30 - Ratschläge und Orangensaftflecken

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30 - Ratschläge und Orangensaftflecken

Am Nachmittag sowie den gesamten Dienstag lang war Jela verschwunden. Hope wollte unbedingt mit ihr reden, wollte das Missverständnis aufklären, was sich am Montagmorgen zwischen ihnen abgespielt hatte. Aber als sie Jela weder in ihrem Haus noch in der Bibliothek oder auf dem Spielplatz fand und sie auch alle ihre Nachrichten ignorierte, gab sie schließlich auf, überzeugt, dass ihre Freundin ihr bewusst aus dem Weg ging. Zumindest hoffte Hope, dass sie sie weiterhin so nennen durfte, jetzt nach diesem furchtbaren Desaster.

„Redet sie immer noch nicht mit dir?", fragte Grischa mitfühlend, als sie am Dienstagnachmittag zusammen in der Bibliothek saßen und Hausaufgaben machten. Hope seufzte.

„Nein. Wir haben dienstags in der zweiten Stunde immer nebeneinander Unterricht und danach treffen wir uns immer, um gemeinsam in die Frühstückspause zu gehen.", erzählte sie und malte kleine Sterne in ihr Matheheft, als ob sich die Funktionen dann von selbst ableiten würden. „Heute war sie schon weg." Sie drückte mit ihrem Stift so fest auf, dass das Papier riss. Großartig, jetzt würde sie alles noch einmal abschreiben müssen.

„Das wird schon wieder.", versuchte Grischa sie aufzumuntern, aber leider war er darin nicht wirklich gut, weshalb Hope nur noch grimmiger schaute.

„Vielleicht war es ein Fehler.", sagte sie leise und legte ihren Kopf auf die Tischplatte. Sie konnte Grischa beinahe grinsen hören.

„Meine Schwester, die seit Monaten in dich verknallt ist und der du gesagt hast, dass zwischen euch nie etwas passieren wird, aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung zu küssen?", fragte er. „Nein, Hope, wie kommst du nur darauf?"

Hope grunzte und schlug mit der Hand nach ihm, traf ihn jedoch nicht, weil ihre Stirn immer noch auf ihren Mathehausaufgaben lag, die aus nächster Nähe leider auch nicht lösbarer wurden. Mit einem genervten Stöhnen richtete sie sich wieder auf und strich sich unwirsch die langen Haare aus dem Gesicht.

„Das meinte ich nicht.", grummelte sie. Grischa zog die Augenbrauen hoch.

„Was meintest du denn?", wollte er wissen. Hope sah ihn einen Moment an. Dann beschloss sie, dass er nicht der richtige war, um ihre Schuldgefühle und Zweifel wegen gestern mit ihm zu diskutieren. Sie bräuchte jemanden, der Ahnung von Beziehungen hatte und am besten noch verstand, welche Gedanken ihr gerade durch den Kopf gingen.

Sie hatte auch Amélie von dem misslungenen ersten (und so wie es aussah auch letzten) Kuss erzählt, aber auch sie hatte keinen wirklichen Rat gewusst, außer zu versuchen, mit Jela zu reden und ihr, wenn sie das nicht wollte, ein bisschen Zeit zu geben. Und das war ja auch alles schön und gut, so weit war sie auch selbst gekommen. Aber es half ihr nicht bei ihrem anderen, viel größeren Problem, nämlich dem nagenden Zweifel, den Jelas Worte in ihr hinterlassen hatten.

„Nicht so wichtig.", murmelte sie in Grischas Richtung, der sie immer noch abwartend ansah und zum Glück nicht weiter nachhakte.

Eine Weile saßen sie nebeneinander am Tisch, Grischa reihte wahllos Wörter aneinander, in der Hoffnung, etwas zu produzieren, was zumindest halbwegs als Aufsatz für Geschichte durchgehen würde und Hope versuchte, zu verstehen, was in drei Teufels Namen verkettete Funktionen waren und warum für die jetzt plötzlich andere Ableitungsregeln galten als für alle anderen.

Sie hatten beide mäßigen Erfolg und schließlich sah Grischa auf die Uhr und verkündete:

„Ich finde, wir haben für heute genug gearbeitet. Es ist schon ziemlich spät, kommst du mit in den Keller 6?"

Hope wollte protestieren, denn sie musste die Übungen morgen abgeben und das bedeutete leider, dass sie noch nicht genug gearbeitet hatte. Und nach feiern war ihr eigentlich auch nicht zumute. Aber sie hatte die letzte halbe Stunde ohnehin mehr geraten, als ernsthaft gerechnet und so wirklich konzentriert war sie auch nicht bei der Sache, also nickte sie und schlug ihr Heft zu.

Schmetterlinge fürchten sich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt