1 - Es geht wieder los

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1 - Es geht wieder los

„HOME, SWEET HOME!"

Alina Kessel stürmte ins Zimmer Nr. 3, Haus 4 des Internatscampus', dicht gefolgt von ihren Mitbewohnerinnen, Amélie Baer, Hope Abent und Sophia Satayan.

In einem rasenden Tempo verwandelte sich der bis dato unberührte Raum in das übliche Chaos: die Koffer, die einen Moment zuvor noch die Treppe hochgeschleppt worden waren, wurden geöffnet und deren Inhalt im gesamten Raum verteilt, alle vier Mädchen wissend, dass die Dinge früher oder später bei ihrer rechtmäßigen Besitzerin ankommen würde (der Rekord von „früher" lag bei einer Stunde, der von „später" bei zwei Jahren – das war ein Pullover von Sophia gewesen). Bücher waren generell Allgemeinbesitz, ebenso wie Schlafanzüge.

Postkarten wurden an die Wand geklebt, an der schon Erinnerungsstücke der letzten vier Jahre zu sehen waren.

„Uh, Amélie, nimm das ab!", rief Alina und deutete auf ein Foto, welches ihre Mitbewohnerin gerade anpinnte. „Wir wissen alle, dass du in einer glücklichen Beziehung bist!"

„Ach, Quatsch, lass es dran!", fuhr Sophia dazwischen, die zu aller erst ihren kleinen Gebetsteppich vor dem Fenster platziert hatte und jetzt in Ruhe ihren Koffer leerte. „Du und Ollie seid super süß, lass dir nichts anderes einreden!"

Hope ließ sich auf ihr Bett fallen, griff nach ihrer Gitarre, die bis eben dort gelegen hatte und zupfte einige Saiten an.

„Amélie, lass bloß das Foto, wo es ist.", erklärte sie in Richtung ihrer Cousine und besten Freundin. „Alina, nutze deine Talente und behandle das Foto, wie jedes andere auch und Sophia – bitte bestärke sie nicht auch noch. Wir werden noch genug von Ollie hören, jetzt wo er nicht mehr hier ist."

Sophia grinste und fuhr fort, ihre Sachen (oder das, was sie vermutlich dachte, es seien ihre) in ihren Schrank zu sortieren. Alina hingegen begann sofort, Post-it Zettel mit Lehrergesichtern zu bemalen und über Ollies Gesicht zu kleben. Amélie sank mit einem schwärmerischen Seufzen auf Hopes Bett und ließ sich hinten überfallen, sodass sie nebeneinander auf der schmalen Matratze lagen.

„Ollie ist jetzt in Paris.", sagte sie. „Er macht eine Weltreise und den schönsten Ort, den er sieht, da reisen wir nächsten Sommer hin."

Hope grinste und stand wieder von ihrem Bett auf, die Gitarre an die Wand hängend, in die sie extra für diesen Zweck vor drei Jahren einen Nagel geschlagen hatte (wow, die Betreuerin von Haus 4 war selten so sauer gewesen).

„Pass nur auf, dass er sich keine oberflächliche Französin anlacht.", stichelte Sophia auf Amélie ein, die noch immer verträumt an die Decke starrte.

„Er hat schon eine oberflächliche Französin.", rief Alina von ihrem Schreibtisch aus in Anspielung auf Amélies französische Mutter und deutete auf das blonde Mädchen, das sich auf Hopes Bett räkelte. „Wozu braucht er noch eine?"

Hope musste lachen und begann jetzt doch, ihren Koffer auszupacken. Ganz oben auf ihren Sachen lagen ihre Fotos. Sorgfältig stellte sie einen Bilderrahmen nach dem anderen auf ihr Nachtschränkchen.

„Oh, ist das Leo?" Sophia tauchte neben ihr auf und schnappte sich eines der Bilder. „Mein Gott, der wird ja jedes Jahr niedlicher! Jetzt ist er fünf, oder?"

Hope nickte und fuhr fort, die sorgfältig in Zeitungspapier eingewickelten Bilderrahmen aus ihrem Koffer zu nehmen und wieder dort zu platzieren, wo sie die letzten vier Jahre gestanden hatten.

„Fünfeinhalb. Er lernt gerade lesen, aber irgendwie scheint er sich nicht so richtig dafür begeistern zu können.", seufzte sie. Amélie nickte. Sie hatte ebenfalls einen Bruder, der sich nicht für Bücher interessierte: eine Einstellung, die kein Mädchen aus Zimmer 3 nachvollziehen konnte. Im Gegensatz zu Hope hatte sie jedoch zusätzlich noch eine Schwester, Louise, die ebenfalls hier zur Schule ging und sich vermutlich einige Häuser weiter in ihrem Zimmer mit den anderen Neuntklässlerinnen ebenfalls darum herum drückte, auspacken zu müssen.

Schmetterlinge fürchten sich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt