12 - Das Kleingedruckte

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12 - Das Kleingedruckte

In den nächsten Wochen bemerkte Hope, dass Jela zunehmend abwesender wurde. Momente, in denen sie tatsächlich wirklich unbeschwert Zeit miteinander verbrachten, wurden immer seltener. Zunächst schob sie es auf den zunehmenden Schulstress, schließlich rückte Weihnachten immer näher und Jela war nun mal in der zehnten Klasse und würde im Mai Prüfungen schreiben. Hope erinnerte sich gut an den Stress, der ihr letztes Jahr zuteil geworden war.

Aber je mehr Zeit verstrich, desto mehr beschlich sie das Gefühl, dass Jela ihr etwas verheimlichte. Etwas beschäftigte sie und Hope vermutete, dass es die Erkenntnis gewesen war, die sie nach dem Haarefärben gehabt hatte. Und die Tatsache, dass sie offenbar noch nicht auf einer Freundschaftsebene angekommen waren, wo Jela mit ihr über so etwas reden konnte, traf sie mehr, als sie gedacht hatte.

Ja, sie kannten sich erst seit einigen Monaten, aber dennoch empfand Hope ihre Freundschaft als anders, als die, die sie mit ihren Mitbewohnerinnen oder ihrer Cousine hatte. Während sie die anderen oftmals auch mal auf Abstand brauchte, zum Beispiel, wenn Alina wieder ins Lästern geriet, Amélie in einer sehr Ollie-lastigen Stimmung war oder Sophia wieder einen ihrer philosophischen Tage hatte – da hatte sie bei Jela nur den Wunsch, so viel Zeit wie möglich gemeinsam zu verbringen. Sie wollte dieses Mädchen besser kennen lernen, alle ihre Kanten, von denen sie mittlerweile wusste, dass es wirklich einige waren.

Und gerade deshalb störte es sie noch mehr, dass sie jetzt das Gefühl hatte, dass Jela ihr absichtlich auszuweichen schien.

Zuerst hatte Hope überlegt, ob Jela vielleicht ein Problem damit hatte, dass Hope mit Grischa zusammen war. Aber als sie sie danach gefragt hatte, hatte Jela ihr versichert, dass das nicht der Fall sei und sie sich für die beiden freuen würde. Hope war sich nicht sicher, ob sie ihr das glaubte, aber dann versuchte sie sich vorzustellen, wie es wäre, wenn Jela mit ihrem Bruder zusammen wäre (ein schlechtes Beispiel, schließlich war Leo erst fünf, aber es reichte, um Hope zu der Erkenntnis zu führen, dass es eine seltsame Situation wäre).

Also hoffte sie einfach, dass es sich von selbst wieder legen würde und ließ Jela ein bisschen mehr Freiraum. Das gab ihr zusätzlich die Chance, mehr Zeit mit Grischa zu verbringen, was Hope sehr freute.

Mit ihm lief es aktuell ziemlich gut – sie waren einige Male zusammen in die Stadt gefahren, liefen recht oft gemeinsam über das Gelände, ein paarmal hatte er sich sogar von ihr überreden lassen, gemeinsam zu lernen, was eher in einer Art Nachhilfestunde für ihn geendet hatte, aber Hope hatte trotzdem ihren Spaß gehabt. Inzwischen war es Dezember und es hatte sogar einmal geschneit. Zwar nur für etwa fünf Minuten, aber es hatte gereicht, dass man mit dem gesamten Schnee auf dem Schulhof vielleicht zehn Schneebälle formen konnte (die Schlacht war kurz, aber dadurch nicht weniger lustig gewesen).

Heute jedoch traf sich Hope nicht mit Grischa, sondern mit Jela und von der merkwürdigen Stimmung war ausnahmsweise nichts zu merken, was Hope Hoffnung bereitete, dass was auch immer Jela belastete, bald ein Ende haben würde. Wieder einmal verfluchte sie die Tatsache, dass es so etwas wie einen gemeinsamen Aufenthaltsraum für alle Häuser nicht gab, denn obwohl alle Gemeinschaftsräume natürlich auch den Schülern offenstanden, die nicht im entsprechenden Haus wohnten, fühlte sich kaum jemand dort wohl. Es war halt einfach etwas Anderes.

Glücklicherweise waren Hope und Jela keineswegs die einzige Freundschaft mit solchen Problemen und so hatte die Bibliothekarin, die es leid war, dass sich die Schüler ständig in der Bibliothek trafen und somit „die anderen Schüler vom Lernen abhielten" in Abstimmung mit der Schulleitung einen Teil der Bibliothek (die Roman-, Poesie- und Dramaabteilung) durch einige umgestellte Regale in eine gemütliche Sitzecke verwandelt, in der man, unter Aufsicht, nachmittags zwischen fünf und sechs sogar Tee trinken durfte.,

Schmetterlinge fürchten sich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt