21 - Es tut sich was
Eine knappe Woche später hatte sich eine bunt gemischte Gruppe in einer Ecke der Bibliothek zusammengefunden. Da waren Hope und Grischa auf einem der Sofas, er schaute auf seinem Handy Nachhilfevideos, in der Hoffnung, irgendwann die Stochastik zu verstehen und Hope hätte ihm wahnsinnig gerne geholfen, aber sie verzweifelte selbst über ihren Berechnungen für Mathe, in denen sie einen Fehler suchte, der da sein musste – wenn sie nur wüsste, wo.
Zu ihnen gesellt hatten sich auch Sophia und Amélie, die leise murmelnd über Modezeitschriften und Skizzenpapier brüteten. Sie hatten vor einigen Monaten begonnen, eigene Mode zu designen und den festen Plan, nach der Schule ein eigenes Label zu eröffnen. Außerdem Pauline, die sich über ihren Politikaufsatz hinweg schamlos an Grischa ranmachte – der das allerdings nicht bemerkte. Er war viel zu vertieft in seine Videos. Trotzdem warf Hope ihr alle paar Minuten einen warnenden Blick zu, was wiederum Jela kritisch beäugte, die über ihrem Physikbuch brütete.
Also, kurzum: es war ein wilder Haufen aus diversen Häusern und Jahrgängen, die irgendwie lose miteinander bekannt waren. Es war relativ still, hin und wieder stand jemand auf, um sich ein neues Buch zu holen oder weil er zu wenig Papier hatte. Hope genoss es – die Atmosphäre, nicht die Tatsache, dass sie immer noch nicht wusste, wie es kam, dass sie 22 Jahre statt drei Wochen als Lösung herausbekommen hatte. Sie radierte etwas daran herum, fand dann auch einen Fehler – nur um nach der Korrektur festzustellen, dass das Ergebnis jetzt negativ war. Sie knüllte ihr Notizpapier zusammen und warf es in (neben) den nächsten Papierkorb.
„Soll ich mal schauen?", bot Sophia an, die sich jetzt zu Hope herüberlehnte, während Amélie offenbar ihre gesammelten Ideen in einer Zeichnung zusammentrug. Hope nickte.
„Bitte." Sie schob Sophia ihre Notizen zu, die einen kritischen Blick darauf warf und dann die Aufgabenstellung verlangte. Hope kramte in ihren Unterlagen nach der Grafik, aus der sie ihre Werte abgelesen hatte, auf denen sie ihre Berechnung aufgebaut hatte und zu ihrer Erleichterung nickte Sophia zustimmend – das schien also noch zu stimmen.
Sophia brauchte zehn Minuten, um Hopes zahlreiche Fehler zu finden und eine geschlagene halbe Stunde, sie ihr zu erklären. Als sie schließlich fertig war, hatte sich die Situation um Hope herum kaum verändert.
Amélie war mit ihrer Zeichnung fertig und besprach jetzt mit Sophia die Details. In diese Diskussion mischte sich auch Pauline ein, die ihren Aufsatz wohl entweder fertig oder aufgegeben hatte. Grischa hatte seine Nachhilfestunde auch abgebrochen und spielte an Sophias Zauberwürfel herum (ein Geschenk von Hope vor einigen Jahren – sie war überrascht, dass Sophia immer noch Spaß daran hatte, aber sie probierte immer neue Muster aus und übte sich in Geschwindigkeit, ihr Ziel war im Moment, unter eine Minute zu kommen).
Auch Jela hatte ihr Physikbuch Physikbuch sein lassen und war wieder in einem von Shakespeares Dramen versunken, die so schnell wechselten, wie die Tageszeiten.
Mit einem kleinen Lächeln öffnete Hope ihr eigenes Buch und begann zu lesen. Sie kam etwa drei Seiten weit, bis...
„Sagt mal, wie steht es denn jetzt eigentlich mit dieser Toiletten-Sache?", fragte Amélie plötzlich in die Runde und Hope kannte Amélie lange genug, um zu wissen, dass sie einen so drastischen Themenwechsel nur dann versuchte, wenn sie von irgendjemandem zu Tode genervt, aber zu höflich war, das direkt zu sagen. In diesem Fall nahm Hope an, dass es Pauline war, deren Kommentare zu Sophias und Amélies Mode wirklich alles andere als konstruktive Kritik waren. „Wie realistisch ist es denn, dass sich da noch etwas tut, bevor wir mit der Schule fertig sind?"
Sophia schlug das Skizzenbuch zu und wandte ihr ihre volle Aufmerksamkeit zu. Pauline wirkte zwar etwas unzufrieden, aber auch sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schien am Gespräch teilnehmen zu wollen.
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Schmetterlinge fürchten sich nicht
Teen Fiction(vorher veröffentlicht als "Schritte im Sand") Hope ist hin und weg, als sie die Kudrjawzew-Zwillinge kennenlernt. Denn die beiden rütteln ihr monotones Internatsleben ganz schön wach. Während Jela ihr mit ihren Russischvokabeln hilft und sich zwisc...