13 - Ungesagte Worte

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13 - Ungesagte Worte

In den nächsten Tagen sah Hope Jela immer weniger. Sie hatten ja keinen Unterricht zusammen und nachmittags streifte Hope oft ergebnislos durch die Bibliothek. Immer häufiger hatte sie das Gefühl, dass Jela ihr auswich, bis irgendwann kein Zweifel mehr herrschte: Jela mied sie – ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder. Es war Hope gar nicht aufgefallen, aber in der letzten Woche hatte sie ihn jeden Tag gesehen. Sie hatten zusammen Mittag gegessen, waren am Samstag in dem kleinen Laden die Straße runter Einkaufen gewesen und hatten hinterher alle gekauften Kekse gegessen, während sie bei Grischa im Zimmer einen Film geschaut hatten und sie hatte ihn sogar erstmalig überreden können, nicht nur mit bis zum Schwimmbad zu laufen, sondern auch mit reinzukommen. Wenig überraschend hatte Hope an dem Tag nicht viel trainiert, aber dafür mehr gelacht, als je zuvor.

„Sag mal, hast du in letzter Zeit mit deiner Schwester geredet?", fragte sie ihn irgendwann, auch wenn das gegen ihr eigenes Versprechen bezüglich der beiden ging. Sie liefen gerade vom Mittagessen in Richtung der Klassenräume, so wie sie es mittlerweile jeden Donnerstag taten.

„Mit welcher?", fragte Grischa doch tatsächlich. Dann grinste er jedoch. „Du kennst uns doch. Wir reden nicht miteinander.", ergänzte er, ganz so, als wäre es vollkommen abwegig mit seinem Zwilling hin und wieder ein Gespräch zu führen. „Ist etwas passiert?"

„Ich glaube, sie geht mir aus dem Weg.", meinte Hope und hatte ein klitzekleines schlechtes Gewissen, die Probleme, die sie mit Jela hatte, vor deren Bruder auszubreiten.

„Unsinn.", winkte Grischa ab. „Ihr beide seid doch beste Freundinnen und so. Da macht das doch gar keinen Sinn!"

Ergibt, korrigierte Hope ihn gedanklich, beschloss aber, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, den Besserwisser raushängen zu lassen.

„Eben.", sagte sie stattdessen. „Meinst du, ich habe etwas falsch gemacht? Gibt es etwas, was ich gesagt haben könnte?"

Grischa zuckte mit den Schultern.

„Also um ehrlich zu sein dachte ich mittlerweile, dass du sie besser kennst als ich. Wir reden nicht über Gefühle und so Kram."

Hope seufzte tief. Hier würde sie nicht weiterkommen.

„Ok." Sie lächelte ihn an. „Danke trotzdem." Sie drückte ihm einen schnellen Abschiedskuss auf die Lippen und wollte gerade abbiegen, da sich ihre Wege hier trennten, als ihr etwas einfiel. „Sag mal, ich wollte dieses Wochenende noch mal in die Stadt fahren, Weihnachtsgeschenke kaufen. Hast du Lust, mitzukommen?"

„Klar." Ein breites Grinsen breitete sich auf Grischas Gesicht aus. „Dann bis dann!"

Hope nickte, zufrieden mit sich. Mit Grischa in die Stadt zu fahren, war immer eine lustige Angelegenheit. Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, dass er eine große Hilfe sein würde, Geschenke auszusuchen, aber er würde das ganze Erlebnis sicher amüsanter machen. Vielleicht konnten sie am Ende noch ins Kino gehen oder so? Außerdem konnte sie sich gut vorstellen, dass er selbst noch keine Geschenke besorgt hatte und einen kleinen Anstoß gut brauchen konnte. Es sprach also viel dafür, mit ihm den Weihnachtseinkauf zu machen, als wie die letzten Jahre mit ihren Freundinnen.

Außerdem hatten die ohnehin keine Zeit. Sophia und Alina hatten beschlossen, über das Wochenende nach Hause zu fahren, Alina zum Geburtstag ihrer Schwester und Sophia zum Mevlid-Fest. Amélie hatte sich mit Ollie zum Telefonieren verabredet, was bedeutete, dass Hope mit ihr am Wochenende auch keine Zeit verbringen können würde. Und so wie die Dinge mit Jela standen, wäre sie wohl auch nicht in Frage gekommen. Sie seufzte beim Gedanken an die vertrackte Situation und beschloss, ihrer Freundin einfach noch ein bisschen Zeit zu geben. Und wenn sie nach dem Wochenende noch immer so abweisend war, dann würde sie sie noch einmal darauf ansprechen. Ja, sie nickte zu sich selbst. Das war ein guter Plan. Zufrieden betrat sie den Klassenraum. Dann konnte sie sich ja jetzt um andere Dinge Sorgen machen – zum Beispiel um die Frage, was sie ihrer Familie zu Weihnachten schenken würde.

Schmetterlinge fürchten sich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt