29 - Völlig ungeplant

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29 - Völlig ungeplant

Die Woche nach dem Sonntag, an dem sich alles änderte, wie Hope ihn gedanklich später nennen würde, verlief gleichzeitig genau wie immer und vollkommen anders als sonst.

Hope ging in den Unterricht, der nicht ganz so stressig war, wie vorher, weil es die letzte Woche vor den Winterferien war und sie schon keine Noten mehr bekamen. Nachmittags traf sie sich mit Grischa oder Jela.

Die hatte es, ohne mit der Wimper zu zucken, aufgenommen, als Hope ihr berichtet hatte, dass sie sich von ihrem Bruder getrennt hatte.

„Zwingst du uns jetzt nicht mehr, Zeit miteinander zu verbringen?", hatte sie grinsend gefragt und Hope hatte nur die Augen verdreht und wiederholt überlegt, ob sie es vielleicht doch aufgeben sollte, die beiden Zwillinge dazu zu bringen, sich zu verstehen.

„Keine Chance.", hatte sie trotzdem geantwortet, denn Geschwister hin oder her, sie waren beide ihre Freunde und bei jeden beliebigen anderen zwei Freunden von Hope hätte sie sich ebenfalls Mühe gegeben, dass sie miteinander auskämen, also warum sollte sie es hier anders machen? Außerdem waren die beiden in der ganzen Zeit die Hope mit ihnen beiden verbracht hatte, noch nicht ernsthaft aneinandergeraten und deshalb vermutete Hope, dass das meiste ihrer Sticheleien Show war.

Sie war erleichtert, dass Jela nicht weiter nach den Gründen für die Trennung gefragt hatte, obwohl sie sich das hätte denken können, schließlich hielt Jela weder besonders viel auf Gefühle noch auf die Angelegenheiten anderer Leute und ganz bestimmt nicht auf die Gefühle anderer Leute (nicht einmal wenn diese anderen Leute in diesem Fall ihre Freundin und ihr Bruder waren).

Vermutlich hatte das aber auch damit zu tun, dass endlich, endlich die Bewerbungsfrist für den Autoren-Sommerkurs beendet war und Jela von kaum etwas anderem mehr sprach als der Zulassung oder Ablehnung, die sie theoretisch jeden Tag erreichen könnte. Ihre sichtbare Freude und Aufregung gefiel Hope ausgesprochen gut und jetzt, wo sie es sich endlich eingestanden hatte, fragte sie sich, wie ihr nicht hatte auffallen können, dass über beide Ohren in ihre Freundin verliebt war (wobei, ihr war es ja aufgefallen, also konnte sie eher nicht begreifen, wie es ihr gelungen war, das zu verdrängen).

Trotzdem beschloss sie, das Gespräch mit ihr, was entscheiden würde, wie es zwischen ihnen weitergehen sollte, auf nach den Ferien zu schieben. Sie wollte, egal wie es ausging, nicht, dass sie sich danach zwei Wochen nicht sahen. Außerdem hatte sie so die Gelegenheit, vielleicht noch herauszufinden, ob Jela immer noch Interesse an ihr hatte. Vor anderthalb Monaten hatte Jela das noch gesagt – konnte so etwas so schnell verschwinden? Hope wusste es nicht, aber sie nahm sich vor, sich davon nicht entmutigen zu lassen.

In ihrem Kopf malte sie sich aus, wie sie Jela nach dem Gespräch küssen würde und wie viel besser dieser Kuss sein würde als alle, die sie mit Grischa gehabt hatte.

„Also, sie schicken die Zulassung oder Ablehnung per E-Mail bis zum 15. März!", berichtete Jela gerade mit leuchtenden Augen. Hope nickte, auch wenn Jela ihr diese Information in den letzten Tagen bereits mindestens fünfmal mitgeteilt hatte. „Ich weiß, es ist erst Anfang Februar, aber bis zum 15. März heißt ja, dass es theoretisch auch schon heute kommen könnte."

Jela wischte über ihr Handy, das neben ihr auf dem Tisch lag, um das E-Mail-Postfach zum dritten Mal in Folge neu zu laden, aber die große rote Null veränderte sich nicht.

Hope malte an einem Design für einen Flyer herum. Mit ihren Zeichenkünsten war es zwar nicht weit her, aber er sollte für die Toiletten-Aktion des LGBT-Clubs sein, also hatte sie beschlossen, es zumindest einmal zu versuchen.

Sie waren diesen Dienstag wieder im Keller 6 gewesen und diesmal hatten sie sich nicht nur mit Alex und Emma unterhalten, sondern auch mit einigen anderen Leuten und jetzt, da Hope tatsächlich ein paar transgender Schüler persönlich kannte, war in ihr neue Motivation für das Projekt entflammt. Die Schülerversammlung diskutierte noch immer und irgendwer hatte vorgeschlagen, Flyer zu gestalten und sie an den Schwarzen Brettern auszuhängen. Genau das wollte Hope gerade machen, allerdings war sie eben weder besonders begabt, noch hatte sie sonderlich viele Ideen. Außerdem konnte sie sich nicht konzentrieren, weil ihr Blick immer wieder an Jela hängen blieb, die gerade im Detail noch einmal berichtete, wie sie ihre Bewerbung geschrieben, dann ein Interview über Skype geführt und eine Auswahl ihrer Gedichte nach Hamburg geschickt hatte.

Schmetterlinge fürchten sich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt