22 - Viele bunte Fahnen
Hope hatte noch nie so viele Regenbogenflaggen gesehen, außer das eine Mal, als sie mit Amélie zum Shoppen in die Hamburger Innenstadt gefahren war, als gerade CSD war.
Dafür, dass die Schule nur etwa vierhundert Schüler hatte, war auf dem Schulhof wirklich viel los. Hope vermutete zwar, dass die meisten nicht unbedingt hier waren, um wirklich für die Toiletten zu protestieren, sondern vor allem, um dabei zu sein und keine Hausaufgaben machen zu müssen. Aber das spielte beim Effekt natürlich keine große Rolle und der Effekt war, dass geschätzte hundert Schüler den Schulhof füllten und mit bunten Fahnen wedelten, deren Bedeutung Hope nur vermuten konnte.
Sie sah sich um und entdeckte die Mädchen aus ihrem Schlafsaal, die fröhlich zur Musik auf und ab hüpften, die irgendwer aus einem riesigen tragbaren Lautsprecher spielte. Grischa war neben ihr und versuchte offenbar, zu erkennen, was auf den Pappschildern stand, die ein paar Leute hochhielten. Hope hatte das eben auch schon versucht, aber es standen immer entweder zu viele Leute im Weg oder die Schüler mit den Schildern bewegten sich in die falsche Richtung.
Ein paar Meter entfernt sah Hope auch Jela, die alles andere als glücklich wirkte. Hope musste grinsen, sie konnte sich gut vorstellen, dass die laute, volle Parade nicht gerade das natürliche Habitat ihrer introvertierten, ruhigen, einzelgängerischen Freundin war. Tatsächlich sah Jela so aus, als plane sie schon ihre Flucht.
Hope schob sich zu ihr hinüber und stupste sie an. Jela versuchte, ein Lächeln aufzusetzen, aber es sah doch ziemlich mühsam aus.
„Gefällt's dir nicht?", fragte sie laut, um die Musik zu übertönen. Jela seufzte.
„Es ist sehr laut.", antwortete sie. Hope musste lachen.
„Das ist der Sinn einer Demo.", erinnerte sie ihre Freundin, die ein gequältes Lachen von sich gab.
„Ich weiß.", erklärte Jela. „Und ich finde es wahnsinnig cool, dass die das alles auf die Beine gestellt haben..."
„...aber es ist einfach nicht deins.", schloss Hope, legte einen Arm um Jelas Schulter und drückte ihr eine kleine Papier-Regenbogenflagge in die Hand, die sie von irgendwem bekommen hatte. Sie hatte auch noch eine grün-weiß-violette und eine gelb-weiß-violett-schwarze, von denen sie keine Ahnung hatte, was sie bedeuten sollten.
„Es ist absolut nicht meins.", stimmte Jela zu und winkte ein paarmal mit der Fahne.
Die Musik wurde lauter und die Schülerschaft setzte sich in Bewegung.
„Ich glaube der Plan ist, einmal um die Turnhalle zu laufen und dann wieder hier anzukommen.", rief Hope, während sie sich mit Jela in den Zug einreihte. Die gab sich alle Mühe, nicht zu zeigen, wie sehr sie hier wegwollte. Hope musste grinsen. Sie sah hinüber zu Grischa, der ein paar Jungs aus seiner Klasse gefunden hatte, mit denen er sich angeregt unterhielt, dann drehte sie sich wieder zu Jela um.
„Ich mach dir einen Vorschlag:", sagte sie. Jela lehnte sich noch ein Stück zu ihr, um sie besser verstehen zu können.
„Welchen Vorschlag?", rief sie direkt in Hopes Ohr.
„Wir gehen mit bis zu den Wohnhäusern und dann klinken wir uns aus?", präsentierte sie ihre Idee. Sie hatte Jela vermutlich noch nie so erleichtert gesehen.
„Oh Gott, ja bitte!", meinte die sofort. Hope lachte leise und hakte sich bei ihr unter.
„Ok, und bis dahin haben wir Spaß."
Knappe fünfzehn Minuten später liefen Hope und Jela zwischen den Wohnhäusern entlang. Hope glaubte nicht, dass Jela wirklich viel Spaß gehabt hatte, aber was zählte, war dass sie dabei gewesen war.
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Schmetterlinge fürchten sich nicht
Teen Fiction(vorher veröffentlicht als "Schritte im Sand") Hope ist hin und weg, als sie die Kudrjawzew-Zwillinge kennenlernt. Denn die beiden rütteln ihr monotones Internatsleben ganz schön wach. Während Jela ihr mit ihren Russischvokabeln hilft und sich zwisc...