3 - Kurz vor und kurz nach Mitternacht
Hope und Jela saßen zwei Tage nach dem sie sich kennen gelernt hatten gemeinsam auf dem Spielplatz. Niemand wusste so genau, warum es auf dem Gelände des Internats einen Spielplatz gab, schließlich waren die jüngsten Schüler Siebtklässler und damit mindestens zwölf Jahre alt. Aber während genau die einen großen Bogen um ihn machten, weil es ja peinlich war, auf einem Spielplatz gesehen zu werden, hatten ihn die älteren Schüler als einen Treffpunkt ausgewählt, den auch Hope und Jela gerade nutzten.
Ohne dass sie wussten, warum, stimmte die Chemie zwischen ihnen perfekt. Sie waren unterschiedlich wie Tag und Nacht und doch fanden sie immer wieder neue Gesprächsthemen. Sie redeten über Literatur und Musik, über Filme, die sie beide gesehen hatten (was nicht viele waren, da sie gravierend unterschiedliche Forderungen an Filme stellten) und Filme, die sich die andere unbedingt anschauen musste (was dementsprechend so viele waren, dass sie eine Liste begonnen hatten), danach redeten sie über Listen, die Jela liebte und Hope verabscheute, denn die waren ihr viel zu ordentlich und sie liebte das Chaos. Sie sprachen über Reisen, die sie gemacht hatten und solche, die sie noch machen wollten (Jela war schon deutlich mehr herumgekommen und wollte unbedingt mal nach Australien, Hope hatte Deutschland seit sie sechs war nur einmal verlassen und wollte einfach so viel wie möglich sehen) und sogar über Politik, aber nur kurz, denn keine von ihnen konnte sich ernsthaft dafür interessieren.
Die zwei Tage, die sie sich jetzt kannten, fühlten sich wie Jahre an. Es gab nur ein Thema, was niemals eine von ihnen anriss und das war das Thema Liebe. Kein „Hast du einen Freund?", kein „Findest du Franz aus der Zwölften auch so süß?", kein „Hast du gehört, dass Johanna und Paul zusammen sind?". Sie vermieden das Thema nicht bewusst, es spielte einfach keine Rolle und das war für Hope eine willkommene Abwechslung von ihrem Zimmer, sprich dem nie endenden Kaffeeklatsch.
Eigentlich hatten sie gedacht, dass sie auf dem Spielplatz ungestört sein würden, da die Temperaturen schon nicht mehr so waren, wie man es sich Mitte August wünschte. Umso überraschter war Hope, als sich ein dank der Abendsonne langer Schatten über ihre ausgestreckten Beine legte. Irritiert sah sie hoch und erblickte einen Jungen, in ihrem Alter, der ihr schon ein paar Mal im Schloss aufgefallen war. Er trug einen ziemlich hässlichen senfgelben Pullover und war schon mehrfach zum Gesprächsthema in ihrem Zimmer geworden – wegen seines „kantigen, männlichen Gesichts" und „Himmel, diese Haare, wie macht er das?". Bisher hatte Hope ihn nur gelegentlich mal auf dem Gang gesehen, aber aus nächster Nähe musste sie zugeben, dass die anderen Mädchen recht hatten. Er sah gut aus –sehr gut. Hope schluckte und sah zu Jela. War das ihr Freund? Die sah dafür jedoch bei Weitem nicht glücklich genug aus, was Hope erleichterte, auch wenn sie nicht so genau wusste, wieso.
„Grischa.", meinte Jela wenig begeistert, als sie ihn sah. Und sie ergänzte noch etwas auf Russisch, was so schnell war, dass Hope, die bisher zwar viel in dieser Sprache gelesen, sie aber nur selten ohne den deutschen Akzent ihrer Eltern gehört hatte, kein Wort verstand. Dem Tonfall her deutete sie es allerdings als eine unfreundliche und vermutlich mit der einen oder anderen Stichelei gespickte Frage nachdem Zweck dieses Zusammentreffens.
Grischa grinste nur breit. Dann sagte er:
„Tut mir leid, ich wusste nicht, dass du ein Date hast." und das in dem sarkastischsten Tonfall, den Hope je gehört hatte, bevor er Jela das Paket in die Hand drückte, welches er die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte. „Das hat Mama geschickt, es ist Unterwäsche von dir, die du nicht mitgenommen hast."
Jela lief ein wenig rot an und Hope hatte ein bisschen Mitleid mit ihr. Die Information darüber, dass es Unterwäsche war, hätte sich Grischa vermutlich sparen können. Mühsam beherrscht zwang sich Jela ein Lächeln aufs Gesicht.
„Hope, das ist mein völlig nutzloser Bruder, Grischa.", erklärte sie und man hörte, wie sehr sie sich zusammenreißen musste. „Grischa, das ist Hope."
Grischa reichte Hope die Hand. Sie griff danach und er deutete an, ihre zu küssen. Dabei sagte er ein russisches Wort, welches ein wenig klang, wie „Nadjeschda".
Hope lächelte unsicher, nicht genau wissend, wie sie mit der Situation umgehen sollte.
„Das bedeutet Hoffnung.", erklärte Grischa und machte die Situation damit noch ein bisschen unangenehmer für alle Beteiligten. Hope nickte peinlich berührt und räusperte sich.
„Ich...ähm...ich weiß.", erklärte sie und erinnerte sich jetzt tatsächlich an das Wort, welches sie schon ein paar Mal gelesen hatte. So sprach man den Buchstaben also aus, der so aussah wie ein Sternchen. Sch, aber weicher.
„Du kannst jetzt wieder gehen.", meinte Jela, nachdem Grischa weitere zwei Minuten schweigend neben ihnen gestanden hatte. „Danke für die...Sachen."
„Ja." Grischa nickte fröhlich, deutete eine Verbeugung an, die durch seine schlaksige Figur furchtbar ungelenk aussah und drehte sich dann um, nicht ohne vorher noch zu sagen:
„Man sieht sich, Hope."
Kaum dass er einige Schritte außer Hörweite war, seufzte Jela.
„Himmel, es tut mir Leid. Er ist so...seltsam." Sie stöhnte auf. Hope lachte.
„Das ist er wirklich.", stimmte sie zu. „Aber irgendwie wirkte er auch ganz nett, auf seine Art."
„Ja, das ist er. Er ist eigentlich ein super Kerl. Vermutlich wären wir ein klasse Team, wenn wir nicht so verschieden wären." Sie zuckte mit den Achseln. „Wie auch immer."
Hope runzelte die Stirn.
„Seid ihr...Zwillinge?", fragte sie, denn Grischa sah definitiv nicht so aus, als wäre er jünger als Jela. Die nickte.
„Jep.",sagte sie und musste auf Jelas schockierten Blick lachen. „Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie. Wir sind uns in unserem ganzen Leben noch nicht einmal einig gewesen – nein ehrlich. Wir sind nicht mal im selben Jahr geboren!"
Hope prustete los.
„Wie geht das denn?", wollte sie wissen. Jela zuckte mit den Schultern.
„Er ist am 31. Dezember 2000, kurz vor Mitternacht geboren und ich am 01.Januar 2001 kurz danach. Technisch gesehen sind es sogar unterschiedliche Jahrtausende! Waren großartige Silvester für meine Mutter.", ergänzte sie scherzhaft. Hope musste wieder lachen. Das Ganze klang viel zu absurd, um wahr zu sein. „Also glaub mir einfach, wenn ich sage, dass wir absolut nichts gemeinsam haben."
Hope nickte und beschloss, das Thema zu wechseln, indem sie auf Jelas Haare deutete.
„Warum weiß?", fragte sie neugierig.
„Oh." Jela zupfte an den gefärbten Haarsträhnen herum. „Ich färbe sie so, dass mich die Farbe an das Wichtigste in meinem Leben erinnert, je nachdem, was gerade aktuell ist. Vor ein paar Wochen hat meine Schwester geheiratet, deshalb sind sie weiß. Und wenn wieder was Interessantes passiert, dann färbe ich sie um."
„Klingt schön." Hope lächelte. „Wie oft veränderst du die Farbe?"
„Inder Schulzeit ist das Leben monoton. Ich denke nicht, dass ich vor Weihnachten umfärben werde."
„Trotzdem eine coole Idee.", sagte Hope. „Welche Farben hattest du schon?"
Jela überlegte kurz und begann dann, aufzuzählen.
Jaja, ich weiß, dass es sehr kurz war und dass ihr das alles schonmal gelesen habt, aber ich verspreche euch, dass ihr übermorgen ein Kapitel bekommt, was komplett neu ist - seid gespannt!
Ach so und eins noch: Ich freue mich wirklich sehr über eure ganzen lieben Kommentare. Ich dürft aber selbstverständlich auch Kritik üben, wenn irgendein Plottwist ganz haarig ist oder sich jemand out of character verhält oder einfach eine Formulierung doof ist. Im gewissen Sinne seid ihr alle ja meine Betaleser, also traut euch ruhig!
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Schmetterlinge fürchten sich nicht
Novela Juvenil(vorher veröffentlicht als "Schritte im Sand") Hope ist hin und weg, als sie die Kudrjawzew-Zwillinge kennenlernt. Denn die beiden rütteln ihr monotones Internatsleben ganz schön wach. Während Jela ihr mit ihren Russischvokabeln hilft und sich zwisc...