...fürs Wochenende?", stammelte Hope und blinzelte schnell. War das jetzt der Moment? Sie spürte, wie sie nervös wurde und ihr Herz zu flattern begann. War das Verliebtheit? Fühlte sich das so an? Oder freute sie sich einfach nur, weil die kleine Möglichkeit bestand, dass ein Junge Interesse an ihr haben könnte? „Du meinst...dieses...Wochenende?"
„Ja." Grischa sah ziemlich wenig nervös aus, dafür, dass er gerade ein Mädchen zu einem Date einlud. Seelenruhig schüttete er Unmengen an Schokochips in seine Schüssel. „Es ist nämlich so, dass vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte der Schule ein paar Jungs aus dem Schachklub so viel Mist gebaut haben, dass sie Ausgangssperre fürs Wochenende bekommen haben. Und das sind dummerweise alle anderen aus meinem Zimmer. Und ich muss mir in diesem Museum das eine Bild anschauen, weil wir in Kunst darüber einen Bericht schreiben müssen. Aber jetzt habe ich niemanden, der mit mir hingehen würde. Aber dann habe ich dich hier sitzen gesehen und mich gefragt, ob du vielleicht Lust hast, mitzukommen." Er stellte die Packung auf den Tisch und griff nach der fast leeren Kanne Milch, die er sich offenbar an der Essensausgabe geklaut hatte.
„Oh.", machte Hope leise und konnte ihre Enttäuschung nicht ganz verbergen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer in ihr merkte zwar an, dass Grischa so unbeholfen war, was Mädchen anging, dass das hier tatsächlich ein Versuch sein konnte, charmant zu sein, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie einfach nur die zweite Wahl war. „Ich..." Sie räusperte sich. „Ähm, nein, ich hatte noch keine Pläne. Ich meine, ich hatte auch überlegt, in die Stadt zu fahren, aber ich dachte, ich mache was mit den Mädels aus meinem Zimmer. Oder mit Jela. Aber...aber du könntest mitkommen.", schlug sie vor. „Und wir könnten dann zusammen ins Museum gehen." Sie rechnete fest damit, dass er das ablehnen würde, er würde nicht freiwillig einen ganzen Tag unter Mädchen verbringen.
DU LIEST GERADE
Schmetterlinge fürchten sich nicht
Teen Fiction(vorher veröffentlicht als "Schritte im Sand") Hope ist hin und weg, als sie die Kudrjawzew-Zwillinge kennenlernt. Denn die beiden rütteln ihr monotones Internatsleben ganz schön wach. Während Jela ihr mit ihren Russischvokabeln hilft und sich zwisc...