6. Kapitel

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Baz

„Was ist passiert?" fragt Snow, als er ins Krankenzimmer kommt. War ja klar, dass man ihm als meinem Zimmergenossen Bescheid gibt. „Geht dich nichts an. Du kannst wieder gehen." sage ich und mache eine scheuchende Bewegung mit meiner Hand. Doch er tritt noch dichter an mich heran. „Bist du gestürzt?" „Nein!" „Was dann?" „Das geht dich immer noch nichts an!" Er soll gehen. Er soll sofort wieder gehen.

„Du siehst echt schlimm aus." Ich verdrehe die Augen. „Wann hast du das letzte Mal in den Spiegel geschaut?" Snow zuckt fast unmerklich zusammen und es tut mir sofort leid. Er sieht perfekt aus, aber ich lasse mir nichts anmerken. Er soll gehen. Er darf mir nicht trauen. „Ich meinte wegen..." „Du kannst gehen! Du brauchst mir nicht die Hand halten, ich komme schon klar." Eigentlich würde ich gerne seine Hand halten.

Aber jede Spur von Sorge und Mitleid war nun aus seinem Gesicht verschwunden. „Ich bin sowieso nur hier, um zu fragen, ob ich unser Zimmer heute Nacht für mich alleine habe." „Mir geht es gut. Ich habe nur ein paar Kratzer, also wirst du nachher leider mit mir rechnen müssen." Snow nickt, dreht sich um und geht. Es ist besser so, rede ich mir ein.

Der Fremde hat mich völlig unerwartet getroffen, aber ich hätte wissen müssen, dass ich beobachtet werde, wenn mein Vater mir etwas so seltenes schickt, um Snow aus dem Weg zu räumen. Der Typ hat alles gesehen und schleicht jetzt irgendwo auf dem Schulgelände rum. „Töte Simon Snow. Sonst tue ich es. Und das wird deinem Vater nicht gefallen."

Ich kann gehen, nachdem einige Heilungszauber angewendet wurden. Vielleicht sollte ich es jemandem sagen, dass ein Fremder hier rumrennt, aber dann werden alle erfahren, dass ich Snow wirklich töten soll. Mein Vater würde mich ohne mit der Wimper zu Zucken in Flammen aufgehen lassen. Vielleicht kann ich das auch schon selber übernehmen. Ich könnte jetzt einfach ein Feuer heraufbeschwören und nichts davon wäre mein Problem. Allerdings ist Snow dann ganz alleine und wird von diesen Fremden getötet. Beobachtet er mich jetzt auch? Ich schaute mich um, konnte aber nirgends jemanden sehen. Er war hier trotzdem irgendwo.

Snow liest und ignoriert mich, als ich unser Zimmer betrete, aber er lebt noch. Ich traue mich kaum, ins Bad zu gehen. Weiß der Fremde, dass ich Snow im Zimmer nicht töten kann? Kann er hier reingekommen? Eigentlich ja nicht. Trotzdem lasse ich die Tür ganz leicht auf, als ich mich so schnell, wie möglich fertig mache. Ich beschließe, einfach wach zu bleiben. Wenn er nicht einbricht, bin ich morgen im Unterricht halt etwas müde, aber wenn er kommt, kann ich Snow beschützen. Zu sterben, wenn ich dem Mann die Kehle aufreiße, ist viel sinnvoller, als einfach in Flammen aufzugehen.

Snow liest noch etwas, bevor er das Licht aus macht. Ich liege unter meiner Decke und beobachte ihn. Er hat sich zur Wand gedreht und atmet ruhig. Ich sehe ein Muttermal in seinem Nacken. Als ich sicher bin, dass er schläft, setze ich mich hin und lehne mich mit dem Rücken an die Wand. Der Mond leuchtet durchs Fenster und lässt seine Locken silbrig schimmern. Ich bin ganz still, damit ich höre, wenn jemand kommt, aber Snows leises Atmen ist das einzige Geräusch im Zimmer und draußen höre ich nur ein paar nachtaktive Tiere.

Ich sitze lange einfach nur da, im Dunkeln und passe auf. Minuten werden zu Stunden. Snow hat einen leichten Schnupfen und beginnt leicht zu schnarchen. Meine Augen werden schwer, aber ich darf nicht schlafen. Ich muss wach bleiben. Es ist mittlerweile drei Uhr morgens und ich gähne gefühlt alle drei Sekunden, aber ich lasse Snow nicht aus den Augen. Er hat sich inzwischen umgedreht, sodass ich sein Gesicht sehen kann. Darauf konzentriere ich mich. Seine Muttermale, die Locken, die ihm in die Stirn fallen und seinen leicht geöffneten Mund...

Ich werde durch ein Geräusch geweckt. Fuck! Ich bin doch eingeschlafen! Schnell setze ich mich auf und sehe gerade noch, wie eine dunkle Gestalt ein Messer in die Luft hebt. Es blitzt im Licht. Ich kann mich nicht bewegen. „Nein!" schreie ich, aber der Fremde dreht sich nicht zu mir um, sondern lässt die Klinge nach unten schnellen. „Nein!" Ich strecke verzweifelt den Arm aus, aber ich kann ihn nicht retten. Ich kann ihn nicht retten! Die Klinge verschwindet in seiner Brust. „Snow!"

Ich springe auf und stoße mit dem Kopf gegen ein Hindernis. „Autsch!" Snow steht vor meinem Bett und hält sich die Stirn. Verwirrt schaue ich mich um. Ich sitze auf meinem Bett, genauso, wie die ganze Nacht lang. Das Licht ist an und Snow steht vor mir. Lebendig und in seinem Schlafanzug. Erleichtert sinke ich zurück an die Wand. Es war nur ein Traum. „Was hast du an meinem Bett gemacht?"

„Du redest im Schlaf." Meint Snow, als er zu seinem Kleiderschrank geht, sich noch immer die Stirn haltend. „Du hast offensichtlich schlecht geträumt und ich wollte dich wecken." Er öffnet die Schranktür und stutzt. „Hast du von mir geträumt?" „Was? Wie kommst du denn darauf?" Snow nimmt sich ein Hemd und legt es sich über den Arm. „Du hast meinen Namen gerufen." Ich stehe auf, um mich ebenfalls fertig zu machen. „Ich habe geträumt, dass du mal wieder alles in die Luft jagst."

Make the Yuletide gayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt